Josef Fritzl„Er kam, nahm sie und ging wieder“

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Josef Fritzl verbirgt sein Gesicht hinter einem blauen Aktenordner. (Bild: dpa)

Josef Fritzl verbirgt sein Gesicht hinter einem blauen Aktenordner. (Bild: dpa)

SANKT PÖLTEN - Die heile Welt und das Grauen trennt nur der vierspurige Schießstattring in St. Pölten. Hinter den beschlagenen Fenstern von „Aquacity“, einem postmodernen Wellness-Tempel, haben sich zwischen zwei Durchgängen auf der Sonnenbank ein paar Gäste aufgebaut, junge Frauen überwiegend. Sie versuchen etwas von dem Geschehen gegenüber zu erhaschen. Dort liegt das verschnörkelt-protzig wirkende Gebäude des Landesgerichts von Niederösterreich, wo an diesem nebligen Morgen der Prozess gegen Josef Fritzl beginnt, dessen Untaten als beispiellos gelten.

Kassettendecke, Jugendstil-Ornamentik, Intarsienarbeiten: Das Ambiente des Schwurgerichtssaals im zweiten Stock zeugt von einer selbstbewussten Justiz zu K&K-Zeiten und muss nun, weil es der größte Verhandlungsraum ist, die Kulisse zur Wahrheitsfindung in einem der abscheulichsten Inzestfälle der internationalen Kriminalgeschichte hergeben.

FLASH-ANIMATION:Prozess gegen Josef Fritzl

Aus aller Welt sind Medienvertreter angereist, um den „Horror-Vater vom Amstetten“ zu erleben, dessen Verbrechen vor einem knappen Jahr die Welt in Atem gehalten hat. Als er sieben Minuten vor Verhandlungsbeginn, flankiert von acht Justizwachtmeistern, in den Saal geführt wird, versteckt er sein Gesicht hinter einer blauen Mappe, in der seine Verbrechen aufgelistet sind - so als wollte er nicht gesehen werden. Er, der in einem dunklen Kellerverlies seine gefangen gehaltene Tochter regelmäßig zum Geschlechtsverkehr zwang und sieben Kinder mit ihr zeugte.

Zehn Minuten lang versucht ein Fernsehteam des Österreichischen Rundfunks Josef Fritzl wenigstens einen Halbsatz zu entlocken. Ob er, der Biedermann, der zweieinhalb Jahrzehnte die Behörden mit dem angeblichen Ausstieg seiner Tochter in eine „Teufelssekte“ narrte und den gütigen Großvater seiner „Enkel“ spielte, die ihn Wahrheit seine Kinder sind, eine Erklärung für das Unvorstellbare habe. „Kein Kommentar“, zischelt Fritzl halblaut. Vor seiner Verhaftung kursierten Bilder, die einen braun gebrannten Lebemann zeigten, der sich an thailändischen Stränden amüsierte, während seine Gefangenen im Keller schmachteten. Nach fast einem Jahr Untersuchungshaft versucht er zu Prozessbeginn einen gebrochenen Mann, blass und abgemagert, zu mimen.

Zwei Frauen führen in diesem Verfahren Regie - die Vorsitzende Richterin Andrea Humer und Staatsanwältin Christiane Burkheiser Josef Fritzl sei ein Einzeltäter, der „zum Nachteil von Familienangehörigen“ gehandelt habe. „Es ist kein Verbrechen eines Ortes, einer Region oder sogar einer ganzen Nation“, sagt die Richterin. Beinahe traumatisch hat offenbar der Vorwurf die österreichische Seele getroffen, Amstetten oder der Fall der ebenfalls jahrelang eingekerkerten Natascha Kampusch seien ein Spezifikum der Alpenrepublik. Der Prozess befinde sich im Spannungsfeld zwischen Voyeurismus, Sensationslust und dem notwendigen Schutz der Opfer, fährt die Vorsitzende fort. Deshalb wird über weite Strecken, auch wenn die Vernehmung der Tochter über ihr Martyrium per Video eingespielt wird, unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt.

Nur ganz selten wirft die junge Staatsanwältin einen Blick auf die Anklageschrift. In ungewöhnlich persönlicher Form beschwört sie die acht Geschworenen, sich von dem „gepflegten Äußeren, dem höflichen Auftreten und dem kooperativen Verhalten“ des Angeklagten nicht blenden zu lassen. „Er wird sich als äußerst aufopferungsvoller und fürsorglicher Familienvater darstellen, aber es hat keine Anzeichen von Reue oder Unrechtsbewusstsein gezeigt.“ An mehren Stellen an der Holzvertäfelung im Saal hat die Staatsanwältin Markierungen angebracht, um den Geschworenen zumindest ansatzweise ein Gefühl dafür zu vermitteln, was es bedeutet, 24 Jahre lang in einem „irrsinnig feuchten, schimmeligen, modrigen Gefängnis“ eingesperrt zu sein, das an den höchsten Stellen gerade einmal 1,74 Meter misst.

Die ersten neun Jahre hatte Fritzl seine Tochter und die Kinder auf 18 Quadratmetern zusammengepfercht - kaum größer als die Geschworenenbank. „Keiner kann sich ausmalen“, sagt die Staatsanwältin mit bebender Stimme, „was sich da unten abgespielt hat.“ Sie stellt den Angeklagten dar als gefühllosen und mechanisch handelnden Täter: „Er kam, nahm sie sich und ging wieder. Er hat über seine Tochter verfügt wie über sein Eigentum.“

Als im August 1988 das älteste Kellerkind zur Welt kam, habe die Mutter den Säugling in eine nicht sterilisierte Decke hüllen und auf eine verschimmelte Matratze legen müssen. Da hatte Josef Fritzl schon sieben Kinder mit „meiner Gattin“, die bei der Hochzeit siebzehn war. Die Anklägerin spricht von zwiespältigen Gefühlen, die die Tochter durchlitten habe, als er ihr dreimal die Kinder wegnahm. Seiner ahnungslosen Frau und den Behörden gegenüber inszenierte er eine „Kindsweglegung“, wie das im österreichischen Behördendeutsch heißt. Jedes Mal erweckte er den Eindruck, die Kinder seien von seiner Tochter heimlich an der Haustür ausgesetzt worden - und das Jugendamt hegte keinerlei Argwohn. „Einerseits nahm er ihr das Liebste, andererseits wusste sie, sie sind von dem Höllenszenario erlöst.“

In vier der sechs Anklagepunkte - Blutschande, schwere Nötigung, Vergewaltigung sowie Freiheitsentzug - wird Fritzl sich mit fester Stimme schuldig bekennen, sich aber gegen des Vorwurf der Sklaverei und des Mordes verwahren. Die Staatsanwaltschaft legt ihm „Mord durch Unterlassen“ zur Last, weil er bei einer Zwillingsgeburt eines der beiden männlichen Babys trotz eines „massiven Atemnot-Syndroms“ nicht in medizinische Obhut gegeben habe. In diesem Moment wendet sich die Staatsanwältin zum ersten Mal direkt an den unter sich blickenden Angeklagten. „Sie haben Ihrem eigen Fleisch und Blut ärztliche Hilfe verweigert. Da sind Sie zu weit gegangen.“ Das Flehen der Tochter ignorierte er. „Wie es kommt, so kommt's“ soll er nur gesagt haben. Fritzl soll die Säuglingsleiche später im Heizungskeller verbrannt haben. Mit kaum zu überbietendem Zynismus gab er im Gefängnis zu Protokoll, er habe sich mit seiner Tochter auf eine „Feuerbestattung“ verständigt.

Fritzls Verteidiger kostet seine Rolle aus

Verteidiger von Tätern wie Josef Fritzl, die das „gesunde Volksempfinden“ für immer weggesperrt sehen möchte, haben viele Feinde. Rudolf Mayer kostet seine Rolle nach allen Regeln der Kunst aus. Der Wiener Staranwalt zitiert aus Drohbriefen und appelliert an die Geschworenen, „die Emotionen beiseite zu lassen“. 24 Jahre lang, behauptet er lapidar, habe Fritzl sich „eine Zweitfamilie aufgebaut“ und dabei Schuldgefühle mit sich her umgetragen. Ihn als Monster zu charakterisieren, sei abwegig. „Wenn ich nur Sex haben will, mache ich keine Kinder“, lautet Mayers Logik und sein Mandat nickt zustimmend. „Und ein Monster fährt nicht mit seiner schwer kranken Tochter zum Spital.“

Warum sich Fritzl vor einem Jahr auf eine Untersuchung im Krankenhaus eingelassen hat, die sein Doppelleben schließlich auffliegen ließ, ist noch rätselhaft. Vor allem versucht der Verteidiger, den Mordvorwurf zu erschüttern. „Er wollte den Bub eigentlich rauftun zu den anderen.“ Wenn der Angeklagte ein Monster wäre, so das zynische Fazit, „hätte er alle umgebracht und niemand hätte etwas gemerkt.“

Nicht nur vor solchen Szenen will das Gericht die Opfer bewahren und erspart der Tochter die Anwesenheit im Saal. Sie muss auch nicht erleben, wie ihr Vater und Peiniger mit tränenerstickter Stimme von sexuellen Übergriffen seiner Mutter berichtet - auf ihn, den ungewollten und ungeliebten Sohn.

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