Stadtgeschichte LeverkusenHistorische Fotos von der Wiesdorfer Hauptstraße

Lesezeit 5 Minuten

Leverkusen – Stoßstange an Stoßstange parken die Autos am Straßenrand, Hausfrauen erledigen ihre Einkäufe, Männer und Frauen bummeln an Schaufenstern vorüber, Reklametafeln sollen die Flanierenden in die Geschäfte locken. Auf der Wiesdorfer Hauptstraße spielt sich das Leben ab – zumindest auf dem jahrzehntealten Foto aus dem Stadtarchiv.

Wo sich heute Wettbüros mit Handyläden abwechseln und Wasserpfeifen neben Fitnessstudios verkauft werden, gaben sich die Wiesdorfer Bürger lange die Klinke in die Hand. Die Hauptstraße ist einer der ältesten Verkehrswege Leverkusens, viele ihrer Häuser sind noch gut erhaltene Belege einer aufstrebenden Stadt. „Die Hauptstraße war für Leverkusen früher das Haupteinkaufszentrum“, sagt Karl-Heinz Hegner. Seit 1977 beschäftigt sich der Rentner systematisch mit dem Handel in der Straße, führt Liste über die Geschäfte, die kamen und gingen. Dafür hat er alte Adressbücher gewälzt und historische Unterlagen gesichtet. Seine Aufzeichnungen sind eine Goldgrube für Stadtteilhistoriker. Die Entwicklung der Hauptstraße ist für Hegner keine positive. „Ich fahre noch gerne nach Wiesdorf zu den inhabergeführten Geschäften, aber leider gibt es immer weniger davon.“ Früher war das anders.

Wechselnde Straßennamen

1830 wurde die heutige Hauptstraße als Büchelter Straße eingezeichnet, sie führte vom Rhein bis an den Büchelter Hof. Südlich der Hauptstraße entstand an der Elberfelder, Barmer und Moskauer Straße seit 1895 die Kolonie I. 1907 erhielt die Hauptstraße den aktuellen Namen ihrer Bedeutung für den Wiesdorfer Alltag entsprechend, von den Nazis wurde sie Straße der SA genannt. Ursprünglich verlief die Hauptstraße bis zur heutigen Friedrich-Ebert-Straße, seit 1968 heißt der Teil zwischen Nobelstraße und Friedrich-Ebert-Straße Wiesdorfer Platz.  Im unteren Teil der Straße gab es zwischen Schießbergstraße und Rhein ursprünglich noch zahlreiche Wohn- und Geschäftshäuser, heute konzentriert sich das Treiben auf das ehemals mittlere Stück zwischen Nobelstraße und Schießbergstraße.

Bis vor einigen Jahren gab es womöglich kaum einen Wiesdorfer, der nicht schon einmal einen Schuh aus dem Hause Herkenrath getragen hatte. Heute gibt es das Geschäft, das 1873 gegründet wurde, nicht mehr. Dessen Geschichte ist eng verbunden mit der Hauptstraße. Zunächst hatte die Familie Herkenrath ihre Geschäftsräume nacheinander in der Hauptstraße 156 und 152.  Um 1927 zog das Schuhgeschäft Herkenrath weiter in die Hausnummer 98. Klein und zerbrechlich wirkt das farblose eingeschossige Haus heute.

Erstes Geschäftshaus nach dem Krieg

Weshalb die Architektur so gar nicht zur Umgebung passt, hat eine besondere Bewandtnis: Die Herkenraths waren 1947 nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs die Ersten, die ein neues Geschäftshaus errichteten. Der Neubau musste schnell kommen, das Geschäft sollte zügig wieder anlaufen. Also blieb es beim Erdgeschoss und einem Obergeschoss – zwischen mehrstöckigen Neubauten und prachtvollen Häusern aus früheren Jahrzehnten eine Besonderheit auf der Hauptstraße. 1972 zog es Herkenrath dann in die neu errichteten Luminaden am Wiesdorfer Platz, wo das Leverkusener Geschäft 2011 aufgegeben wurde.

Ein reges Kommen und Gehen hat auch die Hausreihe mit den ungeraden Hausnummern 85 bis 91 zu verzeichnen. In der 85 begann der Handel mit dem Brotverkauf im Jahr 1911. Verkauft wurden in der Folge Manufakturwaren, Zubehör für Schuhreparaturen, Blumen und Lebensmittel. Am längsten im Haus war Ilse Schlieter, die bis 1966 rund 30 Jahre lang Herrenbekleidung führte. Später wurden in dem Haus, in dem inzwischen Wasserpfeifen verkauft werden, auch Teppiche und Stoffe gehandelt. Das Nachbarhaus 87 war ebenfalls Heimstätte für Unternehmungen unterschiedlichster Art. In dem Haus aus dem Jahr 1912 waren die Betreiber des Helios Kinemas die ersten Mieter. Wurden hier zu Anfang sogar noch Standbilder gezeigt, begleitete später eine Kapelle  Stummfilme. In den 1920er-Jahren verkauften die Geschwister Löwenstein Manufakturwaren, um 1931 zog die Drogerie Maassen ein und blieb mehr als 30 Jahre. Wo anschließend Damenmode, Küchen und Elektrogeräte an das Volk gebracht wurden, befindet sich heute ein Fitnessstudio.

Eine kuriose Funktion erfüllte zeitweise die Hauptstraße 87a. Nach Jahren als Heimat für Schneider, Herrenbekleider und Lebensmittelhändler – Otto Mess verkaufte hier rund 25 Jahre Essenswaren – zog Opel im Jahr 1963 ein. Ein schmales Stadthaus als Ausstellungsraum für Autos zu benutzen, wirkt heute abstrus, der Autobauer aus Rüsselsheim blieb dennoch mehr als zehn Jahre und präsentierte die neuesten Gefährte. Heute ist hier ein Grill beheimatet. Ein Wettbüro befindet sich direkt nebenan in der 87b. In den 1930er bis 1950er Jahren war hier Damenmoden Braun untergebracht, seitdem wechselten sich in kurzer Folge Händler für Möbel, Schuhe, Reisen, Fotoentwicklung und Drogeriewaren ab.

Über 65 Jahre war das Nachbarhaus 89 in der Hand von Optik Roetzel. Otto Roetzel und Sohn Franz führten das Geschäft in der Hauptstraße bis zum Umzug in die Luminaden 1972. Anschließend zog ein Getränkehandel ein, mitten auf der Hauptstraße, ohne Haltemöglichkeit für Autos, eine sonderbare Unternehmensentscheidung.  Heute ist dort Fitnessstudio für Frauen. Der einzige Neubau in der Reihe ist die 91. Der erste Bau wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört, der „Kölner Stadt-Anzeiger“ schrieb über das neue Gebäude am 5. Mai 1950: „Das moderne Wohn- und Geschäftshaus zeigt an, wie die weitere Bebauung der Hauptstraße gedacht ist.“

Fischverkauf und Jazz

Nach wie vor sticht ein kleines Gebäude mit kunstvoller Fassade aus seiner Umgebung heraus – die Hausnummer 134. Seit 1969 befindet sich hier der Jazzclub Topos von Wolfgang Orth, eine musikalische Institution Leverkusens. Bevor die Musik im Haus regierte, wurden in den Räumen seit 1907 Haare geschnitten, Fische verkauft und Milch gehandelt. Gegenüber wurde viele Jahrzehnte seit etwa 1904 für das Leibeswohl gesorgt. An der Stelle der heutigen Hausnummer 129 verkaufte Ferdinand Dietzer zunächst Lebensmittel. Johann Nicollini betrieb seit etwa 1920 dann rund 40 Jahre eine Konditorei, Westendorfs Grill schloss sich die kommenden drei Jahrzehnte an. Verschiedene Gastronomien folgten, bis sich Anfang des neuen Jahrtausends ein Immobilienunternehmen niederließ. Heute sorgt hier wieder ein italienisches Restaurant dafür, dass die Wiesdorfer Bürgerschaft satt wird.

Nebenan hat sich eine Fußpflegepraxis niedergelassen, bis 1997 war die Hauptstraße 127 allerdings sieben Jahrzehnte die Adresse des Schmuck- und Uhrengeschäfts Hermann Kampmann – ein Traditionsbetrieb, wie er heute in der ehemals wichtigsten Einkaufsstraße Wiesdorfs wohl kaum noch zu finden ist. Heute bestimmen die Filialen austauschbarer Ketten in pompösen Gebäuden das Einkaufsverhalten, der persönliche Kontakt zwischen Kunde und Verkäufer schwindet mehr und mehr. Die historische Hauptstraße ist ein Sehnsuchtsort aus einer Zeit ohne Leerstand in den Geschäftslokalen und mit einer Vielfalt an ortsansässigen Warenanbietern, die so wohl nie wieder zurückkommt.

KStA abonnieren