Im Rahmen der Feierlichkeiten schilderten Helfer ihren Einsatz im Herbst 1989 in der Deutschen Botschaft in Prag kurz vor dem Mauerfall.
WeltrotkreuztagAuch DRK-Ehrenpräsident Dr. Rudolf Seiters kam nach Schleiden-Vogelsang

„Auf die Jugend kommt es an“, war die Botschaft von Rolf Zimmermann, dem Gründer des DRK-Museums in Vogelsang.
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Für die einen ist es der Jahrestag zum Ende des Zweiten Weltkrieges, für die anderen der Weltrotkreuztag. Doch für den Kreisverband Euskirchen des Deutschen Roten Kreuzes steht an jedem 8. Mai die Saisoneröffnung in Vogelsang im Terminkalender. Diesmal versammelten sich rund 100 Gäste am Rotkreuzmuseum in dem ehemaligen Kameradschaftshaus in Vogelsang, um dieses Ereignis festlich zu begehen.
Auch ein weiteres Jubiläum war zu begehen – wenn auch eigentlich noch aus dem Vorjahr. Denn die Ereignisse im Sommer 1989 in der Deutschen Botschaft in Prag führten in letzter Konsequenz zum Fall der Mauer in Berlin und der Wiedervereinigung. Der DRK-Kreisverband Euskirchen spielte eine wesentliche Rolle in dem Drama, das sich damals im Garten des Palais Lobkowicz abspielte.
Rudolf Seiters war damals Chef des Bundeskanzleramtes
Dr. Rudolf Seiters berichtete aus seiner Sicht von diesen Tagen und lieferte damit einen Bericht aus erster Hand. Er war damals als Staatsminister Chef des Bundeskanzleramtes und in dieser Funktion dafür zuständig, die Verhandlungen mit der DDR-Regierung zu führen. „Diese sechs Monate waren emotional bewegend“, sagte er. Im April sei er Minister geworden und habe im Mai ein sachliches Gespräch mit dem damaligen Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker als Vertreter der DDR geführt.

War 1989 in der Prager Botschaft mit dabei: Herbert Schmitz.
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Doch als immer mehr Menschen in die Deutsche Botschaft in Prag flüchteten, um ihre Ausreise aus der DDR zu erzwingen, wurde die Lage immer schwieriger. „Im August musste ich die Botschaft schließen“, erinnert sich Seiters. Das änderte aber nicht viel, denn immer mehr DDR-Bürger kletterten über die Zäune der Botschaft, um dort im Garten zu campieren.
Die Menschen in Prag schliefen auf Treppen, in Zelten und auf dem Boden
In einem Video, das im Zeitzeugencafé gezeigt wurde, wurden die chaotischen Verhältnisse deutlich. Am 30. September waren fast 3000 Menschen in diesem Garten. Sie schliefen auf Treppen, in Zelten oder auf dem Boden, nur notdürftig mit Planen vor dem Regen geschützt, der mittlerweile eingesetzt hatte.
Ein Problem war, die Menschen zu ernähren. Hier kam der DRK-Kreisverband Euskirchen ins Spiel, als Anfang September die Anfrage kam, wer die Verpflegung der Menschen übernehmen könnte. „Das war im Kreisverband Euskirchen immer so. Die sagten: Wir machen, da war noch keiner in den Stiefeln“, sagte der damalige Leiter der Landesbereitschaft Nordrhein, Lothar Henrich aus Zülpich.

Übergabe im Museum: Auf dem Weg nach Solferino wechselte das Rotkreuzlicht den Trägerverein.
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Am 22. September 1989 traf ein Trupp mit zwei Feldküchen in Prag ein. Mit dabei waren Angelika und Herbert Schmitz, die dem Publikum über ihre Erlebnisse berichteten. „Wir mussten als erstes das Kasseler verarbeiten, das war uns unterwegs warm geworden“, sagte Herbert Schmitz. 650 Portionen wurden an diesem Tag zubereitet, wie Angelika Schmitz minuziös in ihrem Tagebuch verzeichnete.
Die Mengen wuchsen von Tag zu Tag. Bereits am 28. September wurden 4000 Portionen Gulaschsuppe und Joghurt zubereitet. Ab dann wurde rund um die Uhr gekocht. „Am Ende waren wir mit sechs Feldküchen im Einsatz“, berichtete sie. Ständig waren Lkws unterwegs, um die Verpflegung an die Botschaft zu bringen.
Vor Ort in Prag gab es keine Kühlmöglichkeit für Lebensmittel
„Die Küche war Anlaufpunkt für alles: Schlafsäcke, Kindernahrung, aber auch Papier und Briefmarken gab's hier“, erinnert sich Angelika Schmitz, die die Einsatzleitung hatte. Mit 20.000 Essen seien sie losgefahren, um das, was noch fehlte, in Prag nachzukaufen. „Wir hatten keine Kühlmöglichkeit, sodass wir keine frischen Waren verarbeiten, keine Joghurts aufbewahren konnten.“
Ständig sei es unruhig gewesen. In einem freigeräumten Büro in der Botschaft hätten sie in Stockbetten in Schichten geschlafen, wobei in dem Garten der Botschaft immer etwas los gewesen sei. „Es war nicht einfach zu sehen“, so ihr Mann Herbert. Auf allen Treppen und Stufen hätten Menschen gesessen, die den Tag herumbekommen mussten. Beim Abladen hätten die Flüchtlinge geholfen und Ketten gebildet, wobei die Kette mitunter auch einen anderen als den geplanten Verlauf genommen habe.
Er habe erwartet, dass die DDR-Regierung letztendlich einlenken würde, sagte Seiters. Einerseits habe sie großes Interesse an Devisen gehabt, andererseits hätten die Feiern zum 40. Jahrestag der Staatsgründung am 7. Oktober 1989 angestanden, zu denen sich auch Michail Gorbatschow angesagt hatte, Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU und damit Regierungschef der Sowjetunion. Diese Feierlichkeiten habe sich die DDR-Führung nicht verderben lassen wollen.
Die Szene ist Geschichte: Genscher spricht vom Balkon der Botschaft
Am Abend des 29. September habe er den Anruf des Botschafters der DDR in Bonn, Horst Neubauer, erhalten, in dem dieser um ein dringendes Gespräch gebeten habe, berichtete Seiters. Nachdem er sich lange Vorwürfe über „die BRD“ hatte anhören müssen, habe Neubauer die Zusage übermittelt, dass die Flüchtlinge ausreisen konnten.
Die Szene ist bekannt: Außenminister Hans-Dietrich Genscher spricht auf dem Balkon der Botschaft die Worte: „Wir sind zu Ihnen gekommen, um Ihnen mitzuteilen, dass heute Ihre Ausreise …“, wonach er von dem Jubel der Menschen unterbrochen wird. Rudolf Seiters war mit auf dem Balkon, auch wenn er dem Außenminister als Hausherrn den Vortritt ließ. „Es war ein emotionales Erlebnis, was die Menschen dort geleistet haben“, sagte er.
Nachdem fast alle Flüchtlinge am nächsten Tag die Botschaft verlassen hatten, um mit Zügen nach Westdeutschland zu kommen, ging es für das DRK-Team ans Aufräumen. Während des vermeintlichen Abschiedsessens wurde der deutsche Botschafter in Prag, Hermann Huber, in den Garten gerufen. Dort seien schon wieder Neuankömmlinge, die über Prag nach Westdeutschland wollten, erinnert sich Angelika Schmitz. Erst als am 9. November 1989 die Mauer fiel und die Grenzen geöffnet wurden, war auch der Einsatz der Rotkreuzler beendet. Am 16. November konnten sie endlich wieder nach Hause fahren.
Das Rotkreuzmuseum in Vogelsang wird zum Dr.-Rudolf-Seiters-Haus
Die Ereignisse in Prag 1989 sind minuziös in einer Ausstellung im Humanitarium, dem Rotkreuzmuseum, dokumentiert. Die Materialien wurden dabei von dem Deutsch-Deutschen Museum in Mödlareuth beigesteuert.
Die Anwesenheit des DRK-Ehrenpräsidenten Dr. Rudolf Seiters nutzte Simon Jägersküpper, Geschäftsführer des Rotkreuzmuseums in Vogelsang, um einen langgehegten Plan in die Wirklichkeit umzusetzen. Denn die Idee, den langjährigen Präsidenten des DRK als Namenspate für das ehemalige Kameradschaftshaus in Vogelsang, in dem das Rotkreuzmuseum seine Heimat gefunden hat, zu gewinnen, wurde bereits geboren, als Seiters noch im Amt war. Dass Seiters damals noch als Präsident aktiv gewesen sei, sei auch der Grund gewesen, warum dieser nicht zugestimmt habe, verriet Jägersküpper in der Veranstaltung am Weltrotkreuztag. Solange er im Amt sei, wolle er das nicht, habe Seiters die Anfrage beschieden.

Nun ist es offiziell: Das Rotkreuzmuseum in Vogelsang wurde in Dr.-Rudolf-Seiters-Haus umbenannt.
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Da Seiters seit 2017 Ehrenpräsident des DRK ist, sei es nun so weit, dass die Umbenennung vorgenommen werden könne, sagte Jägersküpper. „Der Schreibtisch, an dem Seiters als Rotkreuzpräsident genauso wie seine Vorgänger gesessen hat, steht ja bereits im Haus Nordrhein“, so der Geschäftsführer des Museums.
Die Anwesenheit des Ehrenpräsidenten sei genau der richtige Anlass, um das Gebäude künftig „Dr.-Rudolf- Seiters-Haus“ zu nennen.