Reines Spektakel: „Erdbeerfelder” im Schauspiel Köln

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Köln - Das in der bisherigen Spielzeit eher durchlangweilige und blasse Inszenierungen aufgefallene SchauspielhausKöln hat mit der Uraufführung des Musikstücks "Erdbeerfelder fürimmer" von Erik Gedeon am Donnerstag auch nichts Spektakuläresgeboten. Die knapp zwei Stunden dauernde Show blieb vor allemSpektakel. Noch dazu eines, bei dem die singenden Schauspieler sichmal auf der Bühne erbrechen, mal urinieren oder sich eine Linie Koksreinziehen. Was im Untertitel "A really funny evening with singingGermans" heißt, war vor allem grell und vulgär. Dabei schummelt der Regisseur, der am Thalia Theater mit Erfolgden "Buena Vista Social Club" mit einer Rentnerband imitierte. Mancheiner der Premierengäste im schwach besetzten Großen Haus hatte sichwie im Programmheft versprochen auf Ohrwürmer wie "Marmor, Stein undEisen bricht" oder aber den titelgebenden Song der Beatles"Strawberry fields forever" gefreut. Doch diese beiden Songs gabswie Dutzende anderer auch nur in Form eines gesungenen Halbsatzes inzusammengestückelten Liedchen. Worum geht es bei "Erdbeerfelder für immer"? Um sieben Mitarbeiterim Büro des Deutschen Liederarchivs, die Schumann und Brahms, FreddyQuinn und Peter Alexander in Karteikästen und Ordnern pflegen. Bürokommt immer gut, das wissen Theaterleute seit Franz Wittenbrink seineentfesselten "Sekretärinnen" auf die Bühne brachte. Und tatsächlicherinnert das Bühnenbild in Köln mit seinen Schreibtischen undBüroutensilien erheblich an das inzwischen zum Kultstück avancierteWittenbrink-Musiktheater. Und wie dort, schlummert natürlich auch bei der Liedarchiv-Truppein Köln unter der Oberfläche der deutschen Liedgut- undSchlagermentalität die Sehnsucht nach Sex, Drogen und Rockn Roll. Eskommt wie es kommen muss. Im Verlauf des Abends wird das Liedgut-Archiv zum Schlachtfeld, mutieren die Frustrierten und Verklemmtenauf der Bühne zu den Stones, Janis Joplin, Jimi Hendrix oder CurtCobain. In dem Stones-Hit "Sympathy for the devil" zerfetzt einSchauspieler eine Bibel und verteilt Stückchen davon als Hostie andie übrigen ausgeflippten Büro-Mitarbeiter. Das wird sicherlich für Ärger im Erzbistum sorgen, aber sicherlichist auch der effekthaschend einkalkuliert. Die entfesselten Beamten,die sich mit mit Alkohol und Koks neue Bewusstseins-Kontinente zuerschließen glauben, geraten auf der Bühne immer mehr in Rage. Einbisschen Sado-Maso, ein bisschen Bi- Sexualität und eine starke PrisePopulismus würzen die von Matthias Keul live am Flügel begleitetenDarbietungen der sechs Schauspieler, die offensichtlich viel Spaßhatten. Am Ende werden Musikbücher und Notenblätter verbrannt und eineLiedarchiv-Mitarbeiterin im Hordentopf von ihren als Nackedeiskostümierten Kollegen massakriert. Dann endlich ist Schluss und derSpuk der Zerstörung hat ein Ende. Während die wieder zum Alltagzurückkehrenden Büromenschen über die Macht der Musik nachgrübeln,gibt ihnen ihr blinder Chef die Empfehlung, sich auch mal mit anglo-amerikanischem Liedgut zu beschäftigen. Am Ende gab es viel Beifallund einige Buh-Rufe für zwei Stunden "Erdbeerfelder", die einem wiezu viel gegessene Erdbeeren doch schwer im Magen liegen. Weitere Vorstellungen: 3.,8.,10. April (dpa)

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