Preis für wissenschaftliche ArbeitWie DDR-Fußballer zu Bayer-04-Profis wurden

Er kam auf legalem Wege in die BRD und spielte lange für Bayer 04 Leverkusen: Andreas Thom (l.)
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Leverkusen – Bayer 04 Leverkusen ist – neben dem UEFA-Cup-Sieg 1988 und dem DFB-Pokalerfolg 1993 – zweifelsohne für eine Sache bekannt: dieses schrecklich-schöne Vizekusen-Ding. Sollte man zumindest meinen. Aber da ist letztlich doch noch etwas mehr Nennenswertes. Etwas Historisches sogar, denn: Der Verein hat wohl mehr als jeder andere Club in Deutschland deutsch-deutsche Fußballgeschichte geschrieben. Und vier Schüler des Schlebuscher Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums haben die jetzt aufgearbeitet.
Landessieger in NRW
Sie beteiligten sich mit einer wissenschaftlichen Arbeit am Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, wurden dafür jüngst als „Landessieger NRW“ ausgezeichnet – und widmeten sich in dieser Arbeit einer Besonderheit rund um Bayer 04, die heutzutage möglicherweise gar nicht mehr so vielen Menschen bewusst ist: Mit Dirk Schlegel und Falko Götz spielten in den 80er Jahren nämlich zwei der ersten aus der ehemaligen DDR geflohenen Fußballprofis überhaupt unterm Bayerkreuz.
Andreas Thom wiederum war nach dem Mauerfall der erste Kicker, der – auf dann legalem Wege – aus dem Osten in den Westen des Landes wechselte. Zu Bayer 04.
Spannend und authentisch
Und die Geschichte dieser drei haben Jan Emenet, Robert Asphal, Tagino Thelen und Tiago Thelen unter dem Titel „Flucht und Transfer – Deutsch-deutsche Fußballgeschichte am Beispiel von Bayer 04 Leverkusen“ genau beleuchtet.
Beziehungsweise: vor allem spannend und sehr authentisch beleuchtet. Ihnen gelang es, persönliche Gespräche mit den drei Protagonisten sowie Menschen aus deren Umfeld zu führen und die damaligen Ereignisse zu rekonstruieren.
Flucht in Belgrad
Falko Götz und Dirk Schlegel etwa erzählten den Schülern, wie sie am 3. November 1983 vor einem Europacupspiel ihres alten Vereins, des so genannten „Stasi-Clubs“ BFC Dynamo Berlin, in Belgrad einen Einkaufsbummel dazu nutzten, sich zur deutschen Botschaft abzusetzen – und wie sie daraufhin schließlich über Slowenien und Österreich nach München gelangten.
Dort nahmen sie Kontakt zu ihrem ehemaligen, bereits ein paar Jahre zuvor in die Bundesrepublik geflüchteten Trainer Jörg Berger auf – und landeten in Leverkusen.
Arbeit im Bayer-Kaufhaus
Das Duo wohnte in der ersten Zeit im Schlebuscher Hotel „Kürten“, arbeitete im alten Bayer-Kaufhaus – und beide konnten ein knappes Jahr später, nach Ablauf einer internationalen Sperre, Bundesligapremiere im Spiel gegen Bielefeld feiern. In den Interviews bezeichnen Götz und Schlegel diese eigentlich unspektakuläre Partie jeweils als das wichtigste Spiel ihrer Karriere, waren sie doch endlich angekommen – und zumindest vermeintlich sicher.
Denn: Jahre später mussten sie bei der Durchsicht ihrer Stasi-Akten erkennen, dass sie sogar im vermeintlich fernen Westen vom Geheimdienst der DDR auf Schritt und Tritt verfolgt und beobachtet worden waren: Ein mulmiges Gefühl, wie beide betonen.
Der Fall Lutz Eigendorf
Und eines, das sie mit Recht hatten: Der DDR-Fußballer Lutz Eigendorf, der einige Zeit zuvor in die BRD geflohen und bei Eintracht Braunschweig untergekommen war, starb bei einem Autounfall und unter Umständen, die bis heute nicht aufgeklärt sind und nach wie vor für Diskussionen sorgen.
Falko Götz etwa sieht den glücklichen Umstand seiner Unversehrtheit vor allem der Tatsache geschuldet, dass er sich in Interviews nie über die DDR und deren System ausgelassen habe – im Gegensatz zu Eigendorf, der kein Blatt vor den Mund genommen hatte und zudem als der kommende Star schlechthin des DDR-Fußballs galt. Sprich: Sein Status war ein in jeder Hinsicht außergewöhnlich. Seine Flucht schmerzte die DDR-Oberen besonders stark.
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Merkmale eines Thrillers
Und nicht minder aufregend ist all das, was sich im Jahre 1990 um den Wechsel Andreas Thoms nach Leverkusen abspielte. Bei ihm fiel zwar das dramatische Moment einer Landesflucht weg. Indes: Wie die vier Leverkusener Schüler im Verlaufe der Interviews sowie dank zahlreicher medialer Quellen – Bücher, Filmdokus, Presseartikel – die Gerissenheit des damaligen Bayer-Managers Reiner Calmund aufdecken, hat nicht minder etwas von einem Thriller.
Calmund nämlich schmuggelte zwei seiner Scouts über persönliche Kontakte als Fotografen beim Länderspiel der noch eine Zeit lang bestehenden DDR-Auswahl in Österreich in den Innenraum des Stadions. Dort konnten sie Thom noch vor allen anderen kontaktieren und „waren mit ihnen schon per Du“, wie es heißt, während die Konkurrenz noch an offiziellen Wegen der Kontaktaufnahme bastelte. Der Rest – ein Überzeugungsgespräch in Thoms Berliner Wohnung inklusive – ist (Erfolgs-)Geschichte.
Arbeit geht ans Vereinsarchiv
Jan Emenet sagt, dass das Thema der Sportlerflucht und des ersten DDR-BRD-Transfers im Fußball für ihn und seine Gruppe naheliegend gewesen sei. „Wir sind alle Fans von Bayer 04. Und das war eine Chance, etwas Spannendes über die Geschichte unseres Clubs zu erfahren.“ Die Gespräche mit den Betroffenen seien zudem ein „einmaliges Erlebnis“ gewesen. Demnächst wollen sie die Arbeit Bayer 04 sehr gerne für das eigene Vereinsarchiv zukommen lassen.
Übrigens: Neben diesen vier errang auch eine zweite Gruppe von Schülerinnen und Schülern des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums – Ella Wiesenhütter, Jonas Stettner, Lena Plewe, Leonard Bartel und Markus Lenarth – einen Landessieg und landete am Ende sogar bundesweit auf dem dritten Platz des Geschichtswettbewerbes. Ihr Thema lautete: „Die Geschichte der (Un)Sichtbarkeit von Homosexualität am Beispiel der schwulen Sportszene in Köln).