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Umzug nach LeverkusenFür die Oper Wuppertal ist das Erholungshaus „ein Glücksfall“

Lesezeit 4 Minuten

Düstere Atmosphäre: Szene aus der bislang einzigen Aufführung von „Il canto s’attrista, perché?“ für Fachpublikum in Klagenfurt.

Leverkusen – Am Samstag, 23. Oktober, feiert die Produktion „Il canto s’attrista, perché?“ Deutschlandpremiere im Erholungshaus. Das ist bemerkenswert, denn: Das Stück des weltweit renommierten Komponisten für zeitgenössische Musik Salvatore Sciarrino ist eine Produktion der Oper Wuppertal. Weil das dortige Stammhaus jedoch aufgrund von Flutschäden seit Juli nicht mehr bespielbar ist, wurde ein Umzug nach Leverkusen organisiert. Zur Aufführung wird das Wuppertaler Publikum gar mit Shuttlebussen nach Wiesdorf gefahren. Die Verantwortlichen – allen voran Johannes Witt (musikalische Leitung), Nigel Lowery (Inszenierung, Bühne, Kostüme) und Sprecherin Sara Teckenberg – hoffen jedoch auch auf das Interesse der Menschen aus Leverkusen. Wir haben mit ihnen gesprochen.

Frau Teckenberg, Herr Witt, Herr Lowery, was ist das Besonderes an Salvatore Sciarrinos „Il canto s’attrista, perché?“

Johannes Witt: Das Besondere ist, dass es eine deutsche Erstaufführung ist – zudem die eines Werkes aus der Feder eines hoch angesehenen Komponisten.

NIgel Lowery: Das Stück hat eine sehr düstere Atmosphäre, die sich um Rache, Blut und Horror dreht. Es ist extrem intensiv und spannend. Wie ein Thriller. Wie ein Film Noir. Mystisch und geheimnisvoll. Also absolut sehens- und hörenswert.

Sciarrino gehört zu den meistaufgeführten Komponisten der Gegenwart – fordert das Publikum mit seiner zeitgenössischen Musik gerne mal heraus.

Witt: Man ist als Publikum ja immer voreingenommen gegenüber dem, was einen da als Neue Musik erwartet. Es gibt letztlich zwei Extreme wie diese Art von Musik klingt: Es gibt die Kompositionen, die einen mit Klang bombardieren. Und es gibt als krasses Gegenteil Kompositionen, die eher introvertiert sind, die auf der leisen Seite sind – und die man eben bei Salvatore Sciarrino häufig hört. So auch in dieser Oper. Sie enthält ganz viele Klänge, die aus dem Orchestergraben kommen und die man gar nicht sofort einem Instrument zuordnen kann. Verrückte Spieltechniken, die aber mit einer großen Sensibilität daherkommen. Ein Kratzen mit dem Bogen auf dem Holz, das eher wie ein Radio-Störgeräusch klingt etwa. Oder, wenn man so will, Seufzer-Motive, die letztlich auch dem Titel des Stückes entsprechen: „Il canto s“attrista, perché“ – „Warum wird mein Gesang so traurig?“

Man hört Ihre Begeisterung und Vorfreude heraus. Ich nehme allein deshalb schon an: Es war keine Alternative, die Aufführung abzusagen?

Witt: Nein. Bisher wurde das Werk lediglich einmal in Klagenfurt und dort auch nur für Presse und Fachpublikum aufgeführt. Daher bin ich selig, dass wir es nun dennoch zeigen können. Zum ersten Mal vor Publikum. Auch wenn wir in Leverkusen natürlich ein bisschen erschwerte Bedingungen vorfinden.

Die da wären?

Witt: Der Orchestergraben ist etwas kleiner als in Wuppertal. Es stellte sich demnach die Frage: Passt denn da alles rein? Und deswegen wird der Chor nun auch hinter dem Publikum sitzen. Auf dem ersten Rang. Aber damit haben wir aus der Not auch eine Tugend gemacht. Das wird sehr interessant. In Wuppertal wären wir gar nicht auf diese Idee gekommen.

Lowery: Zudem: Wir haben ja erst vor wenigen Wochen entschieden, nach Leverkusen zu gehen. Sprich: Wir mussten schnell handeln und schnell Lösungen finden. Und das war für mich, ich lebe ja in England, noch einmal eine besondere Herausforderung. Ich musste die Szenerie in Wuppertal abbauen und neu konzipieren, um sie in Leverkusen wieder aufzubauen. Das war nicht leicht. Aber ich mag Herausforderungen.

Witt: Dass uns ein Haus wie dieses gerade in dieser Zeit zur Verfügung gestellt wird, ist jedenfalls wie ein Wunder für uns!

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Eines, das wie genau zustande kam?

Sara Teckenberg: Wir haben seit dieser Spielzeit einen neuen Generalmusikdirektor in Wuppertal: Patrick Hahn. Er hat Kontakte zur Bayer-Kultur und brachte das Erholungshaus ins Gespräch, als es darum ging, zu klären, was wir nach der Flut und den daraus entstandenen Schäden tun könnten. Die Schwierigkeit nach dem Lockdown ist ja, dass eigentlich alle Theater in der Region einen unglaublichen Berg an Produktionen vor sich herschieben, mit denen sie rauskommen wollen. Und entsprechend überbucht sind die Häuser, in denen gespielt werden kann. Das Erholungshaus in Wiesdorf aber war ja vor den im November beginnenden Leverkusener Jazztagen ohnehin zur Sicherheit geblockt, falls es noch länger als Impfzentrum hätte genutzt werden sollen. Das ist nun nicht der Fall. Und wir können hinein. Insofern ist das Erholungshaus ein Glücksfall für uns.