Opfer-Netzwerk in EuskirchenFachtagung mit schwierigem Thema

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Euskirchen – Im Vorfeld hatte es bereits einige Aufregung gegeben, als der Verein Opfer-Netzwerk zu einer Fachtagung mit dem Titel „False Memory – Falsche Erinnerungen an sexuellen Missbrauch“ geladen hatte. Auch am Montag zeigten sich nicht alle der rund 120 Teilnehmer einverstanden mit dem, was die beiden geladenen Referentinnen an Informationen mitgebracht hatten.

Den Anfang machte Professor Renate Volbert, Rechtspsychologin am Institut für Forensische Psychologie an der Charité in Berlin, die über die Entstehung falscher Erinnerungen sprach. Heidemarie Cammans von False Memory Deutschland (FMD) stellte anschließend die Arbeit und die Anliegen dieses Vereins vor. Cammans sprach von verheerenden Auswirkungen bei falschen Missbrauchsbeschuldigungen, von fatalen Manipulationen während der Opfertherapie und der Zerstörung von Existenzen. Sie betonte, dass FMD keine Organisation sei, die Täter schütze, und dass man sexuellen Missbrauch entschlossen bekämpfen müsse. An den Verein, der sich 2012 gegründet und seinen Sitz in Erftstadt hat, wenden sich nach Aussage von Cammans in erster Linie Beschuldigte, die oftmals „eine Odyssee von Vorverurteilung, Abweisung und Falschberatung“ hinter sich hätten. Wie die FMD-Mitglieder denn feststellen könnten, ob es tatsächlich zu unrecht Beschuldigte oder leugnende Täter seien, wurde aus dem Auditorium gefragt. „Wir machen eine intensive Fallbetrachtung, prüfen alle Dokumente und sichern uns so 100 Prozent ab“, gab die Referentin zur Antwort und überzeugte damit nicht wirklich.

Suggestive Selbsthilfeliteratur

Dass es falsche Erinnerungen gibt, daran zweifelte wohl keiner der Teilnehmer. Nach Cammans Ansicht sind für falsche Missbrauchserinnerungen fehlgeleitete Therapeuten und esoterisch-pseudowissenschaftliche Selbsthilfeliteratur als Auslöser zu nennen. Therapeuten seien für die Ratsuchenden Vertrauenspersonen, manche würden die „oft esoterisch oder feministisch begründete“ Ansicht vertreten, nur eine vollständige Erinnerung an zurückliegende Ereignisse würde Heilung bringen. Cammans: „Jede Aufforderung zur Erinnerung führt unweigerlich zu falschen Erinnerungen, oftmals noch unterstützt durch suggestive Selbsthilfeliteratur.“ Jeder Fall für sich sei eine Tragödie – und zwar auf beiden Seiten, so Cammans. Sie unterlegte die FMD-Thesen mit der Auswertung einer Umfrag, an der allerdings nur 47 Betroffene, die sich an den Verein gewandt hatten, teilgenommen hatten.

Das Anliegen des Opfer-Netzwerkes als Veranstalter der Tagung, dem Fachpublikum – bestehend unter anderem aus Therapeuten, Ärzten, Juristen, Polizisten, Pädagogen und Sozialarbeitern – die grundsätzliche Möglichkeit der Entstehung falscher Erinnerungen deutlich zu machen, kann man sicherlich als wohlmeinend bewerten. Ob Heidemarie Cammans mit ihrem Vortrag zu einer Objektivierung des schwierigen Themas beitragen konnte – darüber war man sich zumindest im Publikum nicht einig.

„Ich habe nicht den Eindruck, dass es an Sensibilisierung für das Thema mangelt“, meinte eine Fachberaterin. Vielmehr würden manche Klientinnen nach der Erstberatung den Kontakt wieder abbrechen, weil ihnen dieser vor Gericht als Suggestion ausgelegt werden könnte. „Vor 20 Jahren hat bereits ein Richter zu mir gesagt, dass ein Kind, das Opfer wurde und therapeutische Hilfe bekommt, für das Verfahren «versaut» sei.“

„Die Polarisierung ist dem Thema sexueller Missbrauch immanent“, brachte es Moderator Dr. Dirk Arenz, Chefarzt der Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie am Marien-Hospital, auf den Punkt. Fakt sei: Therapeuten sollten die eigenen Grundannahmen stets professionell reflektieren. Oder wie es Dr. Hans Delfs, ebenfalls False Memory Deutschland, abschließend sagte: „Wir alle hier bearbeiten Probleme, die in 1000 Fällen gleich sind. Es könnte aber sein, dass der eine Fall anders ist und das fordert eine besondere Aufmerksamkeit.“

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