Das ewige Wandeln am Abgrund

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Das Ensemble Tanztrieb rahmte die Ausstellung in der Friedenskirche mit einem Auftritt ein.

Das Ensemble Tanztrieb rahmte die Ausstellung in der Friedenskirche mit einem Auftritt ein.

Sie geht nie ganz. Sie ist immer da, schlummert im Hintergrund, bis sie sich wieder mit aller Macht bemerkbar macht. So empfindet es Heike Salkic. Schon als Jugendliche litt sie an Depressionen – nur ohne die genaue Diagnose zu kennen. Im Herbst und Winter dominierten Trägheit und Abgeschlagenheit – jedes Jahr. Sobald Frühling und Sommer kamen, ging es Heike Salkic etwas besser. „Ich bin eigentlich so groß geworden“, sagt die heute 40-Jährige. Mit 18 Jahren fasste sie den Entschluss, zum Arzt zu gehen und sich behandeln zu lassen. Es folgte eine stationäre Therapie, in der sie sich auch mit Gewalterfahrungen ihrer Vergangenheit auseinandersetzte. Heike Salkic hat gelernt, besser mit sich umzugehen und in sich hinein zu hören. Die Phasen tiefster Traurigkeit wurden immer kürzer, gänzlich fort sind sie aber nicht. „Man muss sehr gut auf sich achten und Dinge tun, die einem gut tun“, sagt die 40-Jährige. Im stressigen Alltag zwischen Job und Familie könne ein Rückfall schnell passieren. „Ich habe das Gefühl, dass ich immer über dem Abgrund stehe. Das Gefühl bleibt“, erzählt Heike Salkic und deutet bei diesen Worten auf einen halb verdeckten Stuhl. Unter einem Bein liegt ein Plakat mit der Aufschrift „Abgrund“, dargestellt als großes schwarzes Loch. Die Installation ist ein Abbild einer schweren Krise – so wie viele der Bilder, die am Sonntag in der Friedenskirche in Schlebusch zum letzten Mal zu sehen waren. Wo eine Woche zuvor das Stück „Auf-Bruch“ des Tanzensembles Tanztrieb aufgeführt wurde, waren nun Gemälde zu sehen, die die Erkrankung Depression nochmals greifbarer machen.

Darunter findet sich auch eine Collage von Heike Salkic, die ihr viel bedeutet. Sie ist 2015 während einer Kunsttherapie entstanden – als es ihr sehr schlecht ging. Immer die gleichen Fotos sind auf schwarzem Untergrund aneinandergereiht. An manchen Stellen hat Salkic das Bild „absichtlich verletzt“. An anderen hat sie Hoffnungsschimmer eingearbeitet – wichtige Lebensereignisse, die ihr Kraft geben.

Solche Momente hat auch Claudia Haase in ihren Bildern verarbeitet. Auf dem Gelände mit einer abstrahierten Silhouette reckt sich etwas Helles in ihrem Rücken, während vor ihr das Dunkle dominiert. „Ich bin sehr gläubig. Ich dachte immer, dass jemand da ist, der mich stützt“, erzählt die 47-Jährige. Als sie tief in der Krise steckte, hätte sie diesen Jemand an ihrer Seite gebrauchen können. Nicht immer stieß sie auf Verständnis. Während ihre Arbeitskollegen sich offen und unterstützend zeigten, sagten ihr einige Familienmitglieder: „Stell dich nicht so an.“

Das Bild herrschte vor, dass Depressionen eine Lappalie sind. Dabei war die Lehrerin wie ausgewechselt. Die, die sonst immer viel Sport trieb, kam nur unter Tränen aufs Trimmrad und schaffte es nicht, in die Pedale zu treten. So groß waren die Antriebslosigkeit und Verzweiflung. Das Weinen begleitete Claudia Haase ständig. „Ich fing aus den komischsten Anlässen damit an“, sagt sie, die eines ihrer Bilder aus diesen Erfahrungen heraus mit „Tränensee“ betitelte.

Ein Jahr lang konnte Claudia Haase ihrem Job nicht nachgehen. Heute hat sie die Erkrankung im Griff – dank der Therapie, wie sie sagt. „Betroffene sollten sich unbedingt Hilfe suchen. Auch, wenn dieser Schritt viel Überwindung kostet. Alleine kommt man da nicht heraus.“

Neun Jahre nach der Sinneskrise spricht Claudia Haase offen über die Depression und betont: „Ich finde es wichtig, Gesicht zu zeigen.“

Claudia Haase, Künstlerin

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