Sonderausstellung in VogelsangErinnerung an Zwangsarbeiter im Kreis Euskirchen

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Die Informationen für die Ausstellung haben Stefan Wunsch und Heike Pütz mit vielen Mitstreitern zusammengetragen. 

Schleiden-Vogelsang – Rund 13 Millionen Menschen vor allem aus der Sowjetunion, Polen und Frankreich, aber auch aus den Niederlanden, Belgien oder Italien hat das Nazi-Regime nach dem aktuellen Stand der Forschung während des Zweiten Weltkriegs zur Zwangsarbeit nach Deutschland verschleppt. Hinzu kommt ein großer Personenkreis, der in den besetzten Gebieten unter menschenunwürdigen Bedingungen zur Arbeit gezwungen wurde. Dadurch sind die Zwangsarbeiter eine der größten Opfergruppen des Zweiten Weltkriegs.

Die Umstände, Zusammenhänge und Auswüchse der Zwangsarbeit in den Altkreisen Schleiden und Euskirchen zeigt eine Sonderausstellung, die Vogelsang IP und der Kreis Euskirchen vom 8. September bis zum 16. April 2023 im Besucherzentrum präsentieren. Sie beleuchtet auch die Rolle der in Vogelsang ausgebildeten „Ordensjunker“ bei den Verbrechen des NS-Regimes in den Gebietskommissariaten hinter der Ostfront nach dem Überfall auf die Sowjetunion.

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Sowjetische Kriegsgefangene stehen in Viehwaggons  im Bahnhof von Brest-Litowsk. 

„Wir sind es allen Opfern schuldig, die in Folge mangelhafter Ernährung, Versorgung und Unterbringung sowie der ausbeuterischen Arbeitseinsätze ums Leben kamen, ihren Angehörigen und allen, die die Gräuel überlebt haben“, betont NRW-Landtagspräsident André Kuper, der die Ausstellung in Vogelsang eröffnen wird.

Dokumentiert wird das Schicksal der verschleppten Zivilisten und der Kriegsgefangenen aus den besetzten Gebieten, die in der Land- und Forstwirtschaft sowie in der Industrie oder der Öffentlichen Verwaltung eingesetzt wurden. Im Fokus stehen auch die Frage nach dem Gedenken an diese Opfer der NS-Gewaltherrschaft und die Erkenntnisse für das Zusammenleben im heutigen Europa.

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Ein Massengrab für Russen auf dem Judenfriedhof in Blumenthal im Jahr 1949. 

Der Schleidener Journalist und Autor Franz Albert Heinen hatte bereits vor einigen Jahren in seinem Buch „Abgang durch Tod“ die Zwangsarbeit im Kreis Schleiden von 1939 bis 1945 behandelt. „Was fehlte war der Altkreis Euskirchen“, erklärte Heike Pütz, Leiterin des Kreisarchivs und der Historischen Kreisbibliothek Euskirchen. Diese Lücke hat sie nun in Zusammenarbeit mit dem Historiker Stefan Wunsch von Vogelsang IP und vielen weiteren Mitstreitern geschlossen.

„Zwangarbeit im Kreis Euskirchen“

Umfangreiches Programm

Die Sonderausstellung „Zwangsarbeit im Kreis Euskirchen“ ist ab Donnerstag, 8. September, täglich von 10 bis 17 Uhr in Vogelsang zu sehen. Einige Themen der Ausstellung werden in einer kleinen Reihe in loser Folge in dieser Zeitung behandelt. Auf mehr als 50 Medientafeln und Vitrinen mit Originalfotos und -dokumenten wird das Schicksal der Zwangsarbeiter beleuchtet. Der Eintritt ist frei. Zudem gibt es ein umfangreiches Begleitprogramm mit Präsentationen, Lesungen, Diskussionen, Filmvorführungen und Exkursionen unter anderem mit den beiden Ausstellungsverantwortlichen Heike Pütz, Leiterin des Kreisarchivs und der Historischen Kreisbibliothek Euskirchen, und Franz Albert Heinen, Journalist und Autor. Hinzu kommen Dr. Dieter Lenzen, der zum gleichen Thema im ehemaligen Kreis Monschau geforscht und publiziert hat, sowie Konrad und Benedikt Schöller mit ihren Arbeiten zur regionalen Erinnerungskultur rund um die Orte Schmidt und Hürtgenwald.

Außerdem arbeitet Vogelsang IP während der Ausstellung mit Mira Moroz zusammen, der Nachfahrin eines polnischen Zwangsarbeiters mit bewegendem Familienschicksal. Fragen zum angemessenen Gedenken und der Vermittlung insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene sollen mit dem Volksbund Kriegsgräberfürsorge im Rahmen einer Exkursion zum Friedhof Rurberg und den Arolsen Archives zur digitalen Recherche in Bezug auf NS-Opfer behandelt werden. Schließlich ist mit Filmemacher Dietrich Schubert eine Vorführung aus seinem dokumentarischen Repertoire geplant, ebenso eine Diskussion mit Horst-Pierre Bothien, Wissenschaftler aus dem Stadtmuseum Bonn, der zur Rolle der Gestapo bei der Gewalt gegen Zwangsarbeiter unter anderem im Altkreis Euskirchen geforscht hat. Die Termine aller Veranstaltungen werden frühzeitig angekündigt. (wki)  

„Die Quellenlage ist ganz schlecht“, sagt Pütz. Zwar habe es damals eine engmaschige Kontrolle und Dokumentation beispielsweise der gezahlten Löhne gegeben. „Aber in den Kämpfen ist sehr viel verloren gegangen. Die Kreisverwaltung in Euskirchen ist beispielsweise 1944 abgebrannt.“ Nach dem Krieg seien dann auch Aufzeichnungen vernichtet worden.

Bei ihren Recherchen habe sie auf das Kreisarchiv und den Internationalen Suchdienst mit Sitz in Bad Arolsen in Hessen zurückgegriffen. „Meist handelt es sich um Daten aus Landratsämtern, Amtsbürgermeistereien oder auch Pfarrämtern, die nach dem Krieg von den Alliierten abgefragt worden waren“, berichtet Pütz. Aber nicht alle Daten seien archiviert worden.

Falsche Namen und Orte

„Es ist die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Man muss schon einen Namen haben, um dann nach Personen suchen zu können.“ Namen und Geburtsorte seien aber oft nach dem Hörensagen aufgeschrieben worden und deshalb fehlerhaft. So komme es auch vor, dass sogar die Herkunftsländer nicht stimmen würden.

„Man findet im Archiv in Bad Arolsen Personen, die in Vogelsang eingesetzt waren. Wir wissen aber nicht, wo sie nach dem Krieg geblieben sind“, ergänzt Stefan Wunsch. In den Wirren der Nachkriegszeit, in der Menschenströme unterwegs gewesen seien, verliere sich manche Spur.

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Die meisten Zwangsarbeiter waren in der Industrie beschäftigt. Letztlich, so ist in der Ausstellung zu lesen, habe die gesamte Wirtschaft vom Bäcker bis zum Kohlegroßhändler nicht ohne sie funktioniert. Das gelte auch für den öffentlichen Bereich, wo Zwangsarbeiter bei Verwaltungen, Bahn, Post, Straßenreinigung, Putzpersonal, Müllentsorgung oder Räumarbeiten nach Luftangriffen eingesetzt wurden. Aber auch in Krankenhäusern, Arztpraxen und Altenheimen sowie im kirchlichen Einrichtungen, Universitäten und Privathaushalten waren sie häufig anzutreffen. Mit zunehmender Kriegsdauer wuchs der Bedarf an Arbeitskräften in Deutschland immer weiter.

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