Das Kunstprojekt „Ikonen des Möglichen“ dreht traditionelle Rollenerwartungen um. Eine Irritation, die zum Nachdenken anregen soll.
Ikonen des MöglichenIm Kloster Steinfeld sind Frauen in der Rolle männlicher Heiliger zu sehen

Vorsichtig entrollen Monika von Bernuth (l.) und Vera Sous die Ikone von Ghada Khano. Khano hat sich als heiligen Christopherus dargestellt.
Copyright: Stefan Lieser
Frauen in der Rolle männlicher Heiliger der katholischen Kirche? Neun Frauen aus der Qualifizierungswerkstatt Spectrum des Rheinischen Vereins für katholische Arbeiterkolonien haben sich das getraut: Sie haben für den Kreuzgang des Klosters Steinfeld Wandbehänge hergestellt, in denen sie mit ihrem Konterfei die Hauptrolle spielen. Unverwechselbar. Aber in der Gestalt der Heiligen Christopherus, Franziskus und Martin.
2025 ist das Heilige Jahr, in dem im Bistum Aachen das Kloster Steinfeld als Pilgerort und Ort der Besinnung ausgewählt ist. Als offene Tür steht es symbolisch auch für Ausgegrenzte oder Andersdenkende. Eine Idee für ein neues Kunstprojekt, dachten sich Spectrum-Leiterin Monika von Bernuth und die Künstlerin Vera Sous. Sie fanden im Spectrum-Team neun Frauen, die mitmachen, „Ikonen des Möglichen“ heißt das Ergebnis. Es dreht traditionelle Rollenerwartungen um – und macht aus heiligen Männern Frauen: sie selbst.
Ikonen sind hier keine auf Holztafeln nach strikter Motivgestaltung definierte Ölbilder, sondern neun Textilien, jeweils 2,30 Meter lang, 1,35 Meter breit und rund 14 Zentimeter tief. Entstanden sind Materialcollagen, deren Motivumsetzung konservative Christen durchaus irritieren kann: Dargestellt sind zwar an ihren Attributen leicht identifizierbare Heilige, auch der Heiligenschein ist immer vorhanden. Doch die Gesichter sind keine gemäß der Tradition stilisierten, meist bärtigen Männer.
Viele Frauen haben sich in dem Projekt unterschiedlich eingebracht
Befestigt sind die Arbeiten oben und unten in offenen Kastenrahmen, dazwischen zieht sich der bedruckte Stoff glatt. Verarbeitet sind als Grundierung im Stoff verdünnte Acrylfarben, bewusst eher blass gewählt. „Sie sollen so wirken, als ob sie schon immer hier hängen und sich den Grundfarben des Kreuzgangs anpassen“, so Vera Sous. Bearbeitet wurden sie von möglichst vielen Händen: Die eine Frau könne eben besser malen, eine andere fülle lieber mit Linoldruck die Rahmenarabesken. Immer fanden sich Teilnehmerinnen, die die vielen und aufwendigen Stickereien etwa von Pflanzen und Blumen übernommen haben.

Aufgestickte Blumen rückt Monika von Bernuth an der Ikone von Asmet Idrees zurecht.
Copyright: Stefan Lieser

Ungewöhnlich, aber doch kein Wagnis, sagen P. Lambertus Schildt (l.) und Martin Reinicke (2.v.r.) über die Ausstellung, die Monika von Bernuth (2.v.l.), Oswaldo Puente (M.), Vera Sous und Dietmar Schmitz eingerichtet haben.
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Ikonen des Möglichen sind in neun Wandnischen des gotischen Kreuzgangs des Klosters Steinfeld zu sehen.
Copyright: Stefan Lieser
Diese Ikonen, lebensgroß, wurden von den Frauen gewählt, weil sie gerade im Heiligen Jahr für mehr Sichtbarkeit derer werben wollen, die auf der Schattenseite der Gesellschaft leben. Und das tun sie in Steinfeld mit dem Mut der klaren Identifizierbarkeit. Ein Karneval der Heiligenkostümierung ist das nicht und auch keine vordergründige Form der Gleichberechtigung. Stattdessen stehen die ausgewählten Heiligen für christliche Werte wie Nächstenliebe, Mildtätigkeit, Toleranz oder den Schutz der Schöpfung. Weibliche Heiligen wurden nicht ausgesucht. So ist die Irritation, die zum Nachdenken führen kann, vermutlich umso größer.
Marisa Bach ist dafür mit ihrem Porträtbild in die Rolle des heiligen Franziskus geschlüpft, Asmat Idrees in die des Benedikt, Yen-Le Thois ist der weibliche St. Martin von Tours, Ghada Khano eine prachtvolle Christopherus, das Kind auf der Schulter, einen aus echtem Holz eingearbeiteten Wanderstock in der Hand. Joumana Salem wählte den heiligen Kamillus von Lellis. Sie ist Muslima und geht besonders weit: Sie trägt verhüllende Kleidung inklusive Kopftuch, aber darüber das christliche Kreuz – ein Appell für religiöse Toleranz. Der heilige Kamillus wird in der katholischen Kirche als Schutzpatron aller Krankenschwestern, Krankenpfleger und ihrer Vereinigungen verehrt.
Kann sich ein katholisches Kloster so eine Irritation leisten?
Ist das alles für ein katholisches Kloster ein Wagnis? Für P. Lambertus Schildt, Vorstand der Stiftung Kloster Steinfeld, die über ihre Kustodin Ute Stolz auf das Kunstprojekt aufmerksam wurde, eher nicht. „Das kann das Kloster gut ab, das passt hier rein“, sagt er. Zumal die jetzt mit den Wandbehängen bestückten Wandnischen des gotischen Rippengewölbes ja auch sonst mit Textilien bestückt sind, die dann Stationen aus der Passion zeigen.
Ein Bezug der Frauen in den Ikonen zum Kloster ergibt sich über die vormals im Kloster Maria Frieden bei Dahlem lebende, kleine Trappistinnengemeinschaft, die mittlerweile vor den Toren des Steinfelder Klosters ihre neue Klausur gegründet hat. In Maria Frieden hat der Rheinische Verein ein Wohnheim für wohnungslose und schutzbedürftige Frauen eingerichtet.
„Diese Ausstellung verbindet das Kulturelle mit dem Spirituellen, beides entspricht unseren Stiftungszwecken“, so Martin Reinicke von der Stiftung Kloster Steinfeld. Sie will die Ausstellung bis zum Jahresende im Kreuzgang zeigen, danach soll sie auch an anderen Orten zu sehen sein. Was die Ikonen anmahnen, bleibt auch nach Ende des Heiligen Jahres aktuell.