StrassenbahnDas letzte Exemplar der Nachkriegszeit

Lesezeit 3 Minuten
Der Achtachser: Im Tunnel unterhalb des Busbahnhofs steht die alte Straßenbahn. (Bilder: Volker Lannert)

Der Achtachser: Im Tunnel unterhalb des Busbahnhofs steht die alte Straßenbahn. (Bilder: Volker Lannert)

Bonn – In der Bonner Unterwelt schlummert so manches Geheimnis: Eines davon ist die alte Straßenbahn, die seit vielen Jahren in einem blinden Tunnelstück hinter dem U-Bahnhof am Hauptbahnhof steht. Nicht viele Menschen wissen von ihr. Die Bahn, von den Experten der Stadtwerke Bonn ganz nüchtern „der Achtachser“ genannt, ist das letzte Erinnerungsstück aus der Nachkriegszeit. Sie fuhr in den späten 50er Jahren bis in die 70er und frühen 80er hinein.

Rote Warnwesten

Es geht hinab: Vom U-Bahn-Bahnsteig am Hauptbahnhof, vorbei an einem Sperrgitter ab in den Tunnel. Die funzelige Beleuchtung an den Wänden flammt auf. Trotzdem bleibt es düster. Wir laufen vorsichtig auf Schotter und Gleisbohlen, tragen rote Warnwesten, damit kein Bahnfahrer die kleine Truppe übersehen kann. Und dann, nach rund 150 Metern im Dunkeln, taucht der „Achtachser“ plötzlich schemenhaft im Lichtkegel der Taschenlampen auf. Wie ein altes Wrack in der Tiefsee.

Gutes Geschäft

Da ist sie, die alte Bahn. Und beim Näherkommen stellt sich das Gefühl ein, als ob man eine Zeitreise macht und dabei ein Geschenk auspackt. „Ja, mit der bin ich als Kind auch noch gefahren...“ Es ist das letzte Exemplar. Die anderen Bahnen dieser Bauart - 37 Stück und neun Beiwagen - wurden 1995 nach Sofia verkauft. Darüber waren die Stadtwerke damals heilfroh. Sie hatten die Verschrottungskosten von 500 000 Euro gespart und noch einen Verkaufspreis ausgehandelt, dessen Höhe nie verraten wurde. Jedenfalls soll es ein gutes Geschäft gewesen sein.

Staub auf den Fenstern

Zurück im Hier und Jetzt des Bahntunnels: Wir gehen näher heran an das alte Schätzchen. Lichtfinger von starken Taschenlampen fressen sich durch die Dunkelheit. Staub liegt auf den Fenstern, die lange Standzeit ist an dem Gefährt nicht spurlos vorbei gegangen. Als Zielhaltestelle steht „Hangelar“ über der Fahrerkabine, tatsächlich fuhr die Bahn auf der Linie H (nach Honnef). Jetzt einmal außen herum, wieder zurück und dann fachsimpeln.

Nach Bulgarien

Es knirscht: Jemand schließt eine Tür auf, schiebt sie mit Gewalt zur Seite. Alles riecht ein wenig muffig. Das letzte Exemplar hatte damals die Reise nach Bulgarien nicht angetreten. Warum? Schulterzucken. Die Erklärung, dass dieser Achtachser nicht mehr auf das Frachtschiff nach Sofia gepasst hatte, lieferte kürzlich der Historische Verein der Stadtwerke auf einer DVD über die Bonner U-Bahn. Ob's stimmt? Die Männer grinsen. Wohl eher unwahrscheinlich. Denn alle anderen Bahnen sind vorher orange umlackiert worden. Nur diese eine nicht.

Im Frachtschiff

Jetzt stehen wir in der Bahn, bestaunen die Inneneinrichtung. Dicker Staub auf grünen Plastikpolstern. Der Fotograf gibt Anweisungen an den SWB-Mitarbeiter, der ganz ans Ende gehen soll. „Und jetzt kommen Sie mir mal entgegen und schwenken bitte die Taschenlampe“, sagt der Kamera-Künstler. Die Canon klickt, die Linse bleibt 30 Sekunden offen, damit später auf dem Bild überhaupt etwas zu sehen ist. Tausende Bonner werden die Bahn noch kennen. Als ihre Schwestern damals per Kran in den Bauch des Frachtschiffes verladen wurden, juxten Augenzeugen: „Sehr ihr, jetzt hatte Bonn sogar mal eine Schwebebahn.“ Die Bulgaren hatten nichts gegen die Bahnen, sie fahren dort bis heute, werden in Sofia immer wieder von staunenden Bonner Besuchern wiedererkannt.

Selber repariert

Auch bei den SWB-Mitarbeitern ruft der Besuch im Untergrund nostalgische Gefühle hervor. „Die habe ich selbst noch repariert und die Trittstufenbeleuchtung gewienert“, erinnert sich Armin Hütsch. Dann, nach 30 Minuten, ist der Besuch bei der alten Dame beendet. Es geht zurück, das Licht im Tunnel erlischt. Um die alte Bahn herum wird es wieder dunkel. Wie die 15 Jahre vorher.

KStA abonnieren