Flucht nach Leverkusen„Wir wurden gewarnt, die russische Armee will gratulieren“

Lesezeit 3 Minuten
LEV-Ukraine-Geflüchtete

Irina Andreeva, Dmytro Andreev, Swetlana Krasnova (von links)

Leverkusen – Was macht Putin an diesem Tag? Oder genauer: Was macht die russische Armee? „Wir wurden schon gewarnt“, lässt Dmytro Andreev wissen. „Sie wollen uns gratulieren“, sagt der Mann aus Belaya Zerkow mit Blick auf den ukrainischen Unabhängigkeitstag. Es ist der 31. – und geht es nach Wladimir Putin, der letzte.

Dmytro erinnert sich noch zu gut an den 24. Februar: 74 Raketen schlugen in seiner Stadt ein. Sie ist ein wichtiger Militärstützpunkt. Vom Flugplatz und der Raketenstation wird Kiew an der Südflanke verteidigt. Seine Heimatstadt hat große strategische Bedeutung. Deshalb ist sie immer wieder Ziel von Raketen; was daheim läuft, weiß Dmytro aus erster Hand: Seine Eltern wollten nicht weg, sein Vater ist zu krank. Jetzt passten sie aufs Haus auf, er sieht sie in Lebensgefahr, jeden Tag. Dmytro hatte erst vor kurzem mit dem Bau begonnen, ganz fertig ist er nicht geworden vor dem Überfall.

Zuerst die Familie

Ihn hat der russische Angriff veranlasst, zunächst mal seine Frau und die drei Kinder außer Landes zu schicken. Am 5. März sind sie aufgebrochen, fünf Tage später waren sie in Leverkusen. Es gab eine Verbindung zu den evangelischen Freikirchlern in Manfort. So wie bei der Familie Rovenchuk, die mit vier Kindern noch ein paar Tage früher nach Leverkusen aufgebrochen ist und mittlerweile – allerdings nur vorübergehend – in Köln-Rodenkirchen eine Wohnung gefunden hat. Man kennt sich, natürlich. Und ist jetzt eine Schicksalsgemeinschaft.

Dmytros Frau Irina und die drei Kinder – Solomia, Bogdan und Arsenij sind 16, 14 und zwölf Jahre alt – wohnen neuerdings in einer Opladener Wohnung und gehen dort in die Schule. Dort laufe es viel besser, seit eine ukrainische Lehrerin den Unterricht begleitet. Auch sie ist vor den russischen Angriffen geflüchtet.

Drei Kinder dann darf der Vater weg

Dmytro dagegen lebt noch im Gemeindehaus der freikirchlichen Gemeinde an der Manforter Poststraße. Er hat sich reichlich zwei Monate später auf den Weg nach Deutschland gemacht. Das ist möglich, weil er drei Kinder hat. Dass es einmal entscheidend werden könnte für das Recht auf Flucht, wie viele Kinder man hat – der Kameramann beim Lokalfernsehen hätte sich das nie vorstellen können. Er lächelt, als die Rede darauf kommt, bitter.

Nun wohnt er im Keller des Gemeindehauses. Früher hat sich in den Räumen die Jugend getroffen. Jetzt sind das die Wohnungen für Geflüchtete aus der Ukraine. Für Michael Engelmann ist das irgendwie lange her. Als es Anfang März schnell zu eng wurde im Gemeindehaus, hat er die sechs Rovenchuks bei sich untergebracht. Jetzt kümmert sich der Ehrenamtler um Post und Behördenbriefe.

Als er im Haus ankommt, drückt ihm Dmytro ein Schreiben des „Beitragsservice“ von ARD, ZDF und Deutschlandfunk in die Hand. Außerdem einen Brief des Jobcenters. Engelmann runzelt die Stirn: Die Miete für Dmytros Zimmer wird nicht auf das Konto der Gemeinde überwiesen, sondern auf dessen Konto. Wieder etwas zu regeln für den Mann aus Quettingen.

Gehen oder bleiben?

Mit am Tisch sitzt Irina Andreeva. Ihr heiterer Gesichtsausdruck täuscht. Sie hat ein halbes Jahr nach dem Angriff „Angst, darüber nachzudenken, wie das enden könnte“. Sie hat keinerlei Vorstellung, was in einem Jahr ist: Ob sie dann wieder zurück kann, oder noch in Deutschland ist. Wenn ja, fragt sie sich: „Kann ich diesem Land irgendwelchen Nutzen bringen?“ Zunächst muss die Kindergarten-Pädagogin Deutsch lernen.

Das könnte Sie auch interessieren:

So wie Swetlana Krasnowa. Die 41-Jährige ist Maschinenbau-Ingenieurin, hat daheim bei einem großen Hersteller gearbeitet. Was die Geflüchteten aus der Ukraine eint, die sich hier in Manfort zusammengefunden haben: Sie wissen nicht, was die Zukunft bringt. Und haben Berufe, die in Deutschland gefragt sind.

KStA abonnieren