Leverkusener Seelsorger bei der Loveparade„Das sind Einsätze, die vergisst man nicht“

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Oliver Hinrichs (r.)

  • Oliver Hinrichs ist Notfallseelsorger in Leverkusen. Er wird an Heiligabend in Bereitschaft sein, für den Fall, dass etwas passiert.
  • Wir haben mit ihm über seine Einsätze gesprochen, er war auch bei der Loveparade-Katastrophe in Duisburg dabei.
  • Er wirbt für sein Ehrenamt: „Man bekommt viel Dankbarkeit zurück.“

Leverkusen – Die Sanitäter hatten sich auf alles vorbereitet: Betrunkene zu verarzten, Schürfwunden, Knochenbrüche oder Mückenstiche zu behandeln. Die Jugendlichen hatten sich auf eine Mega-Party gefreut – wofür so ein Musikevent wie die Loveparade eben stand.

Den Einsatz bei der Katastrophe in Duisburg 2010 hat Oliver Hinrichs noch gut in Erinnerung. Der 56-Jährige arbeitet als Notfallseelsorger in Leverkusen und wurde an jenem Tag angefordert. Hinrichs wurde den Helfern zugeteilt, Einsatzkräften, die die ersten vor Ort waren, auf die dann alle eingestürzt seien, erzählt er. Alle wollten sie zu ihren Angehörigen oder Bekannten zerren, teilweise war die Kleidung der Helfer zerrissen, erinnert sich Hinrichs. „Die Einsatzkräfte waren teilweise geradezu traumatisiert“, erzählt Hinrichs. Keiner hatte mit so etwas gerechnet.

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Seit zwölf Jahren arbeitet Hinrichs bei der Notfallseelsorge. Zwölf Kollegen arbeiten hier in Schichten. Die Notfallseelsorge ist unter dem Dach der evangelischen und katholischen Kirche angesiedelt und wird auch durch sie und durch die Stadt finanziert. Eine Fortbildung bereitet die Seelsorger auf ihre Arbeit vor. Alle, auch Oliver Hinrichs, arbeiten ehrenamtlich. Für seinen Hauptjob ist er für eine Hamburger Firma als Vertriebler unterwegs. Seit er 16 ist, engagiert sich der gebürtige Haaner bei den Maltesern und arbeitet mittlerweile als Stadtbeauftragter bei ihnen.

Die Notfallseelsorger unterstützen die Polizei beim Überbringen von Todesnachrichten, geben aber nicht nur den Angehörigen Halt. „Es geht darum, da zu sein“, erklärt der 56-Jährige. „Darum, zu zeigen: »Sie sind nicht allein.«“ Die Notfallseelsorger sprechen auch schonmal ein Gebet, helfen aber auch ganz pragmatisch, Freunde oder Nachbarn zu informieren. Manchmal sitzt Oliver Hinrichs auch einfach nur da mit dem Menschen – in völliger Stille. Wie ein Mensch auf eine Todesnachricht reagiert, ist ganz unterschiedlich, erzählt Hinrichs – von Schweigen bis Kollabieren, von Schreien bis zum verzweifelten Angehen („Lügen Sie nicht, das kann nicht sein!“) ist die Palette an menschlichen Reaktionen breit. „Es gibt kein Schema“, weiß Hinrichs nach jahrelanger Erfahrung. Es könne alles auf einen zukommen.

Einsätze mit Kindern besonders belastend

Besonders belastend seien Einsätze, in denen es um Kinder geht, sagt Oliver Hinrichs. „Da kann man noch so viel Erfahrung haben, man ist immer extrem angespannt.“ Wie bei dem schweren Unfall am 11. Oktober, als ein elfjähriges Mädchen an einer Tankstelle am Willy-Brandt-Ring überfahren wurde. Am Tag selbst war Hinrichs nicht im Einsatz, doch bei der Begehung hat er mit Eltern gesprochen, die das Gefühl gehabt hätten: „Das hätte auch mein Kind sein können.“ Oder bei dem Fall im Sommer, als am Hitdorfer See eine Mutter durch die Hitze kollabierte und trotz Reanimation starb – und sich der Notfallseelsorger um den fünfjährigen Sohn und die 16-jährige Tochter kümmern musste. „Das sind Einsätze, die vergisst man nicht“, betont Hinrichs.

Auch für ihn sind die Einsätze ab und an belastend. „Wenn man schon auf der Fahrt weiß, dass es den Menschen durch die Nachricht gleich den Boden unter den Füßen wegzieht“, merkt er an. Ihm hilft der Glaube. „Ich gehe nicht jeden Sonntag in die Kirche“, räumt er schmunzelnd ein. Aber er glaube an etwas, was nach dem Tod kommt, sagt er. Hinrichs zieht auch Kraft daraus, anderen zu helfen: „Das ist so eine wichtige Tätigkeit, für andere da sein zu können, Halt und Kraft zu geben“, erklärt er seine Motivation. „Man bekommt Dankbarkeit zurück.“ Daher wird er auch in diesem Jahr wieder an Heiligabend Bereitschaftsdienst haben. „Ich kann Heiligabend trotzdem genießen“, sagt Hinrichs, es sei trotzdem gemütlich. Natürlich sei er froh, wenn kein Einsatz komme, aber wenn doch: „Dann bin ich bereit.“ 

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