Burscheider SozialarbeiterChristian Riehl nimmt den Jugendlichen Angst vor dem Krieg

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Riehl

Christian Riehl im Burscheider Megafon.

Burscheid – Es ist keine leichte Zeit für die Jugendlichen: Vor sechs, sieben Jahren kamen viele selber als Flüchtlinge nach Deutschland. Jetzt hören sie wieder von Krieg, sehen die Fernsehbilder aus der Ukraine und fragen sich: Kommt der Krieg auch nach Deutschland? „Nicht alle Kinder können so etwas mit ihren Eltern besprechen“, sagt Christian Riehl. Doch dafür gibt es ihn. Er ist seit zehn Jahren Sozialarbeiter in Burscheid und versucht bei dem Thema offen mit den Jugendlichen zu sprechen und ihnen die Angst zu nehmen.

Im Burscheider Megafon an der Montanusstraße wird es laut: Die älteren Schülerinnen und Schüler kommen aus der Schule. Gerade noch haben die Kleineren gegessen, es gab Wraps mit Geflügel, Mais und Gurken, jetzt geht es an die Hausaufgaben und Nachhilfe. Montags und freitags gibt es das Angebot. Ältere helfen Jüngeren. Ab und an muss Riehl ausnahmsweise auch mal ran: „Mit Mathe hätte ich kein Problem, bei Englisch schon“, schmunzelt er.

Erst Kfz-Ausbildung, dann Studium

Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen macht dem 39-Jährigen Spaß. Gemerkt hat er das während seines Zivildienstes im Café Leichtsinn in Bergisch Gladbach, das er an seine abgeschlossene Kfz-Ausbildung drangehangen hatte. Da hat er gemerkt: „Das ist, was ich machen will.“

In den vergangenen Jahren war er mit unterschiedlichen Aufgabengebieten betreut, zum Beispiel hat er Eltern beraten, wie sie an Geld aus dem Bildungs-und Teilhabegesetz kommen. Der Bergisch Gladbacher sieht das Problem: Es gibt genug Angebote, doch es wird den Eltern schwer gemacht, durchzublicken und da ranzukommen. Wer nicht gut Deutsch spricht, kann sich schlecht mit Anträgen herumschlagen. Auch während der Pandemie war der Beratungsbedarf hoch: Eltern in Kurzarbeit haben Hilfe gebraucht, Kinderzuschlag oder Wohngeld zu beantragen.

Seit Anfang des Jahres ist Christian Riehl in Burscheid offiziell zu 45 Prozent als Schulsozialarbeiter und zu 55 Prozent für Interkommunales Integrationsmanagement zuständig,  angestellt ist er bei der Katholischen Jugendagentur. Doch die Übergänge sind fließend beziehungsweise noch nicht hundertprozentig festgezurrt. Vieles überschneidet sich auch.

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In Erinnerung bleiben ihm Situationen wie die so genannte Flüchtlingswelle 2015/2016. Ein Großteil der Jugendlichen, die sich an diesem Nachmittag im Megafon auf der Couch fläzen, zocken oder in der Küche mithelfen, sind seit dem in Deutschland. Die 16-jährige Hanin zum Beispiel, die nach wenigen Jahren bereits selber Nachhilfe gibt, in Deutsch, Englisch und Mathe. Oder die zwölfjährige Maschdu, die mit ihrer Mutter zu Hause gern syrisch kocht für die sechsköpfige Familie – und dementsprechend auch den Kopflöffel im Megafon schwingt. Eine große Stütze für Riehl ist auch die 15-jährige Gulistan. Sie trocknet gerade einen Teller in der Küche ab, das Mittagessen ist vorbei, der Lärmpegel etwas gesunken. Sie hilft an zwei Tagen aus, ursprünglich war das ein Praxisprojekt an der Gesamtschule, mittlerweile ist sie schon länger da und überlegt, auch nach den Sommerferien noch zu bleiben.

Gefährliche Mutproben

Doch auch weniger gute Entwicklungen sieht Christian Riehl. An den Schulen beobachtet er mit Sorge, dass Mutproben, bei denen Schüler oder Schülerinnen sich selbst kurzzeitig eine Ohnmacht hinzufügen, zugenommen haben. Oder dass die Netflixserie „Squid-Game“, in der Teilnehmer Kinderspiele lösen müssen und die Verlierer getötet werden, auf Schulhöfen nachgespielt werden und sogar an Grundschulen schon bekannt ist.

Oberste Maxime vom Sozialarbeiter ist es, den Jugendlichen zu selbstständigen Entscheidungen zu verhelfen und für Gespräche und Nöte da zu sein. In sein Jugendbüro an der Gesamtschule kommen Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrerinnen und Lehrer mit Problemen. Ob es um schlechte Noten, Gewalt, Mobbing oder sogar Extremfälle wie  Selbstmordgedanken geht: Der 39-Jährige versucht zu helfen. Nun bereitet er sich darauf vor, dass er möglicherweise irgendwann auch Menschen aus der Ukraine helfen muss. 40 Plätze für Geflüchtete zur Verfügung stellen, hat die Stadt Burscheid bereits angekündigt.

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