Ukrainerin in LeichlingenKseniia ist geflüchtet, ihr Freund verteidigt jetzt Charkiw

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Leichlingen – Kseniia drückt Michael Giering eine Bratwurst in die Hand. „You need to eat!“ – du musst etwas essen – sagt sie in einem Ton, der keine Widerrede zulässt. Und man fragt sich, wer hier Helfer und wer Flüchtling ist. Kseniia Balabanova, 29 Jahre alt, kommt aus Charkiw, der schwer umkämpften Stadt nahe der russischen Grenze.

Ihr Handy legt sie nicht aus der Hand aus Sorge, Nachrichten von den Zurückgebliebenen zu verpassen. Mit zitternden Händen zeigt sie Bilder von der Wohnung eines Freundes, dem der Balkon weggebombt wurde. Sie fürchtet, die Journalisten in Deutschland könnten nicht glauben, was in ihrer Heimat los ist, so wie ihre Freunde auf der russischen Seite der Grenze alles als Propaganda abtun, was sie ihnen schickt. „Sie sagen mir: »Bleibt ruhig, unsere Soldaten kommen und retten Euch«“ Während um sie herum die russischen Bomben einschlagen.

Kseniia stehen Tränen in den Augen

Bei diesen Berichten stehen Kseniia die Tränen in den Augen. Doch sobald sie jemand auf Ukrainisch anspricht, ist ihr Blick klar. Sie übersetzt, beruhigt, ruft mit starker Stimme Anweisungen quer über den Platz. Kseniia ist ein Glücksfall für den Flüchtlingstransport, als Lehrerin und Psychologin spricht sie nicht nur ausgezeichnet Englisch, sie kennt sich auch aus mit den psychischen Belastungen von Krieg und Flucht. Ihr selbst hilft das Wissen, die fünftägige Reise aus dem Kriegsgebiet auf das Leichlinger Busgelände zu verarbeiten, vor allem aber hilft es ihr, anderen helfen zu können.

Mit ihrer Mutter ist Kseniia aus Charkiw geflohen, ihren Freund hat sie zurück gelassen. Er sei älter als sie, aber ein Schüler in einer ihrer Fortbildungsklassen gewesen. „Am Tag, bevor die ersten Bomben fielen, fragte er mich, ob wir einen Spaziergang machen können“, erzählt die 29-Jährige. Und dann habe er ihr ganz unvermittelt gesagt: „Weißt du, dass ich dich liebe?“ Er habe eine Armeeausbildung, war eigentlich nicht mehr aktiv. Aber er ahnte, dass etwas kommen würde und wollte seine Gefühle nicht unausgesprochen lassen.

„Jetzt verteidigt er unsere Stadt“

„Jetzt verteidigt er unsere Stadt“, sagt Kseniia. Aktuell sichere er einen Bahnhof, von dem aus Menschen flüchten. Die Zustände seien chaotisch, gestern sei ein Baby im Gedränge auf das Gleis unter einem stehenden Zug gefallen. Ihr Freund konnte es retten. „Wir stehen vor einer der stärksten Armeen der Welt, aber wir haben unglaubliche Kämpfer. Wir wollen – nein – wir werden gewinnen“, gibt sie sich kämpferisch.

Deutschland, das sei für viele Ukrainer noch vor ein paar Jahren ein Schreckgespenst aus Nazizeiten gewesen. Heute sind sie alle sehr dankbar für die große Hilfsbereitschaft, die sie in Leichlingen erleben. „Diese Menschen sind unglaublich“, sagt sie mit Blick auf Chris und seine Helfer.

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Und dennoch: Kseniia Balabanova will irgendwann zurück in die Ukraine. In ihr Land. Hass auf Russland empfindet sie keinen, nur auf Putin. Sie wünscht sich, dass das russische Volk aufsteht und demonstriert. Ja, das sei gefährlich. Aber wenn alle auf die Straße gehen, kann Putin nicht alle verhaften.

Als Draht in die Heimat bleibt nur ihr Handy. „Ich schreibe keine langen Texte, eigentlich immer nur einen Satz: Ist es ruhig? Oder nicht?“ Und jedes Mal, wenn eine Antwort kommt, weiß sie: Sie leben noch.

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