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Bayer PhilharmonikerDie Neue lässt ihr Orchester von der Leine

Lesezeit 3 Minuten

Einzigartige Mimik und Gestik: Bar Avni, neue Leiterin der Bayer Philharmoniker, am Abend ihres Premierenkonzertes.

Leverkusen – Wenn ein Konzert dieses Orchesters je den Titel „Sonderkonzert“ verdiente, dann dieses. Über zwei Jahre mussten die Bayer Philharmoniker auf ihren Auftritt im Forum warten. Es kam alles zusammen und nacheinander: Erst die Pandemie. Dann die Flut, weshalb noch im September ein bereits fest geplanter Auftritt im Altenberger Dom entfiel.

Und dann ist da ja auch die Sache mit der neuen Dirigentin: Die Israelin Bar Avni übernahm bereits im vergangenen Jahr die Nachfolge von Bernhard Steiner als Chef des traditionsreichen Orchesters und wollte natürlich endlich, endlich ihren Taktstock schwingen. Kein Wunder also, dass an diesem Abend genau das zu spüren ist: Wie sie alle dort vorne – 58 Musizierende und ihre Leiterin – mit den Füßen scharren, es kaum mehr erwarten können .

Bar Avni lässt alle warten

Bar Avni zelebriert diese Rückkehr und ihre gleichzeitige Premiere denn auch von der ersten bis zur letzen Sekunde eines mitreißenden Konzertes. Zunächst lässt sie alle minutenlang warten, ehe sie die Bühne betritt und grinst sich eins hinter der Maske. Dann reißt sie sich diese schwungvoll vom Gesicht, stellt sich aufs Pult, wischt ein paarmal mit dem Taktstock in der Hand, den Blick lauernd halb von unten auf ihr Orchester gerichtet. Und legt los.

Ihre Gestik, die Art des Dirigierens, die diese Frau an den Tag legt, ist zeitweise atemberaubend. Aus jeder Bewegung Bar Avnis sprechen eine Aufforderung und ein Voranpeitschen. Man könnte auch sagen: Sie lässt ihr Orchester einfach von der Leine. Motto: „Kommt schon! Lasst sie uns heute nicht nur bezaubern, sondern gleich mit runterziehen im Strudel der Musik.“

Beethoven zu Beginn

Ludwig van Beethovens Klavierkonzert Nr. 5 in Es-Dur – auch „Emperor“ genannt, weil er es zur Zeit der Besetzung Wiens durch Napoleon komponierte – ist das erste Werk des Abends. Und Bar Avni und die Philharmoniker üben sich damit gleich in der Kür, denn: Es gilt, das eigene Temperament auf Augenhöhe zu bringen mit dem Solisten Tobias Haunhorst am Piano.

Eine Herausforderung, die maximal gelingt – weil Bar Avni sich dann, wenn es geboten ist, mit ihren Leuten zurückhält, vom Flügel ausgehenden Melodiekaskaden die Gelegenheit gibt, den Raum flirrend einzunehmen. Und dann im gemeinsamem Rondo alle Akteurinnen und Akteure wieder furios zusammenführt.

Tschaikowskis „Polnische“

Danach folgt Pjotr Iljitsch Tschaikowskis 3. Sinfonie „Die Polnische“ in D-Dur – und das Spiel wiederholt sich: Die neue Dirigentin geht voran. Treibt an. Beweist dem Leverkusener Publikum, dass sie eine Künstlerin ist, die über Dynamik, Rasanz und eine Gestik kommt, welche an Wild- und Entschlossenheit nicht zu überbieten ist.

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Und die am Ende doch auch einen Hang zum beinahe spitzbübischen Humor hat: Dann nämlich, wenn sie ein breites Lächeln auf die Gesichter mancher Musizierender zaubert und alle nacheinander mit Augenzwinkern sowie einer Mine der Art „Na, jetzt zeigt Euch doch auch mal dort hinten!“ auffordert, den verdienten, den sehr lauten Applaus anzunehmen.

Wucht und Selbstbewusstsein

Dieses tatsächlich besondere Sonderkonzert zeigt letztlich zweierlei. Erstens: Bar Avni ist definitiv einer der verheißungsvollsten Jungstars im Kosmos der Orchesterdirigierenden – weil sie zwar mit Wucht und einer gewaltigen Portion Selbstbewusstsein daherkommt, aber sich dennoch nie vor die Musik drängt. Und sie hat den Bayer Philharmonikern jetzt schon sprichwörtlich Beine respektive aus einem in den vergangenen Jahren gerne auch mal drögen Orchester eine Truppe der Spielfreude gemacht.