Corona, Flut und Arbeit führten Tanja Wodok in die Isolation. In ihrem Buch beschreibt die Weilerswisterin ihren ungewöhnlichen Weg zurück.
NeuerscheinungWie eine Weilerswisterin mit einem Gedankenexperiment der Krise entkam

Dieser Platz an der Erft gehört für Tanja Wodok trotz Flutkatastrophe zu ihren Wohlfühlorten.
Copyright: Dagmar Lückerath
Ich liebe dich. Ein Satz mit großer Bedeutung. Doch was passiert, wenn man diese Aussage flüchtigen Begegnungen oder gar Fremden entgegenbringt? Nicht ausgesprochen, sondern in Gedanken. Im Supermarkt, im Fitnessstudio, beim Spaziergang? Für Tanja Wodok wurde diese Frage zu einem Experiment und der Weg aus einer schweren persönlichen Krise.
„Ich habe das besondere Talent, mich unsichtbar zu machen.“ Dieser Satz stammt von einer Frau, die auf roten Teppichen vor und hinter der Fernsehkamera zuhause war. Fast zwei Jahrzehnte war Wodok weltweit als TV-Moderatorin und Fernsehjournalistin unterwegs, fand mutige Wege, ihre Ziele zu erreichen, und interviewte prominente Persönlichkeiten. Souverän, sichtbar und stark, jeder Herausforderung gewachsen und zuletzt als Mutter zweier kleiner Kinder weiterhin berufstätig in ihrem Traumjob. „Mein Leben teilt sich in zwei Hälften, ein davor und ein danach“, sagt die Weilerswisterin heute.
Flutkatastrophe 2021 zerstörte Zuhause von Tanja Wodoks Familie
Davor, das ist die Zeit vor dem 14. Juli 2021, als die Flutkatastrophe nicht nur das Zuhause der Familie Wodok zerstörte. Schleichend, in einem Prozess, der rückblickend für Wodok mit der Corona-Pandemie und den zahlreichen Lockdowns begann, zogen die wachsenden Belastungen immer engere Kreise um die gebürtige Mannheimerin. „Mir wurde der Boden unter den Füßen weggerissen“, erinnert sich Wodok an die Abwärtsspirale, die ihr Leben komplett auf den Kopf stellte: „Besonders während der Corona-Zeit war das Zuhause ein sicherer Zufluchtsort geworden, der durch die Flutkatastrophe von heute auf morgen verloren ging.“
Besonders während der Corona-Zeit war das Zuhause ein sicherer Zufluchtsort geworden, der durch die Flutkatastrophe von heute auf morgen verloren ging.
Wiederaufbau, Ärger mit Handwerkern, Leben in einer Übergangslösung, den Kindern trotz der Krise ein sicheres Gefühl vermitteln, im Job funktionieren – alles forderte einen Tribut. Ein weiterer Tropfen, der Wodoks persönliches Fass zum Überlaufen brachte, kam mit einer Umstrukturierung an ihrem Arbeitsplatz. Von heute auf morgen fand sie sich statt vor oder hinter der Kamera im Planungsbüro des TV-Senders wieder. Themen recherchieren, Sachverhalte aufarbeiten, Zeitdruck und immer mehr Pensum, das geschafft werden musste, führten letztendlich zu Burnout, posttraumatischer Belastungsstörung, Panikattacken und einer schleichenden Sozialphobie.
Wodok, einst strahlend und selbstbewusst im Scheinwerferlicht, zog sich mehr und mehr in die Isolation zurück. „Mein sicheres Zuhause hat sich nach und nach zu meinem eigenen Gefängnis entwickelt“, lautet ihr Fazit heute: „Alleine zu sein war nie ein Problem für mich. Doch plötzlich fühlte ich mich trotz meiner Familie einsam.“ Mutter-Kind-Kur, Familien-Reha gemeinsam mit Ehemann Robert und den Kindern oder Psychotherapie waren nur einige der Instrumente, die Wodok als Weg aus ihrer Krise nutze.
Vor einem Jahr startete Tanja Wodok ihren Selbstversuch
Doch das Gefühl, nicht passend zu sein für ihre Umwelt, blieb. Ebenso der Rückzug vom alltäglichen Miteinander, in dem sie sich für andere nicht mehr existent fühlte: „Ein wirklicher Wendepunkt kam durch eine Internetrecherche zum Thema Spiegelneuronen.“ Mit dem Wissen über die Nervenzellen im Gehirn, die Handlungen und Emotionen anderer Menschen reflektieren, und der Gewissheit, dass sich was ändern muss, schlief Wodok an diesem Abend ein: „Morgens bin ich mit der Idee positiver Gedanken aufgewacht, und der Satz ,Ich liebe dich' hat mich inspiriert.“
Nach Gesprächen mit ihrem Ehemann und ihrer Therapeutin entwickelte sich daraus die Grundlage für ihren Selbstversuch: 100 Tage lang fremden Menschen mit einem stillen, nicht ausgesprochenen, aber ehrlichem „Ich liebe dich“ zu begegnen. Der 1. Oktober 2024 war ein willkürlicher Tag, an dem Wodok mit dem Vorsatz „Heute probiere ich das mal aus“ das Haus verließ. Allein der Gedanke an den Schritt vor die Tür verursachte bei Wodok Anspannung und Stress. Und doch setzte sie dem Wunsch, auf dem Weg zur Schule mit ihrer Tochter unentdeckt zu bleiben, ihren Entschluss entgegen.
Viele Menschen fühlen sich einsam und ziehen sich immer mehr in die Isolation zurück. Ich möchte andere Wege aufzeigen, wieder aktiv am Leben teilnehmen zu können.
Der Mutter eines Klassenkameraden ihrer Tochter, mit der sie in der Vergangenheit höchstens ein kurzes Nicken gewechselt hatte, schenkte sie ein unausgesprochenes „Ich liebe dich“. „Und etwas passierte. Mein Blick veränderte sich. Ihr Blick auch. Sie strahlte mich an und sagte mit einem freundlichen Lächeln ‚Hallo. Guten Morgen‘.“ Die Begegnung entwickelte sich im weiteren Verlauf zu einem Small Talk, und sicher ahnte ihr Gegenüber nicht, dass dieser kurze Moment für Wodok viel Kraft und Überwindung erforderte. Aber der erste Schritt war getan.
In ihrem Buch zeigt sich die Weilerswisterin verletzlich und verwundbar
Wie reagiert der Postbote, der zur Übergabe eines Pakets gestresst an der Haustür klingelt, und ungeahnt ein „Ich liebe dich“ gesendet bekommt? Welches Verhalten zeigen Menschen, denen Wodok auf ihren Spaziergängen zu einem ihrer Lieblingsorte an der Erft mit ihrem persönlichen Mantra begegnet? Was passiert im Supermarkt, wenn man zwischen Konservendosen und Obstnetzen einem fremden Mann eine unausgesprochene Liebeserklärung sendet?
Ihre Erlebnisse mit allen Höhen und Tiefen ihrer insgesamt 100 Tage Mut hat Wodok nun in ihrem Buch „Das Ich liebe dich Experiment“ veröffentlicht. „Mein Buch ist eine Art Tagebuch und ein Wegweiser für alle, die funktionieren, obwohl sie innerlich kämpfen“, erläutert die Autorin: „Viele Menschen fühlen sich einsam und ziehen sich immer mehr in die Isolation zurück. Ich möchte anderen Wege aufzeigen, wieder aktiv am Leben teilnehmen zu können.“
In ihrem Buch zeigt sich Wodok ehrlich, verletzlich und verwundbar. Dafür hat die Autorin höchsten Respekt verdient. Wer gibt schon gerne Ängste zu, die das tägliche Miteinander erschweren? Die einem gegen jede Vernunft den Atem rauben, die den Schritt vor die eigene Haustür zu einer unüberwindbaren Barrikade werden lassen. Wodok lässt in ihrem Buch hinter ihre Fassade blicken, gibt ihre Schwächen ungeschönt zu und lässt es nicht an Selbstreflexion fehlen. Erfolgserlebnisse und Tiefschläge ihres Experiments in ganz alltäglichen Situationen sind ebenso fester Bestandteil der Lektüre wie das Wechselbad der Gefühle als ständiger Begleiter.
Das macht das Buch lesenswert und wird manchem an der einen oder anderen Stelle ein „Das kenne ich“ durch den Kopf schwirren lassen. Wodok hat es mit ihrem Experiment geschafft, wieder sichtbar zu sein. Wo sie vor einigen Monaten ohne Verbindung zu ihren Mitmenschen durch ihr Leben schlich, um zu ihrer eigenen gefühlten Sicherheit unentdeckt zu bleiben, trifft man nun auf eine mutige und ausdrucksstarke Frau, die sich in Menschentrauben wieder wohlfühlt. „Ich vermisse immer noch die selbstbewusste Frau davor, fühle mich heute, also danach, aber viel mehr ich.“
Das Buch „Das Ich liebe dich Experiment“ von Tanja Wodok ist bei BoD, Books on Demand GmbH, erschienen. ISBN 978-3-7693-1417-5. Außerdem teilt Wodok ihre Geschichte auf Instagram (@panik_frei) und im gleichnamigen Podcast.