Interview zum FachkräftemangelWelche Chancen sich Unternehmen im Kreis Euskirchen bieten

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Zu sehen ist ein Mitarbeiter einer Stahlbaufirma, der Metall bearbeitet.

Im Rennen um Fachkräfte hat es der ländliche Raum bislang schwerer als die Ballungszentren.

Jutta Rump ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre in Ludwigshafen. Im Interview spricht sie über den Fachkräftemangel im ländlichen Raum.

Ist das Thema Fachkräftemangel überall in den Betrieben angekommen?

Jutta Rump: Bei den meisten Führungskräften schon, aber noch nicht bei allen. Vielen ist wohl auch die Tragweite der Demografie nicht bewusst. 25 Prozent aller Arbeitnehmer sind aktuell über 55 Jahre alt. Bis 2035 werden zwischen elf und zwölf Millionen Menschen das Arbeitsleben verlassen. Nur rund 60 Prozent können durch junge Nachrücker ersetzt werden.

So entsteht eine Lücke von 4,5 bis sechs Millionen Menschen. Die Auswirkungen werden sich vor allem in den 2030er-Jahren zeigen. Die mögliche Tragweite dieser Entwicklung ist auch meinen Studierenden oft nicht klar. Das gilt auch für die Bevölkerung.

Das Foto zeigt Prof. Dr. Jutta Rump im Gemünder Kurhaus bei einer Veranstaltung der Dienstleistungsgenossenschaft Eifel.

Prof. Dr. Jutta Rump war bereits im Juli vergangenen Jahres bei einer Veranstaltung der DLG Eifel im Gemünder Kurhaus aufgetreten.

Wer ist beim Thema Fachkräftemangel im ländlichen Raum mehr in der Pflicht: die Politik, die die Rahmenbedingungen setzt, oder die Unternehmen?

Das kann ich nur mit sowohl als auch beantworten. Die Untersuchungen, die wir schon seit sehr vielen Jahren machen, zeigen deutlich, dass auch die Unternehmen gefordert sind. Wer ein attraktiver Arbeitgeber sein möchte, muss in Zeiten von Personalknappheit auch investieren und professionell und wertschätzend mit seinen Mitarbeitern umgehen.

Ein wichtiger Punkt bei der Mitarbeiterbindung ist das Thema Unternehmenskultur.
Jutta Stump

Die andere Seite der Medaille ist aber die Attraktivität des Standorts. Am Ende muss den Menschen auch die Region gefallen, damit sie dort bleiben. Das ist eine Aufgabe, der sich die Kommune und die Politik stellen müssen. Beide Seiten sollten Hand in Hand gehen und sich abstimmen.

Größere Betriebe haben es oft leichter, sich attraktiv aufzustellen. Aber was ist mit den kleineren Firmen? Welche Möglichkeiten haben sie, dem Fachkräftemangel zu begegnen?

Jede Branche und jede Unternehmensgröße hat Chancen, aber natürlich auch Risiken. Größere Firmen können sicherlich mehr Karrierechancen und vielleicht auch höhere Gehälter bieten. Kleinere Betriebe haben dafür oft so etwas wie einen ,Familienanschluss'. Man kennt sich. Ein wichtiger Punkt bei der Mitarbeiterbindung ist das Thema Unternehmenskultur. In größeren Konzernen sind Angestellte oft nur ein kleines Rad in einem riesigen Getriebe. In kleineren Einheiten sind die Mitarbeiter oft näher dran am Geschehen und haben den gesamten Prozess im Blick. Das bedeutet aber auch, dass Führung in solchen Betrieben extrem professionell sein muss. Allen muss klar sein, dass Mitarbeiter in Zeiten von Personalknappheit viel leichter ihre Stelle wechseln können, weil es genügend Alternativangebote gibt.

Wie zeichnet sich ein professioneller Führungsstil aus?

Unternehmen müssen klar machen, was sie auf dem Arbeitsmarkt bieten können und was nicht. Man muss nicht jedem Trend hinterherlaufen. Ich kann zum Beispiel in einer Schreinerei kein Home-Office anbieten. Die Chefs müssen sich fragen, was passt zu meinem Unternehmen? Darüber hinaus ist eine strategische Personalplanung enorm wichtig: Wie viele Mitarbeiter habe ich aktuell, wie viele Mitarbeiter brauche ich im Jahr 2030? Welche Kompetenzen werden benötigt? Das ist kein Hexenwerk. Von großer Bedeutung ist auch die regelmäßige Kommunikation mit den Mitarbeitern. Da muss man auch einmal begründen, warum man etwas so und nicht anders macht.

Im Moment können sich viele jüngere Menschen sehr gut vorstellen, im ländlichen Raum zu wohnen und zu arbeiten.
Jutta Rump

Wieso ist das wichtig?

Die Mitarbeiter, die heute in den Unternehmen anfangen zu arbeiten, sind eine Generation von jungen Menschen, die zum Großteil aus Familien mit ein oder zwei Kindern kommen. Sie sind oft in einem demokratischen Führungsstil erzogen worden. Da haben die Eltern mit den Kindern diskutiert und ihnen ihre Entscheidungen erklärt. Die jungen Leute sind es also gewöhnt, mitzureden.

Ist der ländliche Raum stärker vom Fachkräftemangel betroffen als die Ballungsgebiete?

Im Moment ist das tatsächlich noch so. Zurzeit hat der ländliche Raum noch mehr Probleme Fachkräfte zu gewinnen als die Städteregionen. Neueste Untersuchungen zeigen aber, dass der ländliche Raum auf dem Vormarsch ist. Gerade die Young Professionals unter 35 Jahre entdecken die kleineren Städte. Wir sind uns aktuell noch nicht sicher, ob das noch eine Auswirkung aus der Zeit der Corona-Pandemie ist oder ob es der Beginn einer neuen Ära ist. Im Moment können sich viele jüngere Menschen sehr gut vorstellen, im ländlichen Raum zu wohnen und zu arbeiten. Die Attraktivität der Ballungsräume sinkt aktuell. Das hat auch mit den hohen Lebenshaltungskosten in den Städten und dem geringeren Platz zu tun.

Da könnte sich also eine Chance für den ländlichen Raum bieten?

Diese Rechnung geht aber nur auf, wenn in diesen Regionen die IT- und die Verkehrsinfrastruktur sowie die ÖPNV-Anbindung gut ist. Außerdem muss natürlich auch genug Wohnraum vorhanden sein. Das sind die Hausaufgaben, die die Politik erledigen muss.

Unternehmen müssen im Bereich Personal solide aufgestellt sein.

An welchen Stellen gibt es bislang noch die größten Defizite in den Unternehmen?

Es wird täglich besser. Je angespannter die Situation auf dem Arbeitsmarkt ist, umso mehr kommt es zu Veränderungen. Viele Unternehmen sind jetzt aus der Schockstarre raus und fangen an zu agieren. Bislang hatten nur wenige Betriebe eine strategische Personalplanung. So lange der Personalbedarf und die -struktur aber nicht systematisch erfasst werden, ist das in etwa so, als würde ich im Flugzeug sitzen und ohne Cockpit in den Nebel hinein fliegen. Man braucht eine gute Datenbasis. Unternehmen müssen im Bereich Personal solide aufgestellt sein.

Es gibt aktuell auch Branchen, in denen noch Personal abgebaut und auf Digitalisierung und künstliche Intelligenz gesetzt wird. Sind diese Bereiche gar nicht vom Fachkräftemangel betroffen?

Es gibt schon seit geraumer Zeit eine Spaltung. Es gibt Unternehmen, die angesichts des Fachkräftemangels auf die Digitalisierung und Prozessoptimierung, Roboter und künstliche Intelligenz setzen. Der Prozess wird durch die gegenwärtige demografische Entwicklung sogar noch verstärkt. Wer aufgrund dieser Entwicklung seinen Arbeitsplatz verliert, wird aber schnell an anderer Stelle einen neuen Job finden, wenn er bereit ist, die Branche zu wechseln. Dafür brauchen wir aber auch ein anderes System für die Aus- und Weiterbildung. Am Ende wird sich aber auch nur die Technik in der Arbeitswelt durchsetzen, die dem Menschen und dem System nützt. Andere Produkte werden nicht überleben.

Wie ist die Situation in der Eifel? Gibt es Besonderheiten?

Die Eifel unterscheidet sich im Grundsatz nicht von anderen ländlichen Regionen. Was die Eifel auszeichnet, ist, dass es hier die Dienstleistungsgenossenschaft Eifel gibt, die sich mit Themen wie dem Fachkräftemangel beschäftigt. Und das macht sie nicht erst seit gestern. Solche Organisationen gibt es nicht so häufig in ländlichen Räumen. Ich kenne nur ein oder zwei andere Regionen, die sich auf den Weg gemacht haben. Das ist schon etwas besonderes und ein sehr großes Innovationsmerkmal. Der gemeinschaftliche Ansatz ist das Erfolgsrezept.

Gibt es auch Nachteile?

Die Eifel steht vor einer zentralen Herausforderung, die andere vergleichbare Regionen wie Ostwestfalen-Lippe nicht haben. Die Eifel hat Grenzen zu Luxemburg und Belgien. Die Arbeitsmärkte der Länder haben immer noch Grenzen. Das liegt daran, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen immer noch national sind. In Luxemburg werden beispielsweise andere Gehälter gezahlt. Darauf muss sich die Eifel einstellen. Die Eifel ist zudem auf zwei Bundesländer aufgeteilt.

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