Fast 30 Jahre behandelte der Arzt die Lungen, die die Leverkusener Luft inhalieren. Und sieht dort eine Besonderheit.
Leverkusener Arzt„Es gibt hier mehr schwere Krankheitsverläufe“

Norbert Mülleneisen verabschiedete sich als niedergelassener Arzt bei seinen Kollegen beim Sommerfest der Ärzte in der Villa Wuppermann.
Copyright: Ralf Krieger
Es gibt kaum ein Organ, das mit der Umwelt so intensiv verbunden ist, wie die Lunge, deshalb sind die Beobachtungen von Lungenärzten über einen langen Zeitraum besonders interessant. Der Rheindorfer Pneumologe Norbert Mülleneisen hat sich endgültig aus seiner Rheindorfer Allergie- und Lungenpraxis zurückgezogen, in der er seit August 1996 praktiziert hat. Beim Sommerfest des regionalen Praxisnetzes Leverkusen verabschiedete er sich von seinen Kolleginnen und Kollegen. Er wird in diesem Jahr 70, hat also länger gearbeitet als vorgesehen. Seine Rheindorfer Praxis läuft ohne ihn weiter, sie wird von zwei habilitierten Ärzten weitergeführt.
Immer wieder hat sich Mülleneisen in politischen Fragen mit einem Blick aus der Perspektive des Mediziners zu Wort gemeldet. Zum Beispiel, wenn es um die Autobahnpläne geht. Leider werden Folgen und Kosten der Krankheiten, die durch den Ausbau der Autobahnen erzeugt werden, nicht in die Kalkulationen eingerechnet. Zur Eröffnung der neuen Autobahnbrücke sagte er entnervt: „Wir sind es selbst schuld. Leverkusen ist ein guter Ort zum Sterben.“ Ralf Krieger hat mit ihm gesprochen.

Das Bild zeigt Norbert Mülleneisen bei seiner Verabschiedung als niedergelassener Arzt in der Villa Wuppermann.
Copyright: Ralf Krieger
Herr Mülleneisen sie sind ja immer gesellschaftlich aktiv gewesen.
Norbert Mülleneisen: Wir als Lungenfachärzte haben viel mit Umwelteinflüssen zu tun: Alles, was Du einatmest, kommt erst mal in die Lunge, damit haben wir dann zu tun. Ich habe die Zusatzqualifikation des Umweltmediziners auch erworben.
Wie sieht es in Leverkusen speziell aus?
Ich hab früher viele Nichtraucher-Entwöhnungskurse gegeben. Rauchen ist zwar immer noch die häufigste Methode, die Lunge zu schädigen. Aber natürlich ist die Frage der Luftschadstoffe in Leverkusen eine besondere: Weil wir erstens hier im Rheintal mit seiner Dunstglocke leben und zwei Autobahnkreuze in der Stadt haben. Hinzu kommt der Schiffsdiesel vom Rhein und die Bahnstrecken. Da fahren viele Güterzüge mit Dieselloks.
Gibt es hier besonders viele Lungenkranke?
Dass es mehr sind, als woanders, kann ich nicht behaupten. Belegbar ist, dass die Verläufe viel öfter schwerer sind und es vermehrt zu Krankenhausaufenthalten kommt. Zurzeit kommen hier doppelt so viele Patienten wegen ihrer Atemwege ins Krankenhaus, wie im Durchschnitt im Bezirk Nordrhein.
Zurzeit kommen hier doppelt so viele Patienten wegen ihrer Atemwege ins Krankenhaus, wie im Durchschnitt im Bezirk Nordrhein.
Was macht der Feinstaub?
Ich habe einen Sensor, mit dem wir die Spitzen messen. Die stärkste Welle kommt bekanntermaßen zu Silvester. Was mich aufregt, ist, dass zwar alle über Feinstaub reden, aber niemand über die Metallsalze in den Raketen spricht, die da in die Luft gepustet werden, die das Feuerwerk so schön bunt machen. Ich hab’ mal an das Bundesamt für Risikobewertung geschrieben: Die haben geantwortet, dass die überhaupt keine Ahnung haben, was da so alles freigesetzt wird. Wenn das in die Schleimhäute kommt, entstehen Säuren.
Sie beobachten die Luft schon lange. Beim Feinstaub hört man ja gelegentlich, dass das besser geworden ist.
Die Luft ist tatsächlich etwas besser geworden, aber wir messen natürlich nur den Feinstaub, den wir gut messen können. Der ist tatsächlich weniger geworden, aber den Nano-Feinstaub, den wir nicht messen, der ist mehr geworden und der ist besonders lungengängig. Den zu messen, ist technisch sehr schwierig.
Ihre einzigartige Pollenfalle auf dem Dach, mit der Sie den Pollenflug analysieren, läuft noch?
Ja, das machen wir immer noch. Wir beobachten, dass der Pollenflug von Jahr zu Jahr zunimmt. Die Birke zum Beispiel hat beim Pollenflug einen zwei-Jahres-Rhythmus, in ihrem Mastjahr gibt sie viel mehr Pollen ab als im Nicht-Mastjahr. Das ist genetisch so angelegt.

Die Pollenfalle auf dem Dach der Praxis Norbert Mülleneisen (2009).
Copyright: Ralf Krieger
Inzwischen ist es aber so, dass sie in ihrem schwachen Jahr schon so viel Pollen haben, wie vor zehn Jahren in den Mastjahren. Die Pflanzen reagieren auf den Klimawandel, sie wollen sich stark vermehren und stoßen Pollen aus. Wir Ärzte kommen nicht hinterher. Wenn wir vernünftig wären, würden wir mehr Geld gegen den Klimaschutz investieren.
Das alles wirkt sich auf die Menschen aus, wie Sie wiederholt festgestellt haben. Würden Sie sich auch im Ruhestand weiter politisch einbringen, wenn man Sie fragt?
Wenn das gewünscht ist, mache ich das auch weiterhin. Die Bürgerinitiativen haben mich ja gefragt, dann komme ich auch und sage was. Die Merkenicher haben mich jetzt wegen der Müllverbrennung ein paar mal angefragt, das sind so Dinge, die ich mache.
Sie sind in Leverkusen selbst zum Arzt gegangen. Sind sie eigentlich ein schwieriger Patient?
Wahrscheinlich schon … Ich frage natürlich viel nach, aber ich bemühe mich, nicht zu diskutieren. Ich finde, dass wir in Leverkusen hervorragende Hausärzte haben, die ernten aber nie den Beifall, den sie verdient hätten.