Von der Konditorei zum Weltkonzern

Lesezeit 7 Minuten
Eine historische Werbung für Stollwerck-Schokolade

Eine historische Werbung für Stollwerck-Schokolade

Geniale Marketing-Ideen machten aus dem Kölner Unternehmen vor rund 100 Jahren einen Global Player.

Köln - Der 31. März 2005 markiert einen tiefen Einschnitt in die Kölner Industriegeschichte. Seit 1860 produzierte Stollwerck in Köln Schokolade und Pralinen - nach fast 150 Jahren ist es morgen damit vorbei: Die neuen Herren bei Stollwerck schließen die erst 1997 modernisierte Fabrik in Porz und verlagern die Produktion nach Norderstedt bei Hamburg. Der Kakaokonzern Barry Callebaut in der Schweiz hatte das Traditionsunternehmen vor drei Jahren von Hans Imhoff erworben. Die Kapazitäten in Köln würden nur zur Hälfte genutzt und die Produktion sei angesichts des Preisverfalls auf dem Markt zu teuer, heißt es zur Begründung. Selbst der Markenname verschwindet: Der traditionsreiche Stollwerck-Schriftzug wird von der edelbitteren Schwarze-HerrenSchokolade getilgt. Was in Köln bleibt, ist die Hauptverwaltung für das europäische Verbrauchergeschäft von Barry Callebaut.

Zuckerbäcker als Gründer

Franz Stollwerck, Zuckerbäcker und Konditor, macht sich 1839 in Köln selbstständig und gründet kurz darauf eine eigene „Conditorei und Bonbonfabrik“. Produziert werden Husten- und kurz darauf auch „Brustbonbons“. Schon früh zeigt er sich - zur Verärgerung der Apotheker - bei der Vermarktung sehr geschickt: er schaltet Anzeigen in den Zeitungen, in denen Ärzte die Wirksamkeit seiner Produkte bestätigen und nutzt die gerade erst gebauten Eisenbahnlinien als Vertriebswege. 1860 wird die Produktpalette um Schokolade, Marzipan und Printen erweitert. Ein paar Jahre später eröffnet Stollwerck eine moderne Schokoladenfabrik mitten in der Stadt, in der Hohe Straße 9. Durch große Glasfenster kann jedermann die Herstellung der Schokolade beobachten. Franz Stollwerck zeigt damit, dass seine Schokolade maschinell gefertigt wird, was als besonderes Qualitätsmerkmal gilt. Der Firmengründer nimmt in den sechziger Jahren nach und nach seine fünf Söhne in das Geschäft auf und nennt das Unternehmen nun Franz Stollwerck & Söhne. Doch die zweite Generation kommt mit dem patriarchalischen Stil des Vaters nicht zurecht und die fünf machen sich 1871 als Gebr. Stollwerck selbstständig. Erst nach dem Tod des Vaters 1876 werden die Unternehmen wieder zusammengeführt.

Die Brüder entwickeln das Kölner Unternehmen zu einem Weltkonzern mit eigenen Fabriken in London, Wien, Kronstadt (Brasov / Rumänien), Preßburg und Stamford / USA. Einerseits entwickelt der Tüftler Heinrich Stollwerck Maschinen, die den Geschmack der Schokolade deutlich verfeinern, andererseits zieht sein Bruder Ludwig alle Register des Marketings: Auf der Weltausstellung in Chicago zum Beispiel gilt 1893 das aus 15 Tonnen Schokolade nachgebildete „Niederwalddenkmal“ als Sensation. In Nordamerika steigt Stollwerck zum zweitgrößten Schokoladeproduzenten der USA auf.

Die fortschrittlichen Kölner setzen schon ab 1887 auf den Absatz ihrer Produkte in attraktiv gestalteten Warenautomaten - übrigens gegen manche Widerstände von Einzelhändlern, die den Verkauf außerhalb ihrer Öffnungszeiten monieren und eine Störung der Sonntagsruhe ins Feld führen. Mitte der 90er Jahre stehen allein in New York 4000 Stollwerck-Automaten.

Bilder für den Sammeltrieb

Zu einem genialen Instrument der Kundenbindung werden die bereits zuvor vom Lebensmittelhersteller Liebig eingeführten Sammelbilder, die der Hersteller seinen Produkten beilegt. Ludwig Stollwerck entwickelt die Idee weiter: Er lässt Serien zu je sechs Bildern produzieren und informiert darüber auf der Rückseite der Bilder - was den Sammeltrieb anregt und für Umsatz sorgt. Zudem wird auf höchste Qualität der Bilder geachtet. Zur Mitarbeit an den ersten 18 Sammelalben - allein bis 1918 entstehen nahezu 600 Serien mit insgesamt 3570 Bildchen - werden durch öffentliche Preisausschreiben namhafte Künstler gewonnen. Beteiligt sind zum Beispiel Adolph von Menzel, Max Liebermann und Otto Modersohn.

Köln wird dank des Einsatzes von Ludwig Stollwerck auch zur ersten Filmstadt Deutschlands: Der Unternehmer kauft von den Gebrüdern Lumière die Deutschland-Lizenz für deren Kinematographen. 1896 entstehen in Köln die ersten deutschen Filme: Die Ankunft eines Zuges auf dem Hauptbahnhof, die aus dem Dom strömenden Gottesdienstbesucher und - natürlich - Stollwerck-Mitarbeiter nach ihrer Schicht auf dem Heimweg. Über seinen New Yorker Teilhaber nimmt Ludwig Stollwerck auch Kontakt zu dem Erfinder Thomas A. Edison auf, der für die Kölner die „sprechende Schokoladen-Schallplatte“ entwickelt. Die süßen Platten mit 300 von berühmten Interpreten gesungenen Melodien werden zum Verkaufsschlager.

Um das stürmische Wachstum zu finanzieren, wird Stollwerck 1902 von einer Familien- in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Einige Jahre später - 1906 - wird „Alpia“ als Stollwerck-Marke eingetragen. Die florierende Firma beschäftigt 1500 Mitarbeiter - in der Hochsaison sind es bis zu 4500 Beschäftigte.

Der Erste Weltkrieg führt zur Enteignung von Auslandstöchtern etwa in den USA. Spätestens die Weltwirtschaftskrise der 20er Jahre leitet für den Weltkonzern dann eine Wende ein, von der sich das Unternehmen lange Zeit nicht mehr erholt. 1931 ist das Unternehmen nicht mehr kreditwürdig. Die Mitglieder der Stollwerck-Familie übereignen ihre Aktien an die Deutsche Bank und werden nach und nach aus allen Führungspositionen gedrängt.

Die Nationalsozialisten machen Stollwerck das Leben schwer: Zwar wird Stollwerck wegen seines sozialen Engagements für die arischen Mitarbeiter als „Nationalsozialistischer Musterbetrieb“ ausgezeichnet, muss sich andererseits aber einer problematischen Diskussion über den Wert von Kakao stellen: Den NS-Ideologen gilt Kakao als „rassenverschlechterndes Erbgift“, da er aus Kulturen stammt, die als „minderwertig“ angesehen werden. Im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs werden große Teile des Kölner Werk zerstört.

Die Preisbindung fällt

Mit dem Wiederaufbau der Fabrik knüpft Stollwerck zunächst an alte Erfolge an: In den 50er Jahren wird von 3000 Mitarbeitern schon wieder die komplette (allerdings viel zu große) Produktpalette hergestellt. Wegen Arbeitskräftemangels werden Ende der 50er Jahre Hausfrauen, Schüler und Studenten durch Postwurfsendungen angeworben.

Als verheerend erweist sich für die Kölner allerdings 1964 der Fall der Preisbindung für Schokolade. Kostet die Tafel bis zu diesem Zeitpunkt 1,30 Mark (etwa 0,66 Euro), wird sie in der Folge für nur noch die Hälfte angeboten. Trotz des deutlich steigenden Absatzes fällt es den Herstellern schwer, noch Gewinne zu erzielen, der Verdrängungswettbewerb wird immer härter. Alfred Herrhausen - später Vorstandschef der Deutschen Bank - sucht in der süßen Branche einen Käufer für Stollwerck. Er merkt aber bald, dass Interessenten zwar gerne den Namen übernehmen, die Produktion aber sofort schließen würden.

Herrhausen sucht Käufer

1972 präsentiert Herrhausen auf der Hauptversammlung den aus Köln stammenden Schokoladeproduzenten Hans Imhoff, der in Bullay an der Mosel einen eigenen Schoko-Betrieb besaß. Er will den Konzern nicht zerschlagen, sondern weiterführen und übernimmt gegen manche Widerstände unter den Aktionären die Führung des schwer angeschlagenen Konzerns. Im Lauf der Jahre steigt sein Anteil am Stollwerck-Kapital von anfänglich 0,11 bis auf über 95 Prozent.

Imhoff führt das Unternehmen tatkräftig und schlitzohrig zu einer unerwarteten neuen Blüte. Allerdings wird die Produktpalette von über 1000 auf 190 Artikel zusammengestrichen und auch die Zahl der Mitarbeiter zunächst kräftig reduziert. Doch innerhalb weniger Jahre erzielt Stollwerck wieder Gewinne. In rascher Folge weitet Imhoff nun - auch durch Zukäufe - das Geschäftsvolumen und damit auch wieder die Mitarbeiterzahl aus. So übernimmt er etwa die Firmen Waldbaur, Sprengel, Jacques, die Marken Sarotti und schließlich Gubor. Das Werk in der Südstadt wird geschlossen, ein neues in Köln-Porz eröffnet. Imhoff gründet Fabriken in Polen und Ungarn, übernimmt nach der Vereinigung Produktionsstätten in Ostdeutschland und baut 1997 ein eigenes Werk in Pokrov bei Moskau auf. Im Jahr 2000 setzt Stollwerck über 700 Millionen Euro um und beschäftigt weltweit 5000 Mitarbeiter. Seine Kleinaktionäre verwöhnt Imhoff, der zugleich Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzender ist, mit unterhaltsamen Hauptversammlungen, großzügiger Bewirtung, ordentlichen Ausschüttungen und regelmäßigen Naturaldividenden in Form von Schoko-Paketen.

Rendite reicht nicht

Der ebenso rastlose wie ungeduldige Unternehmer schafft es jedoch nicht, einen Nachfolger aufzubauen. Schließlich bleibt ihm 2002 - im Alter von 80 Jahren - keine andere Wahl als der Verkauf. Barry Callebaut, so heißt es später, habe von den Bewerbern zwar nicht den höchsten Preis, aber die größte Hoffnung darauf geboten, dass die gewohnte Unternehmensstruktur erhalten bleibt. Die Erwartung scheint berechtigt, denn das Schweizer Unternehmen gilt zwar als Spezialist und Marktführer für Industrie-Schokolade, hat aber nur ein relativ kleines Verbrauchergeschäft. Stollwerck erfüllt jedoch nicht die hohen Rendite-Erwartungen von Barry Callebaut. So regiert bald der Rotstift in Köln. In dem Unternehmen, das 30 Jahre lang von einem einzigen Chef geführt wurde, gibt es seit dem Verkauf bereits drei Vorstandschefs.

Morgen beenden die Schweizer mit der Schließung des Werkes in Porz nach fast 150 Jahren die industrielle Herstellung von Schokolade und Pralinen in Köln.

KStA abonnieren