In der Bleibachhalle in Frauenberg gibt es ein besonderes Capoeira-Angebot. Weitere Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden gesucht.
Sport bringt ResilienzÜ40-jährige Flutbetroffene lernen Kampf-Tanz in Euskirchen

Capoeira ist wie ein Dialog zwischen Sportlern: Angriffe können als Fragen verstanden werden, auf die Antworten gegeben werden müssen.
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Die Tanzpartner und Gegner sind heute Gymnastikbälle. Vier Menschen im Alter über 40 Jahre bewegen sich in Halbkreisen um sie herum. Mal sind die Körper samt Händen nah am Boden, mal treten sie in vorgegebenen Abläufen in die Luft. Die Gedanken sind ganz beim Training, es bleibt keine Zeit für Sorgen.
In der Bleibachhalle in Frauenberg wird der Hallenboden jeden Mittwoch zum Ring und gleichzeitig zur Tanzfläche. Das Sportangebot firmiert unter dem Namen „Capoeira – zur Resilienzstärkung“ und richtet sich gezielt an Menschen über 40 Jahre, die von der Flutkatastrophe im Jahr 2021 betroffen waren. Der Verein „Help – Hilfe zur Selbsthilfe e. V.“ ist Projektträger. Organisiert wird das Sportangebot von der Alanus Hochschule in Alfter.
Alexandro Azevedo de Souza erklärt Hintergründe zum Capoeira
An diesem Mittwoch verfolgen sechs konzentrierte Augen die geschmeidigen Bewegungen von Contra-Mestre Alexandro „Cabana“ Azevedo de Souza. Wie die Kampfkunst Capoeira, die der 49-Jährige unterricht, kommt de Souza selbst aus Brasilien. Sein spanischer Beiname „Cabana“ heißt im Deutschen „Hütte“. De Souza streut ein, dass er früher langes Haar hatte und es nach einem verunglückten Friseurbesuch wie eine Hütte nach links und rechts schräg abfiel.

Hohe Tritte sind für Trainer Alexandro Azevedo de Souza kein Problem.
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Vor den zwei Teilnehmerinnen Natalja (70) und Martina (52) sowie Teilnehmer Hermann-Josef (68) zeigt er Kicks und fließende Bewegungsmuster. Während eine rhythmische, brasilianische Musik aus einer Box erklingt, erklärt er die Hintergründe zu den Bewegungen. Als de Souza eine Abfolge zeigt, die nah am Boden ist und ohne hohe Tritte auskommt, scherzt Natalja: „Das ist was für mich.“
„Capoeira ist ein Kampf und Tanz“, erläutert de Souza: „Es ist ein Dialog zwischen den Sportlern.“ Die Angriffe seien dabei die Fragen, die Verteidigungen die Antworten. Der Dialog zu den Gymnastikbällen stelle eine Ausnahme dar – eigentlich sollen mehr Leute am Training teilnehmen. „Wir sind heute nicht so gut besetzt“, sagt Natalja. Die 70-Jährige findet Zeit für Lob, wenn sie nicht in der Bewegung vertieft ist: „Das hier hilft gegen Stress. Es sind ganz besondere Bewegungen. Man muss sich auf die Kreisformen konzentrieren.“
Das Training in der Bleibachhalle wird ans Alter angepasst
De Souzas ruhige Ausstrahlung überträgt sich sichtlich auf die Lehrlinge. Er hat die Szenerie im Blick und gibt ihnen Tipps, um die Übungen zu verfeinern. „Sie machen das super“, sagt er über das Trio: „Ich versuche, leichte Bewegungen zu machen. Klar, ich bringe hier keinem Handstand oder Salto bei.“ Den Kampf-Aspekt von Capoeira stelle er in der Bleibbachhalle etwas zurück, anders als in seiner Sportschule „Capoeira Mineira“ in Bonn. De Souza: „Die Jüngeren wollen mehr Kraft, Kontakt und Power.“ Bei seinen Trainingseinheiten in der Sporthalle in Frauenberg liege der Fokus auf dem Spaß an der Bewegung. „Es ist gesund für die Menschen, sich im Alter zu bewegen“, ist de Souza sicher.

Die komplexen Bewegungsabläufe halten Körper und Kopf fit.
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Martina nimmt nach eigenen Angaben wöchentlich teil, da ihr das Training bessere Laune bereite: „Mit der Musik komme ich runter und vergesse den Alltag.“ Obwohl sie sonst viel Sport mache, sei sie nach den Capoeira-Einheiten klatschnass geschwitzt. Auch Hermann-Josef freut sich über die Anstrengung. Die sozialen Aspekte spielen ebenfalls eine wichtige Rolle für ihn. Er könne verstehen, dass das Training für manche Leute – gerade nach einem harten Arbeitstag – zu viel sei, aber er möchte trotzdem anderen Ü40-Jährigen ans Herz legen, es zumindest einmal auszuprobieren. Martina empfiehlt den Kurs zudem für Menschen, die mit Sorgen zu tun haben.
Das Training dauert etwa anderthalb Stunden. Zu Beginn ist eine halbe Stunde fürs obligatorische Dehnen vorgesehen. Bei mehr Teilnehmerinnen und Teilnehmern kommen auch Instrumente zum Einsatz. „Wir machen Capoeira live“, sagt de Souza. Bei diesem Training schlägt er eine kleine Handtrommel im Takt und singt dazu in einem anderen Rhythmus. Auch das ist eine Abfolge zum Nachmachen, die den Kopf fordert.
Hermann-Josef fühlt sich bei und nach dem Training ruhiger. „Wir tun hier etwas für Geist, Seele und Körper“, merkt er an. Die Sportgruppe würde sich über Zuwachs freuen. Das Training, mittwochs um 13 Uhr, läuft noch bis Mitte Dezember. Die Verantwortliche der Alanus Hochschule ist per E-Mail zu erreichen: sabine.koch@alanus.edu
Gruppenangebote für Flutbetroffene
Es gibt Gruppenangebote für Betroffene der Flutkatastrophe, die im Kreis Ahrweiler und Euskirchen stattfinden. Im Rahmen der Reihe „KreARTiv – Vom Schatten ins Licht“ können Tanz-, Kunst- und Musiktherapien kostenlos von Betroffenen besucht werden. Die Angebote laufen von September bis November.
Anmeldungen und Nachfragen sind telefonisch unter 01 57/72 51 74 38 und 01 51/12 95 79 57 oder per E-Mail unter kreARTiv@alanus.edu möglich. Weitere Informationen finden sich online.