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Ausbildung in Corona-Zeiten„Von den Goldfischen gibt’s zu wenig“

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Job-Speed-Dating vorigen November in der BayArena – in Corona-Zeiten geht so etwas nicht.

Job-Speed-Dating vorigen November in der BayArena – in Corona-Zeiten geht so etwas nicht.

Leverkusen – Kurzarbeit, ungewisse Zukunft – und dann noch ausbilden? Für viele Unternehmen ist das ein echtes Problem, und das merkt man. Zum 1. August werden längst nicht alle Ausbildungsplätze besetzt sein. „Wir verzeichnen einen deutlichen Rückgang“, sagt Christopher Meier von der Industrie- und Handelskammer. Die Bewerbungsverfahren verschöben sich „um zwei, drei Monate nach hinten“, so Meier. Die Firmen spielen auf Zeit, notgedrungen.

Grund dafür sei nicht nur die unsichere Zukunft. Weil die Schulen lange geschlossen waren, hatten die Unternehmen gar keinen Zugang zu potenziellen Azubis. Und weil etwa Job-Speed-Dating in der BayArena und verwandte Formate wie die Ausbildungsmessen immer wichtiger werden, hindert das die Stellenbesetzung doch sehr. Schließlich: In den Firmen selbst konnten Bewerbungsgespräche nicht wie üblich laufen – viele Büros waren nicht besetzt, und für manche gilt das bis heute.

Verspätung ist nicht schlimm

Was also tun? Flexibel werden. „Der Ausbildungsbeginn am 1. August ist ja nicht in Stein gemeißelt“, betont Meier. Auch am 1. Dezember könne man noch beginnen. Auch wenn das die Berufsschulen vor Probleme stellen dürfte. Aber auch dort sieht man derzeit eine ungekannte Bereitschaft zur Improvisation. Das stellt auch Joachim Pfingst fest; und das kann nur gut sein für die Auszubildenden des Jahres 2020. Auch der Leiter des Wuppermann-Bildungswerks beobachtet Außergewöhnliches auf dem Ausbildungsmarkt im ersten Corona-Jahr. Immerhin: Die normalen Stellen werden noch fast wie üblich besetzt; „den großen Unterschied können wir da nicht sehen“, sagt er auf Anfrage. „Da kommen die Unternehmen in Schwung“, wenn auch mit Verzögerung.

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Kleineres Angebot

Die prekäre Lage im Tourismus und in der Veranstaltungsbranche macht sich auch auf dem Ausbildungsmarkt bemerkbar. Veranstaltungskaufleute und Fachkräfte für Veranstaltungstechnik werden derzeit nach Beobachtung der IHK kaum ausgebildet, ebensowenig Tourismuskaufleute.

Bei den Wunschberufen liegen Angebot und Nachfrage nahe beieinander: Am beliebtesten ist Kaufmann oder -frau für Büromanagement , dafür gibt es auch die meisten Stellen. Ähnlich sieht es bei den Kaufleuten für Groß-und Außenhandelsmanagement aus. Fachkraft für Lagerlogistik ist nicht so beliebt. (tk)

Völlig anders sehe es aber bei den jungen Leuten aus, denen schon per Definition das besondere Augenmerk der Manforter Bildungseinrichtung gilt. Junge Leute mit einem schlechten oder gar keinem Schulabschluss, mit Defiziten im Sozialverhalten zum Beispiel. „Hier sind die Unternehmen noch zurückhaltend“, lautet die Zwischenbilanz wenige Tage vor dem üblichen Ausbildungsbeginn.

Zuschuss für Betriebe

Dabei gibt es auch hier Hilfen: Land und die Bundesagentur für Arbeit haben Förderprogramme aufgestockt. Das beschert dem Wuppermann-Bildungswerk 86 zusätzliche Plätze für Leute, die auf dem normalen Ausbildungsmarkt nicht zum Zuge kommen. Die Ausbildungsunternehmen werden mit 300 Euro Zuschuss im Monat unterstützt, wenn sie mehr schwierige Jugendliche einstellen als im Durchschnitt der vergangenen drei Jahre. Aber geschieht das, wenn eine Firma in Kurzarbeit ist, die Auftragslage unübersichtlich oder einfach nur der Betrieb lahmt, weil viele Leute von daheim aus arbeiten und den Azubis deshalb nicht wie sonst zur Seite stehen können? Pfingst weiß um die Probleme. Aber er mahnt: „Nach Corona wird der Fachkräftemangel wieder toben.“ Die Unternehmen wären also gut beraten, auch jetzt an das Personal der Zukunft zu denken und Vorkehrungen zu treffen für die Zeit, in der große Teile des Belegschaft in Rente gehen. Die Post-Baby-Boomer-Phase beginne jetzt.

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Angesichts der geburtenschwachen Jahrgänge müsse jedem Unternehmer klar sein, dass er aus dem „elitären Kreis der Schulabgänger“ seinen Bedarf nicht decken kann: „Von den Goldfischen gibt’s zu wenig.“ Doch noch habe sich bei den Chefs die Erkenntnis nicht durchgesetzt, dass eine Ausbildung angesichts des rasanten technischen Fortschritts nur noch „eine Basis sein kann, auf der man sein Berufsleben lang aufbaut“. Dass es wegen der Pandemie-Folgen Branchen gibt, in denen derzeit gar nicht ausgebildet werden kann, weiß Pfingst. Aber eines sei doch sicher: „Ohne Nachwuchs hat kein Unternehmen eine Zukunft.“

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