Tagelang konnten Pflegedienste nach der Flut 2021 ihre Kunden nicht erreichen. Die warteten auf Hilfe. Daher schult das Kreis-DRK jetzt Menschen in Grundlagen der Pflege.
PilotprojektDeutsches Rotes Kreuz im Kreis Euskirchen schult Kräfte zur Pflegeunterstützung

Wer sich nicht selbst im Bett umdrehen kann, muss umgelagert werden. Simone Pesch erklärt Tanja, wie das geht.
Copyright: Ulla Jürgensonn
Wie hilft man jemandem, der sich nicht selbst im Bett umdrehen kann, eine bequeme Lage zu finden? Wie unterstützt man einen pflegebedürftigen Menschen beim Essen? Beim Zähneputzen? Und – auch das – beim Verrichten der Notdurft? Handreichungen, die nötig sein können, wenn für die Profis kein Durchkommen ist.
In der Flut vor vier Jahren gelangten viele Pflegedienste tagelang nicht zu ihren Kunden, weil die Straßen überflutet oder die Autos weggespült waren. Aber es muss nicht gleich so dramatisch sein. Es genügt, dass eine alte Fliegerbombe gefunden und ein Wohnviertel evakuiert wird. Unter den Menschen, die dann in Turnhallen oder anderen Notunterkünftigen untergebracht werden, sind immer mehr, die sich nicht allein helfen können.
Projekt in Zusammenarbeit mit der DRK-Schwesternschaft Bonn
An diesem Punkt setzt das Pilotprojekt Pflegeunterstützungskraft (PUK) des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) an. Das DRK im Kreis Euskirchen ist dabei, es bietet in Zusammenarbeit mit der DRK-Schwesternschaft Bonn Kurse an, bei denen die Teilnehmenden in vier Tagen erste Grundlagen der Pflege lernen. Damit sie sich bei der Pflege ihrer Angehörigen sicherer fühlen. Und damit sie einspringen können, wenn die Einsatzkräfte mit anderen Aufgaben gebunden sind.
Zehn Frauen und drei Männer sind zum ersten Kursus ins Rotkreuz-Zentrum Euskirchen gekommen. Wir sind eine bunt gemischte Truppe, sowohl was das Alter als auch die Motivation angeht. Da ist beispielsweise Hannah, die sich um ihren kranken Vater kümmert. Oder Christine, die in einer Einrichtung für Menschen mit Demenz arbeitet.

Alles eine Frage der Technik: Mit den richtigen Griffen setzt Christine Marita in den Rollstuhl, den Georg festhält.
Copyright: Ulla Jürgensonn
Andere sind auf der Suche nach einem erfüllenden, sinnvollen Ehrenamt. Die einen leisten zu Hause schon Pflegearbeit, die anderen wollen herausfinden, ob sie das überhaupt können: Menschen bei den einfachsten, aber auch den intimsten Handlungen unterstützen, auf Tuchfühlung gehen und auch die Hilflosigkeit des Gegenübers aushalten.
Gar nicht so einfach: Mit einem Luftballon wird das Rasieren geübt
Simone Pesch wird uns vier Tage lang das Thema Pflege näherbringen. Sie macht uns Mut: „Davor muss man keine Angst haben.“ Vor der dazugehörigen Theorie übrigens auch nicht. Auch wenn es eine ganze Menge ist, von Katastrophenschutz über rechtliche Grundlagen bis zu ethischen Fragen. Simone Pesch ist Intensivschwester, und sie lässt uns an ihrer Leidenschaft für die Pflege teilhaben. Mit Humor, Empathie und Energie schafft sie es, dass vier Tage lang weder Langeweile noch andere negative Gefühle aufkommen.

An einem Luftballon probiert Hannah aus, wie man sein Gegenüber rasiert.
Copyright: Ulla Jürgensonn
Im Gegenteil: Ich hätte nicht gedacht, dass man bei einem so ernsten Thema so viel lachen kann. Zwischendurch sieht es eher nach Kindergeburtstag als nach konzentriertem Lernen aus. Wir pusten Luftballons auf, um sie zu rasieren. Gar nicht so einfach, einem wackeligen Gegenüber mit einem Rasierapparat im Gesicht zu hantieren. Kein Ballon platzt, das macht optimistisch, dass im Ernstfall der Pflegende ohne Schnittwunden davonkommen würde.
Wir müssen die Grenzen, die der andere setzt, reflektieren, respektieren und akzeptieren.
Mit Lego spielen wir auch. Eine Gruppe bekommt die Steine, die andere die Bauanleitung. Über Funk muss das eine Team den anderen erklären, was zu tun ist. Das schult die Kommunikation: Erst denken, dann reden. Und das möglichst präzise.

Nur anfangs kostet es ein bisschen Überwindung, einen anderen Kursteilnehmer zu waschen. Pierre plaudert währenddessen mit der „Patientin“.
Copyright: Ulla Jürgensonn
Wir putzen einander die Zähne, reichen Essen an. Und lernen: Füttern ist ein Wort, das man bei Erwachsenen nicht benutzt. Wie auch die Windel nicht Windel, sondern Inkontinenzschutzhose genannt wird. Das ist eine Frage des Respekts. Es geht ganz viel um die Würde des Pflegebedürftigen, ein Thema, das Simone Pesch am Herzen liegt. „Wir müssen die Grenzen, die der andere setzt, reflektieren, respektieren und akzeptieren.“
Auch eine zierliche Frau kann mit der richtigen Technik einen kräftigen Mann bewegen
Und doch müssen wir sie auch überschreiten, zumindest im räumlichen Sinne. Bei den praktischen Übungen kommt man sich nahe, sehr nahe. Jeder spielt alle Rollen durch, ist mal der Pflegende und mal der Pflegebedürftige. Wir waschen einander behutsam Gesicht und Arme, deuten auch die Intimpflege an. Wir lagern einander um, helfen beim Aufstehen. Geduldig zeigt und erklärt Simone Pesch die Techniken, die es möglich machen, dass auch eine zierliche kleine Frau einen kräftigen Mann bewegt bekommt.

Die angehenden Pflegeunterstützungskräfte lernten vier Tage lang beim DRK Theorie und Praxis.
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Anstrengend ist es trotzdem, auch wenn es bei der erfahrenen Krankenschwester so leicht aussieht. Ein Patient, der sich gar nicht mehr bewegen kann, muss alle drei bis vier Stunden umgelagert werden, erfahren wir. Und das rund um die Uhr. „Aber dann schläft man ja keine Nacht mehr durch!“ Georg wird erst allmählich klar, was es heißen kann, einen Verwandten zu pflegen. Andere Kursteilnehmerinnen kennen das schon: „So ist es“, antworten sie einstimmig.
Das Gesicht des Helfenden muss freundlich sein
Wir üben, dem anderen eine Inkontinenzschutzhose anzuziehen und ihm das Steckbecken unterzuschieben, besser bekannt als Bettpfanne. Und auch, wenn wir natürlich angezogen sind, ist die Situation herausfordernd, für mich jedenfalls. Als ich da liege und mich tatsächlich hilflos fühle, begreife ich, wie wichtig es ist, dass das Gesicht, zu dem ich aufschaue, ein freundliches ist.
Andersherum fällt es mir erstaunlich leicht. Schnell verliere ich die Scheu, einen anderen Kursteilnehmer anzufassen, hochzuheben, aufzufangen. Wir lernen, dem Patienten immer zu sagen, was wir tun, auch das ist eine Frage des Respekts. „Ich schiebe jetzt meinen Arm unter Ihr Gesäß.“ Am ersten Tag undenkbar, am vierten Tag überhaupt kein Problem mehr.
Das Fazit am Ende des Lehrgangs fällt von allen positiv aus. Wir haben viel gelernt in den vier Tagen, tatsächlich auch viel gelacht. Und es herrscht Einigkeit: Wenn Hilfe gebraucht wird, wollen wir am Start sein.
Mit dem Projekt ist das DRK im Kreis Euskirchen bundesweit Vorreiter
Das DRK im Kreis Euskirchen ist bundesweit Vorreiter bei der Ausbildung von Pflegeunterstützungskräften. Das Projekt ist in Zusammenarbeit mit der DRK-Schwesternschaft Bonn ganz lokal entstanden. Nach rund zwei Jahren Vorarbeit hat es in den vergangenen Monaten bundesweit Kreise gezogen.
Die Schwesternschaft Bonn hat es in der Bundeskonferenz der Schwesternschaften vorgestellt, die Berufsverbände im Bereich der Pflege zeigen Interesse daran. Die DRK-Schwesternschaft hat einen Forschungsauftrag bekommen, ein Ausbildungsmodul Pflege in Krise und Katastrophe zu entwickeln.