Kreis EuskirchenJugendämter ziehen Fazit aus der Pandemie-Zeit

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Familien waren in den Zeiten der Pandemie besonders belastet. 

Kreis Euskirchen – Der Ausbruch der Pandemie und die daraus resultierenden Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung stellten in den vergangenen beiden Jahren nahezu alle Bereiche gesellschaftlichen Lebens vor große Herausforderungen. Vor allem auch Familien erlebten Lockdowns, Kontaktbeschränkungen und Homeschooling als immense Belastung, die bei manchen zu Überlastung und Konflikten führte.

Die Polizeistatistik und andere Untersuchungen belegen: Die häusliche Gewalt nahm während der Lockdowns zu. Akteure, die insbesondere Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen normalerweise wahrnehmen – also Lehrer, Erzieher, Schulsozialarbeiter oder Mitarbeiter in Sportvereinen oder Jugendzentren – waren plötzlich abgeschnitten. Deutlich weniger Verdachtsfälle auf Kindeswohlgefährdung wurden an die Jugendämter weitergeleitet.

„Gerade Kindertageseinrichtungen und Schulen sind systemrelevant, wenn es um den Kinderschutz geht“, sagt Benedikt Hörter, Leiter der Abteilung Jugend und Familie im Kreis Euskirchen.

Wichtige Schnittstelle von Kita und Schule entfiel

Entsprechend entwickelten sich während der zurückliegenden Jahre der Pandemie die Inobhutnahmen von gefährdeten Minderjährigen. Waren es 2019 noch 130, sank die Zahl im Jahr darauf auf 101, „wobei hier das erste Quartal noch vor Ausbruch der Pandemie lag“, so Hörter. 2021 dann waren es nur noch 69 Inobhutnahmen – ein erheblicher Rückgang, der nicht wirklich erfreulich ist, sondern die Bedeutung der Schnittstelle Schule und Kita mit der Kinder- und Jugendhilfe deutlich hervorhebt.

In normalen Zeiten würden im Schnitt fünf bis sechs Hinweise auf Kindeswohlgefährdungen pro Woche beim Jugendamt landen. Die meisten von Fachkräften aus dem Umfeld der Kinder, andere kommen aus Nachbarschaften oder auch häufiger anonym, was die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes nicht hindert, den geäußerten Verdacht ernst zu nehmen.

Immer allen Hinweisen nachgegangen

„Auch während der zurückliegenden Zeit der Corona-Pandemie sind wir allen Hinweisen immer nachgegangen“, sagt Hörter. Die Mitarbeitenden hätten zu allen Zeiten auch aufsuchende Arbeit geleistet – dem Schutzauftrag des Jugendamtes stand der Infektionsschutz gegenüber, was zumindest in den Anfängen der Corona-Zeit für Mitarbeitende auch ein hohes Maß an gesundheitlichen Risiken mit sich brachte.

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Ziel ist immer der Familienerhalt, Benedikt Hörter, Leiter der Abteilung Jugend und Familie. 

Im Bewusstsein der fehlenden Einschätzungen aus Kitas und Schulen sei man auch von sich aus auf Familien zugegangen, die eigentlich nicht mehr im Hilfesystem seien. „Wir sind im Rahmen der Möglichkeiten kreativ geworden“, sagt Hörter. Hinzu kam, dass auch die Teams der Abteilung Jugend und Familie eingebunden wurden in die Kontaktnachverfolgung. „Waren ganze Familien in Quarantäne, dann haben wir uns mit diesen in Verbindung gesetzt und nachgefragt, ob Nachbarn oder Freunde beispielsweise bei der Versorgung mit Lebensmitteln helfen.“

Vier-Augen-Prinzip gilt bei allen Fällen

Grundsätzlich, so Benedikt Hörter, werde im Jugendamt jede Meldung, die die Qualität einer Kindeswohlgefährdung habe, im Vier-Augen-Prinzip besprochen. Dabei wird unter anderem geschaut, ob die Familie bereits ans Hilfesystem des Jugendamts angedockt ist oder ob man „womöglich sofort den Stift fallen lassen und losfahren muss“, so Hörter.

Die Inobhutnahme von Minderjährigen sei oftmals nur für einen beschränkten Zeitraum nötig, den es aber brauche, um die Situation der Familie richtig bewerten zu können. Dabei gehen die Kinder nicht immer in Jugendhilfeeinrichtungen oder Notpflegestellen, oft sind es Verwandte oder befreundete Familien, in denen betroffene Kinder für kurze Zeit unterkommen.

Sozialpädagogische Familienhilfe 

„Ziel ist immer der Familienerhalt – das heißt: eine Rückführung des Kindes mit entsprechender Unterstützung unsererseits“, sagt Hörter. Das bedeutet, dass sogenannte Sozialpädagogische Familienhilfe (SPFH) angeboten wird, durch die die Familien gestärkt werden und so befähigt werden sollen, in Zukunft Probleme besser bewältigen und lösen zu können.

Im Kreis Euskirchen gab es im vergangenen Jahr 454 Familien, die die SPFH in Anspruch genommen haben, die von der Caritas und der Awo in Zusammenarbeit mit dem Jugendamt durchgeführt wird. Im Jahr 2020 waren es 499, davor 489 Familien. „Während der Corona-Zeit haben wir relativ wenige dieser Hilfen beendet, es wäre nicht die richtige Zeit dafür gewesen“, sagt der Jugendamtsleiter.

Hinweise auch anonym möglich

Beratung und Unterstützung

Im Vordergrund der Arbeit der Abteilung Jugend und Familie des Kreises Euskirchen steht, Erziehungsberechtigte zu beraten und zu unterstützen, um die Entwicklung von jungen Menschen zu fördern und Benachteiligungen zu vermeiden. Die frühe und rechtzeitige Beratung und Unterstützung zur Vermeidung gravierender Gefährdungen ist Ziel aller Bereiche der Abteilung Jugend und Familie.  

Verdacht auf Kindeswohlgefährdung

Um Kinder und Jugendliche vor Gefahren für ihr Wohl zu schützen, geht die Behörde allen Hinweisen nach. Wer einen Verdacht auf Kindeswohlgefährdung hegt – zum Beispiel Kindesmisshandlung, sich selbst überlassene Kinder oder schwerwiegende andere Probleme im Elternhaus – kann sich vertrauensvoll und auf Wunsch auch anonym unter Tel. 0 22 51/ 15 860 an das Jugendamt wenden.

Nicht immer seien die Fachkräfte persönlich in die Familien gegangen, manchmal habe auch der telefonische Kontakt ausgereicht. Entschieden wurde auf Grundlage eines Ampelsystems, das der Einschätzung der Familiensituation dient. Bei einer roten Ampel habe es auch während der kontaktbeschränkten Zeiten persönliche Besuche gegeben. „Dann eben auf dem Balkon, vor dem Haus oder bei einem Spaziergang“, sagt Hörter.

System der Ampelschaltung genutzt

Den Kontakt zu den Kindern habe man nach Möglichkeit immer persönlich gesucht. „Wir mussten jonglieren, genau wie alle anderen auch“, resümiert Hörter. Das System der Ampelschaltung sei dabei eine große Hilfe gewesen.

Dass das Jugendamt in erster Linie eine helfende, unterstützende Instanz ist, bleibt leider immer noch häufig in der Außenwahrnehmung auf der Strecke. „Umso schöner ist es, dass wir allmählich wieder mit unseren Baby-Begrüßungsbesuchen beginnen können“, sagt Benedikt Hörter.

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Der für den jeweiligen Bezirk zuständige Sozialarbeiter oder die Sozialarbeiterin kommen nach der Geburt eines Kindes mit einem Paket an Informationen und kleinen Geschenken zu den frischgebackenen Eltern nach Hause. Abteilungsleiter Benedikt Hörter: „So bekommt das Jugendamt ein Gesicht, und die Eltern melden sich dann auch eher von sich aus, wenn sie Schwierigkeiten haben und Unterstützung benötigen.“

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