Victor Neels wird 90Motor der Versöhnung zwischen Deutschen und Belgiern

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Schleiden-Vogelsang – Er gilt als ein überzeugter Europäer und als Freund des Ausgleichs über staatliche Grenzen hinaus. Es war deshalb kein Zufall, dass die zuständige Kommission 2009 die neue Urftseebrücke im Nationalpark Eifel nach dem ehemaligen belgischen Vogelsanger Militärkommandanten Victor Joseph Petrus Neels benannte. Dieser Oberst hat Spuren in der Region hinterlassen wie nur wenige andere vor ihm, während er von 1970 bis 1980 Kommandant des „Camp Vogelsang“ war. Dass Neels einmal ausgerechnet in der von den Nationalsozialisten gebauten Vogelsang-Anlage im Kreis zahlreicher Freunde seinen 90. Geburtstag feiern würde, war ihm keineswegs in die Wiege gelegt.

Neels wurde am 15. Januar 1925 als Sohn eines flämischen Viehhändlers in Balen im Großraum Antwerpen geboren. Er besuchte bis zum Überfall der Wehrmacht auf die westlichen Nachbarn verschiedene Internate. Dann hieß es: „Es ist Krieg!“ Worauf der Jugendliche sich vom letzten Internat in Herve durchschlug bis zu den Eltern in Balen. Zu dieser Zeit war er 15 Jahre alt.

Was er damals von den Deutschen hielt, verriet Neels dem Autor vor einigen Jahren beim Interview: „Wir haben die Entwicklung in Deutschland nicht auf die NSDAP bezogen, sondern auf die Deutschen. Das waren gefährliche Leute.“ Bald schloss sich der junge Mann dem belgischen Widerstand im „Movement National“ an. Die Widerstandsgruppe wurde im Raum Balen ausgebaut. Sie stahlen deutschen Offizieren, die in einem See badeten, die Pistolen.

Im weiteren Kriegsverlauf verübte die Widerstandsgruppe auch Sabotageaktionen, indem sie beispielsweise Hochspannungsmasten sprengte. Den Sprengstoff stahlen die Gruppenmitglieder in einem örtlichen Rüstungsbetrieb.

Die Widerstandsgruppe Balen befasste sich auch mit der Rettung, Versorgung und Weiterschleusung abgeschossener alliierter Flieger. „Liberty-Line“ nannten sie diese Hilfsketten im besetzten Gebiet. Eines Tages lag ein verletzter britischer Pilot in einem Feld bei Balen, Neels brachte ihn mit dem Fahrrad zu seinen Eltern. Später fanden sie noch einen weiteren Flieger, der sich mit dem Fallschirm gerettet hatte. Nachher stellte sich heraus: Sie hatten zusammen in einem Flugzeug gesessen und beide überlebt. Insgesamt neun alliierte Flieger konnte die Gruppe auf diese Weise retten.

Im September 1944, als die Alliierten Truppen sich näherten, war die Widerstandsgruppe in Balen auf 300 Mann angewachsen, Neels war ihr Anführer. Mit 130 seiner Männer stellte er sich der „Armée Secrète“, der geheimen belgischen Untergrundarmee, zur Verfügung. 30 Mann wurden tatsächlich genommen, die zunächst noch Partisanenaufgaben wahrnahmen, ohne allerdings selbst zu kämpfen.

Als das Quartier der Truppe unter deutsches Artilleriefeuer geriet, verdrückten sich die Männer zur „Brigade Piron“, mit der belgische Exilsoldaten gemeinsam mit den Alliierten in der Normandie gelandet waren. Bis zur deutschen Grenze zogen sie im Gefolge der Briten ostwärts. Dort wurden sie von den Briten gestoppt. Auf deutschem Gebiet hätten die Partisanen keinen Kombattantenstatus gehabt. Neels trat postwendend der neu aufgestellten belgischen Armee bei und kam als Besatzungssoldat nach Norddeutschland. Dort lernte er alsbald eine sehr nette junge Dame mit Namen Ann-Lena kennen. Das war dann ein schwerwiegendes Problem: Für belgische Offiziere bestand noch bis in die 1950er Jahre ein strenges Fraternisierungsverbot. Eine Ehe mit einer Deutschen war dadurch ausgeschlossen. So zog die heimliche Verlobte ihrem Victor von Standort zu Standort hinterher, wo sie dann ein heimliches Eheleben führten.

Irgendwann wurde es Victor Neels jedoch zu bunt und er teilte seinen Vorgesetzten kurzerhand mit, dass er zu heiraten beabsichtige. Gesagt, getan: Fortan waren er und Anna-Lena auch offiziell ein Paar. 1970 wurde Neels für zehn Jahre als junger Oberst Kommandant des Camp Vogelsang, wo bis dahin als Kriegsfolge Reibereien zwischen Militärs und zivilen Nachbarn an der Tagesordnung waren.

Innerhalb kürzester Zeit wischte Neels diese Aversionen vom Tisch und begründete eine lang andauernde, friedliche Phase im Nebeneinander von Militärs und Zivilisten. Unter anderem beseitigte er sehr schnell und nachhaltig die zentrale Beeinträchtigung der Zivilbevölkerung durch den Truppenübungsplatz. Vorher war es üblich, dass die Panzertruppen, die auf der Dreiborner Hochfläche im Camp trainiert hatten, vor dem Feierabend auf öffentlichen Wegen das Manövergebiet verließen, um zu ihren Quartieren in Vogelsang zurückzukehren.

Dabei schleppten die Kettenfahrzeuge Berge von Schmutz auf die öffentlichen Straßen, die dadurch für private Fahrzeuge teilweise unpassierbar wurden. In Dreiborn etwa gab es für viele Jahre zwei Aggregatzustände auf den Straßen: Entweder es regnete, dann versank der Ort im Schlamm, oder es war trocken, dann hingen Staubwolken über dem Dorf am Schießplatz. Diesem zentralen Übel wirkte Neels durch den Bau einer Panzerstraße im Camp entgegen.

Zugleich bot er den umliegenden Gemeinden regelmäßig den Einsatz der Baukolonnen des Camps an – beispielsweise, wenn es galt, einen neuen Sportplatz zu errichten. Mit den erstmals gebotenen und von Tausenden besuchten Tagen der offenen Tür versöhnte Neels schließlich die Zivilbevölkerung vollends. Wenn er zum „Königstag“ einlud, betrachteten es plötzlich alle Honoratioren als große Ehre, eine Einladung zu bekommen. Und die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Versöhner zwischen Belgiern und Deutschen war weit mehr als reine Höflichkeit. Das war ein Bedürfnis.

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