Industriellenfamilie aus LeverkusenDie Geschichte der Tillmanns

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Selten für die Zeit um 1919 sind Innenaufnahmen. Hier ist der Wintergarten des Hauses Falkenberg abgelichtet.

Selten für die Zeit um 1919 sind Innenaufnahmen. Hier ist der Wintergarten des Hauses Falkenberg abgelichtet.

Leverkusen – Ein bisschen von Moby Dick und dem Walfänger Käpt’n Ahab schwingt in den Reisenotizen des Leverkusener Fabrikanten Rudolf Tillmanns mit, als er auf seiner Nordlandreise 1904 nach Bergen über den Walfischfang schreibt: „… meistens ist die Maschine der Schiffer im Stande, sich allmählich der Gangart der Schnelligkeit des getroffenen Tieres anzupassen, je nachdem der Schuss nicht sofort tödlich wirkte, kommt es auch vor, dass das Schiff sich von dem harpunierten Walfisch schleppen lässt bis seine Kraft erlahmt.“

Der Kampf zwischen dem getroffenen Walfisch und den Fängern sei so furchtbar und so aufregend, dass dazu die größte Erfahrung, die größte Ruhe gehöre. „Denn durch die kleinste Ursache wäre das Schicksal der Mannschaft besiegelt, was aber fragt der Mensch darnach, wenn der Erfolg für ihn von Nutzen ist.“

Das Zitat stammt aus einem kleinen Heft, das der Unternehmer mit auf die Reise nahm. Es liegt neben Fotos, Urkunden, Rechnungen, Einladungen und kleinen Ölgemälden. Letztere zeugen von den Ursprüngen der einstigen Schraubenfabrik Tillmanns. Alles liegt in einem Karton in der Größe einer Festtagstorte. Das ist der Nachlass, den die Stadtgeschichtliche Vereinigung mit Hilfe der Volksbank Rhein-Wupper erstanden hat. Vor allem die Fotos zeigen eine Blüte der Industriellenfamilie, wie sie für die Gründerzeit nicht selten war. Noch vieles muss ausgewertet werden. Aber der Leverkusener Historiker Reinhold Braun, Vorsitzender des Bergischen Geschichtsvereins, Abteilung Leverkusen Niederwupper, und Mitglied der Stadtgeschichtlichen Vereinigung, hat mit dem Puzzle schon angefangen. Darin tun sich die Facetten einer spannenden Firmengeschichte auf.

Schrauben in Handarbeit

Die Ursprünge lagen im neunzehnten Jahrhundert noch in Wuppertal-Cronenberg, wo Johannes Isaak Tillmanns Schrauben und Nägel in Handarbeit fertigte. Die Familie war calvinistisch geprägt und wählte alttestamentarische Namen für ihre Kinder. „Die Idee war, dass wer sich anstrengt und ein gottgefälliges Leben führt, durch Gott belohnt wird. Zum Beispiel durch Reichtum“, erläutert Braun. Bei den Tillmanns trug das offenbar Früchte. Der älteste Sohn Johann Abraham Tillmanns wagte den Schritt zum Großbetrieb. Man schaut sich dort um, wo die damals übliche Energieversorgung stattfand – das war die Wasserkraft. Ein Grundstück bei Altenberg hatten die Tillmanns ursprünglich ins Auge gefasst, entschieden sich dann aber für das Wiembachtal.

Die Empfehlung, weiß der Historiker Rolf Müller, kam wiederum von Wilhelm Pohlig, der in Biesenbach eine Wassermühle und eine Ölkuchenpresse betrieb. „Pohlig war Johann Abrahams Schwager und Bruder des weltberühmten Drahtseilbahnbauers Julius Pohlig aus Leichlingen-Oberschmitte“, so Müller.

1858 begann neben der Pohligsmühle die Produktion von Holzschrauben. Doch die Wasserkraft reichte für beide Betriebe nicht aus und musste aufgrund der ungleichen Wasserführung des Wiembaches öfters unterbrochen werden. Schon bald zogen die „Gebrüder Tillmanns zu Biesenbach“ mit Johann Abraham an der Spitze um und und bauten ein neues Fabrikgebäude und ein Wohnhaus unterhalb der Mühle. Johann Abraham war zudem Mitglied des Lützenkirchener Gemeinderats. Offiziell gehörte der Betrieb Johann Isaak und seinen drei Söhnen, daher der Name „J. I. Tillmanns“ . Den Namen Neucronenberg brachte die Familie aus Wuppertal nach Bergisch Neukirchen mit.

„Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 boomte die Wirtschaft“, weiß Braun. Und auch der Bedarf an Schrauben stieg. Holzschrauben, Stiefeleisen, Betthaken, Schrauben und Muttern wurden fortan maschinell gefertigt. Da die Wasserkraft nicht reichte, kam eine Dampfmaschine hinzu.

Die Verbindung vom Verladeplatz zur Bahnlinie zwischen Opladen und Wermelskirchen und damit zu den Märkten wurde durch eine Drahtseilbahn der Firma Julius Pohlig hergestellt. Bereit gegen Ende des 19. Jahrhunderts entstanden Handelsverbindungen und Niederlassungen in Russland. Dort ging man unter anderem auf Bärenjagd und die Trophäen waren wiederum im späteren Jagdzimmer einer imposanten Villa, dem Haus Falkenberg, zu bestaunen. Das bezog Rudolf Tillmanns, der Autor der Walfisch-Szene mit seiner Familie 1912/13. Seine Ehefrau Eugenie stammte aus der Familie der Sensenfabrikanten Kuhlmann.

„Es war die Sommerresidenz“, weiß Braun über das Haus Falkenberg, das in den 50er-Jahren schon wieder abgerissen wurde. In den Wintermonaten lebte die Familie in Köln, dort gingen auch die Kinder zur Schule. Die heute noch bestehende Villa Tillmanns, die zwischenzeitlich Rudi Völler gehörte, ist älteren Datums und sie ist kleiner gewesen als Haus Falkenberg. In einem kleinen Album sind die Familienbilder von Haus Falkenberg zu sehen, die laut Braun bislang noch nicht veröffentlicht wurden. Sie zeigen die Blüte des industriellen Wohlstands. Allein das separate Gärtner- und Chauffeurhaus ist mit den heutigen Maßstäben einer Villa gleichzusetzen. Das Haupthaus mit Turm und Erkern erinnert schon fast an bisschen an das Bayer-Kasino. Es gab einen Wintergarten, und daraus gibt es – für die damalige Zeit seltene – Innenaufnahmen. Auf dem Gelände gab es eine Rosengarten, ein Treibhaus und Hundeställe.

Hitler-Stalin-Pakt war Todesstoß

Doch der industrielle Prunk verblasste, es kamen wirtschaftlich schlechte Jahre bedingt durch die Wirtschaftskrise und die beiden Weltkriege. Aber auch eine unglückliche Hand bei der Firmenleitung führte zum Niedergang. „Die Geschäftsführer gingen mitunter lieber mit dem Hund spazieren“, sagt Braun. Den Todesstoß bedeutete der Hitler-Stalin-Pakt 1939. Im Sommer 1940 besetzte die Sowjetunion Litauen. Deutsche mussten das Land verlassen. Als 1946 die Firma Tillmanns & Co. KG gegründet wurde, hatte sie noch zwei Jahrzehnte mit Stahlfenstern und Türen gehandelt.

In den 50er-Jahren sollte das Gelände des Hauses Falkenberg verkauft werden um Geld in die Kasse zu bringen.

Pläne, es an einen Wohlfahrtsverband zu verkaufen, der dort ein Genesungsheim gebaut hätte, zerschlugen sich. Das Gelände wurde dann von Bayer erworben und in Grundstücke für hochgestellte Mitarbeiter aufgeteilt.

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