LKA-Ermittler zu Kinderpornografie„Das übersteigt die menschliche Vorstellungskraft“

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Lügde Durchsuchungen

Tatort Lügde: Bei der Durchsuchung auf dem Campingplatz wurden Computer sichergestellt, auf denen kinderpornografisches Material gefunden wurde.

  • Künftig soll die NRW-Polizei bei der Aufklärung von Kinderpornografie von einer Künstlichen Intelligenz unterstützt werden
  • Im Interview spricht der Landeskriminalbeamte Sven Schneider über den technischen Fortschritt und die schwierigen Ermittlungen.
  • Außerdem spricht er auch über seine persönliche Erfahrung: Kann man die grauenvollen Bilder überhaupt vergessen?

Köln/Düsseldorf – Künftig soll eine künstliche Intelligenz die NRW-Polizei bei der Aufdeckung von Kinderpornografie unterstützen. Im Interview spricht der Landeskriminalbeamte Sven Schneider über die Kinderpornografie im Internet und das schwierige Vorgehen bei der Aufklärung. 

Herr Schneider, im Missbrauchsfall Lügde wurden 13 Terabyte Belastungsdaten beschlagnahmt. Wie viele Mitarbeiter braucht man, um diese riesige Menge an Filmen und Fotos auszuwerten?

Schneider: Das ist schwer zu beziffern. Die Datenbestände in jedem Fall sind anders. Wir beschlagnahmen Festplatten, Mobiltelefone, Laptops und andere Speichermedien. Da ist die Datenmenge, die man durchforsten muss, automatisch schon sehr groß. Videos und Bilder können beispielsweise auch in Word- oder Powerpoint-Dokumenten versteckt sein, auch in E-Mails oder eingebettet in Hollywoodfilmen – die Täter legen das ja nicht im Ordner „Kinderpornografie“ ab.

Im Fall Lügde war es so, dass Mitarbeiter aus mehreren NRW-Behörden hinzugezogen wurden, damit die Datenmenge gesichtet werden konnte. Insgesamt also waren mehr als 60 Beamte monatelang mit dieser Aufgabe beschäftigt?

Schneider: Ja, so ist das gewesen. Grundsätzlich gibt es drei Schritte: Die Datensicherung, die Aufbereitung und die Auswertung. Das heißt, wir sortieren die Daten zunächst, etwa nach Videos, Bildern oder Chatverläufen. Nach der Aufbereitung bleibt immer noch ein Ordner von Material, das wir nicht kennen, das wir nicht sofort einschätzen konnten. In Lügde war dieser Bestand extrem groß, deshalb brauchten wir die Hilfe aus anderen Behörden.

Sven Schulz LKA

Sven Schneider, Leiter der Abteilung für Kinderpornografie-Ermittlungen des Landeskriminalamts Düsseldorf

Wir haben das mal nachgerechnet: Um ein Terabyte auszuwerten, bräuchte ein einzelner Mitarbeiter ungefähr elf Monate, wenn er jedes Bild nur eine Sekunde lang anschaute. Nimmt er sich zehn Sekunden Zeit, bräuchte er knapp zehn Jahre. Und im vergangenen Jahr lagen bei uns im LKA sowie in den einzelnen Polizeibehörden landesweit insgesamt knapp 3000 Terabyte Material mit potenziell kinderpornografischem Inhalt vor.

Was kann die Künstliche Intelligenz leisten?

Welche Entlastung erwarten Sie vom Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI)?

Schneider: Das muss man differenzieren. Die Polizei hat zwei verschiedene Aufgaben: Die Gefahrenabwehr, wo wir etwa noch laufende Missbräuche aufdecken können, sowie die Strafverfolgung, wo es um die Beweisführung geht, dass die Täter missbraucht oder kinderpornografisches Material besessen oder verbreitet haben. Neuronale Netzwerke bzw. entsprechende Software soll uns dabei helfen, den Datenbestand zu reduzieren, da haben wir grundsätzlich große Hoffnungen, insbesondere für den Bereich der Strafverfolgung.

Es gibt bereits jetzt Programme, die tatsächlich auch Missbrauchsabbildungen erkennen können. Es gibt auf dem Gebiet einige Firmen und Institute, die daran arbeiten. Aber diese bieten aus meiner Sicht derzeit noch keine 100 Prozent-Lösung. Im Bereich der Gefahrenabwehr, wo es nicht nur um die Anzahl von nachweisbaren inkriminierten Bildern auf einem Speichermedium geht, sondern um möglicherweise noch andauernde Missbrauchsfälle, benötigen wir Software mit extrem hoher Erkennungsrate oder wir müssen uns alle Bilder anschauen.

Wir können es uns unter diesem Aspekt nicht leisten, dass solche Bilder von der Software „übersehen“ werden. Kürzlich habe ich noch mit einem Institut telefoniert, welches solche Software entwickelt. Und deren Produkt zur Erkennung von Missbrauchsabbildungen ist bei Erkennungsraten von 50 bis 60 Prozent. Eine andere Firma gibt derzeit an, bei etwa 80 Prozent Erkennungsrate zu liegen. Also alles noch weit entfernt von dem, wo wir hinwollen. Ich habe den Eindruck, dass wir mittelfristig dahin kommen. Nur wird das noch eine ganze Zeit dauern. Grundsätzlich begrüßen wir als Ermittlungsbehörde jede Anstrengung, die auf diesem Gebiet unternommen wird.

Sie und Ihre Kollegen sichten täglich schlimmste Kinderpornografie. Wie verkraftet man das?

Schneider: Das ist natürlich höchst individuell. Es gibt kaum Forschung dazu. Es belasten zwei Dinge: Die riesige Datenmengen, bei denen die Bilder- und Videoflut nicht kleiner zu werden scheint. Und die Bilder, die teilweise extrem grauenvolle Situationen zeigen, die gelegentlich sogar die menschliche Vorstellungskraft übersteigen. Wir bieten Supervision an, bekommen mehrfach die Woche Besuch von einem Polizei-Seelsorger.

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Gelingt es, die Bilder nach Dienstschluss zu vergessen? 

Schneider: Auch das ist natürlich individuell. Aber dass wir alles in der Dienststelle lassen, das wird wohl die Ausnahme sein. Psychologen sprechen eher von einer Einbahnstraße. Wenn man es mal gesehen hat, dann hat man es gesehen. Und das kann einem auch keiner mehr abnehmen.

Wie viel Personal haben Sie zur Verfügung?

Schneider: Am Anfang des Jahres hatte ich elf Mitarbeiter. Durch das Aufstock-Programm des Innenministeriums werden es am Ende des Jahres etwa 35 sein.

Ein Fortschritt.

Schneider: Absolut. Ein Schritt in die richtige Richtung. Das Ziel ist unter anderem die zentrale Aufbereitung und Bewertung aller in NRW beschlagnahmten Daten im Kontext von Missbrauchsabbildungen hier im LKA. Ob das Personal dafür reicht, werden wir sehen, wenn sich die Prozesse mit den neuen Kollegen eingespielt haben.

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