Energiekrise100 Unternehmen droht im Kreis Euskirchen Gas-Lieferstopp

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Die Krise auf dem Energiemarkt hat längst auch den Kreis Euskirchen erreicht. Bürger können ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen, Unternehmen droht der Lieferstopp von Gas.

Die Krise auf dem Energiemarkt hat längst auch den Kreis Euskirchen erreicht. Bürger können ihre Rechnungen nicht mehr bezahlen, Unternehmen droht der Lieferstopp von Gas.

Kreis Euskirchen – „Viele unserer Kunden sind an der Grenze der Belastbarkeit. Das macht uns als Unternehmen große Sorge“, sagt Stefan Dott, Geschäftsführer der e-regio im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Zahl derer, die ihre Strom- oder Gasrechnung nicht mehr bezahlen können, sei deutlich gestiegen. Die Energiekrise sei für viele in der Gesellschaft zu einer großen Belastung geworden. Das Unternehmen will die Windkraft und Photovoltaik massiv ausbauen. Gleich 100 Betrieben droht der Gas-Lieferstopp.

Es sei niemals das Ziel des Unternehmens, den Privatkunden, die ihre Rechnung nicht begleichen könnten, den Gashahn zuzudrehen. „Wir versuchen individuelle Regelungen zu finden – beispielsweise Ratenzahlungen“, so Dott: „Wir überlegen aber auch mit dem Kunden, was er tun kann, um Energie zu sparen.“ Nicht bezahlte Rechnungen könnten auch für das Unternehmen zur Belastung werden.

„Die hohen Rechnungen stellen nicht mehr nur die Unterschicht vor Probleme. Das geht längst in die Mittelschicht rein“, sagt auch Dotts Geschäftsführer-Kollege Markus Böhm: „Gerade junge Familien, die vielleicht gebaut haben, einen Kredit abzuzahlen haben, bekommen zu spüren, wenn sich plötzlich Energiepreise verdoppeln. Das macht uns Sorgen.“ Da müsse die Politik unterstützen. Das habe sie aber auch erkannt.

Politik ist aus Sicht der e-regio gefordert

„Das muss aber schnell und unbürokratisch passieren. Das kann nicht erst nach dem Winter geschehen“, so Dott, der mit Böhm in Kuchenheim am Ende der Leitung sitzt und das umsetzt, was in der Weltpolitik entschieden wird.

Laut einer ersten Analyse der e-regio sind die Bürger sensibilisiert. „Wir haben festgestellt, dass sich das Verbrauchsverhalten der Menschen geändert hat. Der September 2017 war von den Temperaturen vergleichbar mit dem in diesem Jahr, so Dott: „Der Verbrauch 2022 war niedriger als vor fünf Jahren.“

„Druck auf Kommunen wird steigen“

Erneuerbare Energien werden ausgebaut

„Es gibt für erneuerbare Energien mehr Akzeptanz“, sagt Stefan Dott, Geschäftsführer der e-regio. Dafür gebe es mehrere Gründe: die Kostenexplosion auf dem Energiemarkt, der Wunsch nach Unabhängigkeit bei der Energieversorgung und der Klimawandel.

Die e-regio will, so Dott, die erneuerbaren Energien „massiv“ ausbauen – vor allem Windenergie und Photovoltaik. „Wir werden nicht überall da, wo es passt, ein Windrad hinsetzen. Aber nur, um Ärger mit Bürgern zu vermeiden, werden Kommunen den Ausbau von Windenergie nicht aussitzen können oder ausschließlich auf den Ausbau von PV-Anlagen setzen“, so Dott.

Druck auf Kommunen wird steigen

Der Geschäftsführer rechnet damit, dass beim Ausbau der erneuerbaren Energien mehr Druck aufkommen wird – auch bei den Kommunen. Kommunen seien verpflichtet, für  Solarparks Potenzialanalysen zu machen. Gleiches gelte für Windenergie. „Die Landesregierung wird Vorgaben machen, was Kommunen an Flächen zur Verfügung stellen müssen“, berichtet Markus Böhm, ebenfalls Geschäftsführer der e-regio. Zudem werde der  Arten- und Naturschutz aufgeweicht. Sollten die Flächen nicht zur Verfügung gestellt werden, werden sie laut Böhm von übergeordneter Stelle vorgegeben und genehmigt.

E-regio will klimaneutral werden

„Wir haben in der Region ein hohes Potenzial für Öko-Strom. Wir haben allein im Südkreis 3600 dezentrale Einspeiser, die von ihrer privaten PV-Anlage Strom ins Netz speisen“, berichtet Böhm. Bis 2035 will das Unternehmen, das gerade einen Windpark bei Reetz eröffnet hat, zu 100 Prozent auf Ökostrom setzen, um autark gegenüber Börsenschwankungen und Lieferengpässen zu sein. Bis 2040 will man klimaneutral sein. (tom)

Während Privathaushalte zu den sogenannten geschützten Bereichen zählen, also der Gashahn nicht einfach so zugedreht werden kann, gibt es Unternehmen, denen genau das droht. Nämlich dann, wenn die dritte und letzte Stufe, die sogenannte Notfallstufe, im Notfallplan Gas für die Bundesrepublik Deutschland greift. In dieser Phase tritt der Staat in Aktion – in Form der Bundesnetzagentur. Sie wird dann zum „Bundeslastverteiler“.

Das bedeutet: Sie regelt in Abstimmung mit den Netzbetreibern, wie das noch vorhandene Gas verteilt wird – rechtlich abgesichert über Individualverfügungen oder Allgemeinverfügung, beispielsweise für komplette Branchen. „Wir wären dann der Erfüllungsgehilfe“, so Böhm.

"Alle halten sich für systemrelevant"

Bereits im März sei man mit den nicht-geschützten Kunden der e-regio in Kontakt getreten. Es seien zahlreiche Daten erhoben worden – beispielsweise, wie viel Gas für die Produktion benötigt wird, wie viel fürs Heizen, ob Schäden an Maschinen entstehen könnten, wenn das Gas von jetzt auf gleich abgestellt wird. Innerhalb der e-regio seien Mitarbeiter als persönliche Ansprechpartner für bestimmte Unternehmen abgestellt worden.

Vielen Menschen graut es vor den Strom- und Gasrechnungen im Winter. Die Energiepreise steigen und steigen. In Weilerswist diskutierten Experten nun über mögliche Wege aus der Krise.

Vielen Menschen graut es vor den Strom- und Gasrechnungen im Winter. Die Energiepreise steigen und steigen. In Weilerswist diskutierten Experten nun über mögliche Wege aus der Krise.

„Bei uns sind es etwa 100 Kunden, denen ein Lieferstopp in der Notfallstufe droht“, so Böhm. Doch die 100 sind eigentlich aktuell nur acht. Die Bundesnetzagentur könne derzeit nicht so differenziert agieren, wie das einem Netzversorger vor Ort möglich wäre. Deshalb habe die Bundesnetzagentur die Grenze von zehn Megawatt Anschlussleistung gesetzt. Das betreffe bundesweit 2500 Unternehmen, im Versorgungsgebiet der e-regio (dazu zählt auch der linksrheinische Rhein-Sieg-Kreis) immerhin acht Unternehmen, so Böhm. Das Vorgehen der Bundesnetzagentur sei nachvollziehbar, weil von den 100 nicht-geschützten Unternehmen im e-regio-Versorgungsgebiet die Top 10 immerhin 80 Prozent des Einsparpotenzials ausmachten, so Böhm: „Deshalb ist die Strategie, bei den ganz Großen anzusetzen, die richtige.“

Theorie und Praxis lassen sich bei Strom und Gas  nicht vereinbaren

Die Antwort der knapp 100 nicht-geschützten Unternehmen war laut Böhm fast immer die gleiche. „Eigentlich haben alle geantwortet, dass sie systemrelevant sind“, berichtet Böhm. Das sei nachvollziehbar, aber die gesetzliche Lage spreche eine andere Sprache. Nämlich die, dass beispielsweise Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser geschützt sind – die Zulieferer dieser Einrichtungen aber nicht. Ob das in der Praxis aber wirklich funktioniere, stehe auf einem anderen Blatt. Denn wenn Spritzen nicht mehr produziert werden dürfen, kann im Krankenhaus keine mehr gesetzt werden.

e-regio macht Unternehmen im Kreis Euskirchen Hoffnung

Doch die Geschäftsführer machen den Unternehmen Hoffnung. „Aktuell sieht es nicht nach einer Gasmangellage aus. Die Speicher sind voll“, sagen Böhn und Dott unisono. Und es gehe auch nicht darum, Unternehmen mit einem Lieferstopp zu schädigen, sondern für eine Stabilität des Netzes zu sorgen. Sollte das Netz leerlaufen, wie die Experten den Worst Case bezeichnen, sind technische Probleme die Folge. Diese zu beheben, könne mehrere Wochen oder gar Monate dauern.

2020 habe die Megawattstunde Strom im Schnitt 45 Euro gekostet. Aktuell liege der Durchschnittspreis für das Jahr 2022 bei 284 Euro. Auch der Gaspreis habe sich verzehnfacht, sagt Böhm. Macht es da noch Spaß, Geschäftsführer eines Energieversorgers mit mehr als 75 000 Kunden zu sein, wenn aufgrund der Energiekrise Menschen nicht mehr ein noch aus wissen? Wenn Arbeitslosigkeit und Insolvenz drohen? „Ich unterscheide immer zwischen Spaß und Freude“, antwortet Stefan Dott.

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Spaß sei etwas Kurzfristiges, Freude etwas, was innerlich entstehe. „Mir macht der Job sehr viel Freude und motiviert mich. Kurzfristig haben wir eine Krise, aber was hier mittel- und langfristig entsteht, ist eine große Aufgabe. Aber eine, die einem bewusst macht, warum man so viel Freude hat“, so Dott. Das Unternehmen will den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv ausbauen und bis 2040 klimaneutral agieren (siehe „Druck auf Kommunen wird steigen“).

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