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MissbrauchsskandalKirchliche Sanktionen gegen Priester an Münstereifeler Internat

Lesezeit 4 Minuten
Das erzbischöfliche Konvikt „Collegium Josephinum.

Das erzbischöfliche Konvikt „Collegium Josephinum.

Köln – Drei Plätze an den nüchternen, weißen Bürotischen trennen Rainer Woelki von Werner Becker. Der Kardinal wendet sich dem älteren Herrn mit der Fliege zu, als er mit belegter Stimme „stellvertretend für unser gesamtes Erzbistum um Ihre Vergebung“ bittet. Es ist ein hoch emotionaler Moment im Erzbischöflichen Generalvikariat, wo es am Mittwochvormittag um eine hoch belastende Vergangenheit geht: sexuellen Missbrauch, körperliche und psychische Gewaltan der ehemaligen erzbischöflichen Internatsschule „Collegium Josephinum“ in Bad Münstereifel.

Woelki spricht von „Urkatastrophe“

Zwei Jahre lang hat die Pädagogik-Professorin Claudia Bundschuh mit Beteiligung aller Betroffenen, die ihre Geschichten erzählen wollten, die Geschehnisse aus der Zeit von 1945 bis zur Schließung des Josephinums 1997 aufgearbeitet.

Fast 100 Beiträge sind in Bundschuhs 200-seitigen Endbericht eingegangen. Mit mehr als 400 Zitaten aus 1000 Seiten Datenmaterial gibt er aus erster Hand Einblick in das, was Woelki als „Urkatastrophe“ und „schockierend“ bezeichnet und ihn nach eigenen Worten „mit Scham erfüllt“: „Die Gewissheit, dass in Einrichtungen unseres Erzbistums über viele Jahre jungen Menschen schlimmes Leid zugefügt wurde, noch dazu von Priestern, gehört zu den schwersten Erkenntnissen, mit denen ich in meinem bischöflichen Dienst umgehen muss, und erfüllt mich mit großer Trauer.“ Fast im selben Atemzug verspricht der Kardinal, alles zu tun, damit „solche Verbrechen in unseren Einrichtungen nie wieder begangen werden“.

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Ohrfeigen, Schläge, sexualisierte Gewalt

Die wichtigsten Erkenntnisse aus Bundschuhs Bericht: Die Anwendung körperlicher Gewalt, bis in die 1960er Jahre weit verbreitet, ging danach deutlich zurück und lag in den 1990er Jahren fast bei null – parallel zum gesellschaftlichen Wandel mit der Durchsetzung des Ideals einer gewaltfreien Erziehung.

Opfer einer schwarzen Pädagogik mit Ohrfeigen, Schlägen und anderen Formen der Misshandlung wurden in Bad Münstereifel ausschließlich Schüler unterer Klassen, die im sogenannten „Kleinen Haus“ des Internats untergebracht waren. Sexualisierte Gewalt – zum Teil unterhalb, zum Teil oberhalb der strafrechtlichen Grenze – mussten sowohl jüngere wie ältere Schüler im „Großen Haus“ erdulden.

Von den sieben des sexuellen Missbrauchs Beschuldigten waren sechs Priester. Vier von ihnen traten darüber hinaus auch mit körperlichen Misshandlungen von Schülern in Erscheinung. Diese ging über die Jahre von insgesamt zwölf Lehrern und Erziehern aus. Von den genannten Priestern sind vier noch am Leben. Wie der Interventionsbeauftragte des Erzbistums, Oliver Vogt, erläutert, sind ihre Taten nach staatlichem Recht verjährt. Kirchenintern seien aber gegen zwei Priester Sanktionen verhängt worden: Ein noch aktiver Geistlicher wurde in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Ihm und einem Ruhestandspriester wurden öffentliche Gottesdienste untersagt. Außerdem wurden die Vorgänge zur weiteren Prüfung an die zuständige Glaubenskongregation in Rom weitergeleitet. Weitere Strafmaßnahmen hingen davon ab, ob Betroffene konkretisierbare Vorwürfe erheben, so Vogt.

Woelki will entschädigen

Allen Opfern stellt Woelki eine Entschädigung sowie die Finanzierung etwaiger Therapien in Aussicht. In drei Fällen wurden nach Vogts Angaben bereits Zahlungen in einem Rahmen zwischen 5000 und 15.000 Euro geleistet. Zu den „Hausaufgaben“ für das Erzbistum zählen Woelki und Vogt auch die bereits eingeleiteten Fortbildungsmaßnahmen im Bereich Prävention für kirchliche Mitarbeiter und für die Anwärter auf das Priesteramt.

Neben der geistlichen Ausbildung müsse „ein wesentlicher Fokus auf der sittlich moralischen Reife liegen“, sagt der Erzbischof. „In der Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität darf es dabei keinerlei Tabus geben.“ Offen bleibt, ob auch die katholische Sexualmoral oder die Zölibatsverpflichtung der Priester einer Prüfung unterzogen wird. Dieser Wunsch der Betroffenen ist in den Bericht eingegangen.

Bestrafung gefordert

Werner Becker hat als Erster sexuelle Gewalt am Josephinum öffentlich gemacht. Versuche Dritter, ihn und andere Opfer als Lügner hinzustellen, seien „schwierig auszuhalten“ gewesen. Vom Erzbistum verlangt Becker die konsequente Bestrafung der Täter. Dass dies zum Teil noch nicht erfolgt sei, „ist mir unbegreiflich“, sagt er – ehe ihm vor innerer Bewegung die Stimme versagt und er sein Statement abbricht. Es ist, wie Kardinal Woelki eingangs gesagt hat, „ein schwerer Vormittag“.

Der Abschlussbericht können Sie hier nachlesen.

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