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UnternehmenssammlungWie Bayer fast 3000 Kunstwerke unter die Leute gebracht hat

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Viele nahmen bei „Kunst für alle“ Werke mit nach Hause.

Viele nahmen bei „Kunst für alle“ Werke mit nach Hause.

Innerhalb eines Jahres hat sich der Konzern von einem Großteil seiner Kunstsammlung getrennt.

Wenn ein Unternehmen sich von seiner Kunstsammlung trennen will, oder zumindest von großen Teilen davon, kann das heikel sein. Das weiß Markus Eisenbeis, Geschäftsführer des Kölner Auktionshauses Van Ham, nur zu gut. Schließlich hat sein Haus schon mit vielen Unternehmen zu tun gehabt, die ihr Portfolio an Kunstwerken ausdünnen wollten. Ein solcher Ausverkauf werde von vielen Menschen negativ bewertet, sagt der erfahrene Auktionator. Das sollte bei dem, was Van Ham mit Bayer Kultur vorhatte, nicht so sein.

Seit einigen Jahren schon arbeitet Van Ham mit der Kulturabteilung des Leverkusener Chemiekonzerns zusammen, bei Versteigerungen bringt das Auktionshaus regelmäßig Kunst unter Leute und Geld zu wohltätigen Zwecken. Das Vorhaben, mit dem Bayer-Kultur-Chef Thomas Helfrich aber vor gut einem Jahr auf Eisenbeis zukam, ging viel weiter.

Bayer will sich vom Großteil seiner Unternehmenssammlung trennen. Tausende Werke hatte Bayer in der konzerneigenen Artothek in Berlin gelagert, aber auch im Keller des Leverkusener Erholungshauses. Werke, die früher in Fluren oder Büros hingen. Aber die Arbeitswelt hat sich verändert. Der Konzern ist nicht nur bedeutend kleiner geworden, sondern das Konzept Büro ist für viele aus der Zeit gefallen. Viele arbeiten regelmäßig zu Hause oder teilen sich Schreibtische auf der Arbeit.

Im Bauch des Erholunghauses schlummerten mehr als 1000 Werke.

Im Bauch des Erholunghauses schlummerten mehr als 1000 Werke.

Der Verkauf großer Teile der hauseigenen Sammlung, die in mehr als 100 Jahre entstanden ist, ist Teil einer Neuausrichtung in der Kultur beim Leverkusener Konzern. Während Bayer jahrzehntelang mit Förderungen Vereine und Gruppierungen in Leverkusen unterstützt hat, zieht sich der Konzern aus dieser Sparte mehr und mehr raus. Stattdessen will man eher größere Projekte angehen, wie das „Start“-Festival, und junge Künstlerinnen und Künstler fördern.

Und zu diesem neuen Kurs gehört es auch, die Kunstsammlung auf den Prüfstand zu stellen. Thomas Helfrich formuliert es vereinfacht: „Eine Unternehmenssammlung und Kulturförderung könnten für mich häufig nicht weiter voneinander entfernt sein.“ Was er meint: Welche Kunst oder welcher Künstler wird dadurch gefördert, dass Bayer eine Sammlung von Tausenden Werken buchstäblich im Keller liegen hat?

Markus Eisenbeis ist da etwas vorsichtiger. Er kennt eben auch andere Beispiele. In Banken oder Versicherungen hätten Kunstsammlungen noch einen ganz anderen, repräsentativeren Charakter. Um Kundinnen und Kunden zu beeindrucken. Ein Aspekt, der in den heutigen Bayer-Büros wohl eher nebensächlich ist. Markus Eisenbeis sagt auch: „Ein Unternehmen hat doch nicht eine Verpflichtung wie ein Museum.“ Erhalten, um des Erhaltens willen? Das ergibt für den Auktionator keinen Sinn. „Unternehmen wandeln sich.“

Für große Werke gibt es immer Abnehmer

So eine Aktion wie „Kunst für alle“ hat Van Ham jedenfalls nach eigenen Angaben auch noch nicht abgewickelt. Und offenbar war es nötig, neue Wege bei der Vermarktung einzuschlagen. Denn Eisenbeis sagt: Für die großen, teuren Werke finde man immer Abnehmer. Aber Auktionshäuser würden ablehnen, wenn es darum gehe, auch die Kunst an den Mann oder die Frau zu bringen, die nicht so viel Geld einbrächten.

Und da kommt der Gedanke ins Spiel, mit dem Eisenbeis und Helfrich dem Komplex „Bayer verkauft seine Unternehmenssammlung“ ein positives Narrativ verpassen wollten: Mit einer nicht elitären Verkaufsaktion, die für die meisten Leute erschwinglich sein soll. Bei der sie auch mal ein Schnäppchen machen konnten, so Eisenbeis.

Markus Eisenbeis bei einer Wolhtätigkeitsauktion von Bayer KulturBayer Kultur

Markus Eisenbeis bei einer Wolhtätigkeitsauktion von Bayer Kultur

Wer bei „Kunst für alle“ dabei sein wollte, musste für 50 Euro ein Ticket kaufen, dafür durfte er sich dann ein Werk mit nach Hause nehmen. Dadurch, dass man ein Ticket und kein Kunstwerk bezahle, verkehre sich der ganze Begriff des Wertes eines Kunstwerks, erklären Eisenbeis und Helfrich. Die Bedeutung des Geldes werde kleiner. Dabei, das ist dem Kölner Auktionator wichtig, würden Werke „nicht verscherbelt“.

Andy Warhols „Porträt einer Frau (nach Cranach)“

Andy Warhols „Porträt einer Frau (nach Cranach)“

Sie bewerten die Aktion als großen Erfolg, fast 2000 Werke sind so weggegangen. 64.000 Euro sind für den guten Zweck zusammengekommen, nämlich für das Pallilev, das Leverkusener Hospiz in Steinbüchel. Weitere 800 Werke etwa sind online verkauft worden, weitere Auktionen mit etwa 500 Werken im Netz sind ab September geplant. Bei einer Abendauktion am 3. Juni brachten die Werke aus dem Bayer-Keller rund 5,6 Millionen Euro ein – unter anderem wurden das „Porträt einer Frau (nach Cranach)“ und „Nastassja Kinski“ von Andy Warhol versteigert, ersteres für 815.000 und zweiteres für 435.000 Euro. Geld, das Bayer Kultur nach eigenen Angaben nun wieder in die Kulturförderung stecken will.

Natürlich habe er auch hier und da den Satz gehört „Müsst ihr jetzt schon eure Kunst verkaufen“, sagt Thomas Helfrich. Aber grundsätzlich habe er fast durchweg positive Resonanz auf die Aktion bekommen. Die Mehrheit der Bayer-Belegschaft verstehe das, auch wenn es sicher hier und da jemanden gegeben habe, dem beim Verkauf des einen oder anderen Werkes das Herz geblutet habe.

Für nächstes Jahr sei eine ähnliche Aktion bei Bayer in Berlin geplant. Etwa 1000 bis 1500 Werke, die einen Bezug zum Unternehmen hätten, habe man noch und die würden auch nicht verkauft, sagt Helfrich. Auch viele Werke jüngerer Künstler, die man in den vergangenen Jahren gekauft habe, werde man nicht „einfach auf den Markt werfen“, wenn die Künstler bei eigenen Ausstellungen dafür mehr Geld bekommen hätten. „Was hat das mit Förderung zu tun?“, beschreibt Helfrich seinen Ansatz, für den er in der Stadtgesellschaft durchaus Kritik einstecken muss. Viele sehen im neuen Kurs, dass Bayer sich weiter aus Leverkusen herauszieht. Dem widerspricht Helfrich allerdings immer wieder vehement.