Messerattacke in der WaldsiedlungJunger Mann muss für lange Zeit in die Klinik

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Am späten 20. April Schauplatz einer unfasslichen Tat: die Schumannstraße in der Waldsiedlung

Leverkusen – Er muss siebeneinhalb Jahre in die geschlossene Klinik. Und in die Therapie. Was danach passiert, wird sich herausstellen. Der damals knapp 19 Jahre alte frühere Schüler des Freiherr-vom-Stein-Gymnasiums wurde am Mittwochabend wegen versuchten Mordes verurteilt. Am 20. April hatte er in der Waldsiedlung auf die Mutter einer Schulkameradin eingestochen, für die er in Liebe entflammt war. Aber das war eine einseitige Sicht der Lage. Das Mädchen wollte nichts von ihm.

Das Opfer überlebt die 37 Stiche nur durch großes Glück, der Täter flüchtete, ließ sich aber kurze Zeit später im Wald widerstandslos festnehmen. Seit dem 21. April sitzt er in Haft. Mit ihrem Urteil blieb die 4. Große Strafkammer am Kölner Landgericht sehr deutlich unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die eine lebenslängliche Strafe gefordert und das auch sehr ausführlich begründet hatte.

Ein außergewöhnlicher Fall

Die Vorsitzende Richterin Ulrike Grave-Herkenrath sprach von einem „außergewöhnlichen Fall“, die verhängte Strafe, die eine spätere Sicherungsverwahrung des jungen Mannes nicht ausschließt, habe sie in Jahrzehnten noch nicht ausgesprochen. Danach widmete sich die sehr erfahrene Richterin ausführlich dem Angeklagten und empfahl ihm dringend, an sich zu arbeiten: „Sie müssen sich nicht nur in Ihrem Kopf öffnen, sondern in Ihrem Herzen.“

Es bestehe kein Zweifel daran, dass der junge Mann seit seiner Kindheit eine schwere Persönlichkeitsstörung entwickelt und sich deshalb auch phasenweise von der Gesellschaft ausgeschlossen habe. Dazu beigetragen habe sicherlich die Lage zu Hause: Die Eltern trennten sich in maximal unfreundlicher Art und Weise; die Mutter verstieß seine beiden Halbbrüder und brach den Kontakt zu ihrem früheren Lieblingssohn ab, als der sich mit 14 Jahren entschloss, zu seinem Vater zu ziehen.

Für den Staatsanwalt war es Mord

Für Staatsanwalt Moritz Osterspey war klar, dass der Täter einen heimtückischen Mord begehen wollte und dass das Opfer der blindwütigen Messerattacke nur durch „extrem viele glückliche Umstände“ am Leben geblieben ist. Dazu gehörte, dass in dieser Nacht Bernd Kröger im Notarztwagen saß. Der überaus erfahrene Oberarzt der Unfallchirurgie am Klinikum habe sofort die schwere Verletzung der Lunge erkannt und der Mutter im Grunde das Leben gerettet.

Aus Sicht der Anklage hat der seinerzeit knapp 19-Jährige außerdem „aus niedrigen Beweggründen“ gehandelt. Es sei ihm vollkommen egal gewesen, auf wen er im Haus seiner Mitschülerin treffen würde. Sein Motiv: „Ich gehe da rein und töte alle, die mir im Weg stehen.“ Einem Freund habe er die passende Phantasie geschildert. Er habe sich vorgestellt, „wie der Vater allein an den Gräbern seiner ganzen Familie“ steht. Er wolle alle „auslöschen“, die zu seiner vergeblich Angebeteten gehören.

37 Messerstiche brachte der junge Mann dann der Frau bei, „wie wild“, so der Staatsanwalt. Das Opfer sei in diesen Sekunden nur von einem Gedanken geleitet gewesen: „Wenn ich jetzt sterbe, geht er hoch.“ Und hätte dann die Tochter entführt, um sie am Ende ebenfalls zu töten. Und sich selbst. Mit Blick auf diesen Plan kam Osterspey zu dem Schluss: „Mehr Mord geht nicht.“ Deshalb müsse der Täter lebenslänglich in eine Klinik.

„Wegsperren bringt nichts“

Dort könne versucht werden, seine von den Gutachtern Hans-Jürgen Kunert und Konstanze Jankowski diagnostizierte schwere Persönlichkeitsstörung zu therapieren. Das, so die Psychiaterin Jankowski, könne „lange dauern“ – und müsse auch keinen Erfolg haben.

Die Verteidigerin des jungen Mannes sieht das anders. Ihn „abschreiben und wegsperren, das bringt doch nichts“. Auch der Täter selbst versuchte zum ersten Mal in den Wochen dieses Prozesses den Eindruck zu verwischen, es sei ihm alles egal und er ein hoffnungsloser Fall. „Ich habe sehr wohl gemerkt, dass ich mich sehr wohl ändern kann“, sagte er in seinem ausführlichen Schlusswort. Damit habe er im Jugendgefängnis in Wuppertal-Ronsdorf auch schon begonnen. Die Aussage der Gutachter, er ziehe sich auch dort von allem zurück und flüchte sich wie in den vergangenen Jahren in die Isolation, vermittle den falschen Eindruck.

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Für seine Verteidigerin deutet vieles an der auch aus ihrer Sicht „sprachlos machenden Tat“ aber darauf hin, dass der junge Mann an diesem Abend in der Waldsiedlung nicht wirklich zurechnungsfähig war. Er habe nicht, wie es der Staatsanwalt nach den Aussagen im Prozess sehe, kalt einen in Wochen gereiften Plan ausgeführt. Nein, er sei – und da zitierte sie ihren Mandanten – in diesem Moment „innerlich übergelaufen“. Das stimme so nicht, ist die Beurteilung von Richterin Grave-Herkenrath.  

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