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Ein Leben in Armut„Von hundert auf null – das ist brutal“ – Ein Obdachloser erzählt

Lesezeit 3 Minuten
Ein dreckiges Pappschild mit der Aufschrift Ich habe hunger Hilf - bitte, liegt auf der Straße. Daneben steht eine rote kleine Schüssel mit zwei Münzen drinnen.

Mit Pappschild in der Fußgängerzone: Bettelnde Menschen gehören zum Alltag in den Städten.

In die Obdachlosigkeit zu rutschen, kann manchmal schnell gehen: Klaus-Peter Sander hatte einen geregelten Tagesablauf. Doch gesundheitliche Probleme stellten sein Leben auf den Kopf.

Er sei immer ein Weltenbummler gewesen. Ein Steh-Auf-Männchen. Einer, der aus schwierigen Verhältnissen kommt, sich aber trotzdem immer gut über Wasser halten konnte. Die meiste Zeit seines erwachsenen Lebens hat Klaus-Peter Sander (Name geändert) gearbeitet. 

Überwiegend als Lagerist bei Leiharbeitsfirmen, eine Zeit lang auch als Müllwerker. Zuletzt auf einem Rheinschiff. „Arbeitslos musste ich mich nur einmal melden, für ein paar Monate“, so der 55-Jährige.

Betroffener berichtet: „Das war eine Zeit, in der ich gefühlt alles verloren habe“

Doch an irgendeiner Stelle im Leben ist Klaus-Peter Sander falsch abgebogen, hat die eine Entscheidung getroffen, die sein Leben in Schieflage brachte. „Ich hätte in Süddeutschland bleiben sollen“, sagt er rückblickend. Dort habe er vor rund einem Jahr eine gut bezahlte Arbeit in der Industrie gefunden, jedoch keine Wohnung.

Anstatt weiterzusuchen, habe er kurzerhand seine Zelte wieder abgebrochen, sei zurück ins Rheinland gekommen und vorübergehend in das Appartement eines Freundes gezogen. Auf einem Personenschiff erhielt er eine befristete Anstellung. Alles schien wieder seinen geregelten Gang zu gehen.

Im September dann bekam der 55-Jährige gesundheitliche Probleme. „Ich hatte Schmerzen in der Brust und kam mit Verdacht auf Lungenembolie ins Krankenhaus.“ Letztlich wurde Klaus-Peter Sander eine Herzinsuffizienz diagnostiziert. „Nur noch 24 Prozent Pumpleistung“, sagt er und tippt sich auf die Brust.

Ein tragbarer Defibrillator schützt ihn seither vor der Gefahr eines plötzlichen Herztods. „Das war eine Zeit, in der ich gefühlt alles verloren habe: den Job, der mir mit der Krankheit gekündigt wurde, die Wohnung, in der ich nur vorübergehend bleiben konnte, und natürlich meine Gesundheit.“

Nach Klinikaufenthalt: „Auf einmal stehst du da und bist einer, der auf der Straße lebt“

Nachdem Sander Anfang Oktober aus dem Krankenhaus entlassen worden war, beschloss er, „erst einmal im Auto zu übernachten“. Der Sozialdienst der Klinik habe ihm geraten, sich an die Wohnungslosenhilfe der Caritas zu wenden. Das sei ihm schwergefallen: „Auf einmal stehst du da und bist einer, der auf der Straße lebt. Das war schlimm für mich, als ich das begriffen habe. Von hundert auf null – das ist schon brutal.“

Er habe sich zwar recht schnell ein Postfach eingerichtet bei der Wohnungslosenhilfe, damit er eine Anschrift habe. Aber übernachten wollte er dort zunächst nicht. Nachts habe er stattdessen sein Auto auf Supermarktparkplätze gestellt und dann dort übernachtet.

Als ihm das letzte Geld ausging, konnte Sander nicht mehr tanken. Sein Auto musste also stehenbleiben, auch den Akku des Defibrillators konnte er nicht mehr über die Autobatterie laden. „Letztlich blieb mir nichts anderes, als in die Notschlafstelle zu gehen. Und das hätte ich besser mal direkt gemacht.“

Unterschlupf in der Notschlafstelle: Betroffener möchte wieder auf eigenen Beinen stehen

Zurzeit lebt Hans-Peter Sander von Hartz IV. „Da ich mein Auto noch habe und die Versicherung zahlen muss, bleibt nicht viel übrig“, sagt er. In der Tagesstätte bekomme er in der Woche für zwei Euro ein warmes Essen. Am Wochenende könnten sich die Besucher in der Küche der Notschlafstelle selber versorgen – und gemeinsam kochen sei billiger.

„Supermärkte meide ich, die Verlockung dort ist zu groß“, gesteht der 55-Jährige. Wenn er doch hingehe, dann kaufe er nach Möglichkeit nur Waren, die kurz vor Ablauf der Haltbarkeit stehen und deshalb günstiger sind. „Letztens aber habe ich mir am Wochenende in der Stadt einen Döner gegönnt“, erzählt er mit breitem Lächeln.

Purer Luxus sei das gewesen. Er werde sicherlich noch eine Weile in der Notschlafstelle bleiben müssen, meint Hans-Peter Sander. Gesundheitlich müsse er sich erst stabilisieren, dann aber will er sich schnellstmöglich wieder Arbeit suchen und auf eigenen Beinen stehen. „Sehe ich aus, als ob ich zerbrechlich bin?“, fragt er lachend und fügt an: „Rumsitzen und die Zeit totschlagen, das ist wirklich nichts für mich.“

Anmerkung der Redaktion: Nach neun Wochen in der Notschlafstelle fand Klaus-Peter Sander mit Unterstützung der Wohnungslosenhilfe eine eigene Bleibe.

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