Kampf gegen „Region plus“Bürger wollen nicht zum Kölner Speckgürtel werden

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Auch auf der grünen Wiese gebaut: Siedlung in Mechernich-Kommern

Auch auf der grünen Wiese gebaut: Siedlung in Mechernich-Kommern

  • In Mechernich wehren sich Bürger gegen „Region plus“, eine Aktion der Landesregierung zur Schaffung von Wohnraum.
  • Sie befürchten durch die rapide zunehmende Bebauung eine mögliche Vereinnahmung der Stadt als nächster Speckgürtel von Köln.
  • Eine Reportage aus Firmenich, einer Siedlung in Mechernich-Kommern.

Mechernich – Am Zaun vor ihrem Haus in der schönen ruhigen Straße oben im schönen ruhigen Stadtteil Firmenich haben die Essers zwei Protestschilder angebracht. Eines der Plakate ist gestaltet mit großen und kleinen, mit schrägen und geraden Buchstaben und auch der Text ist, wenn man ehrlich ist, ziemlich kompliziert: „Wir brauchen – bezahlbaren Wohnraum in den Städten, aber – keine weitere Bebauung von – für Menschen, Tier & Natur – wertvolle Flächen auf dem Land!“ Oha. Auf die Frage, ob das nicht auch etwas einfacher gegangen wäre, muss Heidi Esser ein bisschen lachen. „Na ja“, sagt sie, „das ist ja auch meine erste Revolution.“ Bis gerade eben hatte die Revolution noch drinnen im Wohnzimmer gesessen. Gelbe Tulpen auf dem Tisch, Aktenordner, Zeitungsausschnitte und drumherum saßen einige Mitstreiter. 

Der Name der Gruppierung, für die sie stehen, ist auch nicht gerade eingängig: „Initiative für die ortsansässigen Bürger von Mechernich zum Schutz unserer naturnahen Heimat und zum Erhalt des ländlichen Charakters“ – die Abkürzung „IfdoBvMzSunHuzEilC“ hat sich erwartungsgemäß nicht durchgesetzt. Aber immerhin verrät der Name ziemlich genau, worum es geht.

Kämpfer aus Firmenich: Marlene Schiffer, Hans Nositschka, Hubert und Heidi Esser und Herbert Paas (v.l.)

Kämpfer aus Firmenich: Marlene Schiffer, Hans Nositschka, Hubert und Heidi Esser und Herbert Paas (v.l.)

Auf der Terrasse der Essers steht ein schöner Grill, man hat freien Blick auf eine stattliche Wiese, die linkerhand bis zum Naturschutzgebiet reicht. Und genau hier wird die Stadt Mechernich eine Neubausiedlung errichten – bald geht’s los, 37 Einfamilien-Häuser entstehen und der Zorn der Essers und ihrer Nachbarn aus dem Ort ist groß. „Bauwut“ ist ein häufig benutztes Wort für das Vorgehen der Stadt; Empörung und Misstrauen werden gespeist durch das, was als Arroganz und Mangel an behördlicher Transparenz beschrieben und empfunden wird.

Ausgewiesene Baufläche seit 2006

Thomas Schiefer, Stadtentwickler von Mechernich, hat im Rathaus die Karte des Flächennutzungsplans ausgebreitet. „Hier“, sagt er, „ist die Erschließungsstraße und dort“, er zeigt auf die Grünfläche hinter dem Haus der Essers, „das ist ein Baugebiet – ausgewiesen seit 2006“, sagt er, „und das wissen die Leute auch, die da wohnen.“

Hubert Esser findet nicht, dass dies ein Schwachpunkt in der Argumentation der Bürgerinitiative ist. „Ja“, sagt er, das sei alles bekannt. Aber als man vor etwa 20 Jahren hergezogen ist, da habe die Verwaltung ihnen allen versichert: „Dass hier gebaut wird – das werdet Ihr nicht mehr erleben.“ Und jetzt doch.

Simon Wittig wohnt gar nicht hier im Viertel, er unterstützt die Leute aber, weil er einen ähnlichen Kampf führt und auch eine Homepage zum Thema unterhält. „Die Strategie der Stadt ist es, nicht zu kommunizieren“, sagt er. Unterrichtet würden die Bürger immer erst, wenn alles beschlossen sei – die Siedlung in Kommern-Süd, dann in Obergartzem, jetzt in Firmenich und schließlich stehen zwei Großprojekte an – eine 20 Hektar große Milchfabrik der Firma Hochwald in Obergartzem und nun noch eine sieben Hektar große Pilzzuchtanlage – überdachte Fläche, die mit Landwirtschaft in dem Sinne nicht viel zu tun hat, wie auch Thomas Schiefer von der Verwaltung einräumt. Man suche noch nach rechtlicher Handhabe gegen die Anlage, sagt er.

Menschen drängen in die Speckgürtel

100 Arbeitsplätze bringen die Pilze, wenn die Anlage nicht noch verhindert wird – „aber das sind Mindestlohnarbeitsplätze“, sagt eine Freundin der Essers, das habe sie gehört. „Wir holen uns so die Hartz 4-Probleme in den Ort“, sagt sie. Als der Satz nachhallt im Zimmer, schaut sie etwas erschrocken – das sei jetzt falsch rübergekommen, versichert sie und man möchte es glauben.

Es geht ja weiter: „Region plus“ heißt eine Aktion der Landesregierung zur Schaffung von Wohnraum. Weil in Köln ein Bevölkerungszuwachs eher kurz- als mittelfristig von 200.000 Menschen erwartet wird, werden 8000 Wohnungen jährlich benötigt; in Bonn sind es jährlich etwa 2800. Absolut unmöglich. Aus den Städten drängen die Menschen stattdessen in die Speckgürtel, wo in der Folge ebenfalls die Grundstücks- und Immobilienpreise explodieren. Deshalb werden die Speckgürtel nun erweitert – die Grenze liegt bei 45 Minuten Anfahrt mit Zug oder Auto.

Die Nachfrage ist gewaltig

„Die Landesregierung hat erkannt: Für den Betrag X bekomme ich in Köln vielleicht eine Eigentumswohnung, in Hürth eine Doppelhaushälfte und südlich von Euskirchen ein frei stehendes Einfamilienhaus“, sagt Georg Schmiedel, Geschäftsführer der F&S-concept, einer Entwicklungsgesellschaft mit Sitz in Euskirchen. Sein Unternehmen kauft geeignete Grundstücke und entwickelt daraus in Absprache mit den Kommunen Baugrund. Die Nachfrage ist gewaltig: „Wir haben in Bad Münstereifel-Arloff/Kirspenich kürzlich 109 Grundstücke angeboten – jetzt, kaum 12 Monate später, ist dort fast alles fertig. Verrückt. Normal wären für so ein Gebiet vielleicht drei Jahre.“

Seit 2006 als Baugebiet ausgewiesen, soll die Fläche in der Bildmitte jetzt bebaut werden

Seit 2006 als Baugebiet ausgewiesen, soll die Fläche in der Bildmitte jetzt bebaut werden

Die Stadt Mechernich sieht in dem „Region plus“-Programm die Möglichkeit, den demografischen Wandel umzukehren und hier am Rande der Eifel vielleicht teilzuhaben am Boom der Großstädte. „Bauwut!“, sagt Herbert Paas, ein Nachbar der Essers, angesichts dieser Pläne, „die Kölner sollen ihre Wohnungsprobleme selbst lösen. Wenn Mechernich die Probleme von Köln löst, verlagern wir die Leute nur in die Staus auf den Autobahnen.“ Simon Wittig hatte mal nachgerechnet und kam auf „mehrere Millionen Pendelkilometer pro Jahr.“ Und Birgit Esser sagt: „Wir sind damals nach Mechernich gezogen, weil es so ruhig und naturnah ist. Ich bin nicht hierher gezogen, um in einer Industriestadt zu wohnen.“

„Der Konflikt“, glaubt Schmiedel, „ist nicht ein Konflikt Land gegen Kölner; es geht um die zunehmende Verdichtung von Bauland.“ Das sieht Thomas Schiefer ähnlich: „Wir fressen hier Fläche, das muss man so sehen“ – aber das sei Wille der Politik. Aktivist Wittig glaubt, dass inzwischen eine Mehrheit der Mechernicher auf Seiten des Protestes steht – „wenn die Stadt denn mal aufzählen würde, was sie eigentlich genau vorhat.“ In Obergartzem jedenfalls, da wolle jetzt jemand eine Partei gründen, um Gehör zu finden. 

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