ProzessJunge Leverkusenerin erlebte die Hölle in ihrer Beziehung

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Das Kölner Landgericht an der Luxemburger Straße

Vor dem Kölner Landgericht wird ein Beziehungsmartyrium aufgearbeitet, das ein ganzes Jahr währte.

„Wie kann man nur so unmenschlich sein?“ Eine heute 26 Jahre alte Frau berichtet, was ihr mit einem acht Jahre älteren Mann widerfahren ist.

Es dauerte Jahre, bis die junge Frau zur Polizei ging. Und berichtete, was alles passiert war in ihrer ersten „richtigen“ Beziehung. Wenn man so etwas Beziehung nennen möchte. Denn die Staatsanwaltschaft summiert die Geschehnisse auf rund 30 Straftaten, darunter Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, Misshandlung, Körperverletzung.

Nadine L. (alle Namen geändert) ist gerade noch 16 Jahre alt, als sie von zu Hause abhaut. Ihre Mutter ist mit drei Kindern alleine und mit der Situation überfordert, mit dem türkischen Lebensgefährten der Mutter kommt Nadine nicht klar. „Ich musste da raus“, fasst sie zusammen.

Anfangs ein fürsorglicher Typ

Auf einer Party lernt sie Mustafa J. kennen. Er ist acht Jahre älter, damals also 24 Jahre alt. Zunächst sei der Mann mit marokkanischen Wurzeln „sehr freundlich“ gewesen – „er hat sich echt um mich gekümmert“, erinnert sich Nadine am Mittwoch vor dem Kölner Landgericht. Die beiden kommen zusammen, eine Wohnung in der Pützdelle wird zunächst Nadines neues Zuhause. Sie wohnt dort alleine, Mustafa kommt „so alle zwei Tage“ vorbei.

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Sehr bald verwandelt sich der fürsorgliche Ältere in einen Tyrannen. Für Nadine beginnt ein gut ein Jahr andauerndes Martyrium. Immer wieder habe er sie geschlagen, mit den Händen, mit einem metallenen Besenstiel, ihr die Knie in den Bauch gerammt, ihr büschelweise Haare ausgerissen, sie in die Badewanne gezwungen, wo er sie abwechselnd mit eiskaltem und heißem Wasser traktierte, ihren Kopf gegen eine Tür geknallt. „Das hat ihn aufgegeilt“, erklärt die junge Frau sich das heute. Danach sei es zum Sex gekommen.

Einvernehmlich? Ganz sicher nicht. Mindestens, als er sie zum Analverkehr zwang, habe sie gesagt: „Hör auf, das tut mir weh!“ Das habe ihn aber kein bisschen gestört, erinnert sie sich während der stundenlangen, quälenden Vernehmung. Sie habe danach geblutet.

Es gab immer einen Grund für Strafe

Die Schläge seien immer „Strafe“ gewesen, so die Regel: Beim ersten Mal hätte sie, in der Küche noch unerfahren, im Ramadan ein Abendessen anbrennen lassen. Danach habe Mustafa sie so heftig geohrfeigt, dass sie mit dem Kopf gegen eine Zimmertür geknallt sei und sich verletzt habe. Das geschah in der Wohnung der Eltern von Mustafa J. in der Hamberger Straße. Dort war Nadine eingezogen, nachdem sie in der Pützdelle nicht mehr bleiben konnte.

Die Mutter des Mannes, der 1989 in der spanischen Exklave Ceuta geboren wurde, habe ihr zunächst erklärt, was eine Frau in Marokko zu tun hat, und habe anfangs auf ihrer Seite gestanden. Als es immer schlimmer wurde in der Beziehung, habe sie sich aber bedingungslos auf die Seite ihres Sohnes geschlagen. Der habe sie immer wieder bedroht, draußen nicht zu sagen, was los ist, wenn sie „mal wieder ein blaues Auge hatte“ und an der rechten Schläfe kaum noch Haare waren: Er habe „seine Leute, die meine ganze Familie umbringen würden“. Regelmäßig habe sie die Kontaktdaten ihrer Familienmitglieder aufschreiben müssen.

Besonders im Gedächtnis geblieben ist Nadine L. ihr 17. Geburtstag. Zur Feier des Tages habe er sie ins Restaurant Arkade auf der Hauptstraße eingeladen, danach ging es ins Ibis-Hotel. Weil sie aber seiner Meinung nach Blickkontakt mit dem Kellner aufgenommen hatte, sei ihr Freund mal wieder ausgerastet: Schläge, erzwungener Oralverkehr.

Mit Haschisch im Bauch von Marokko nach Hause

Zwei Reisen in die marokkanische Heimat der Familie seien ebenfalls zur Tortur geworden: Er habe sie gezwungen, auf dem Rückweg in Alufolie und Plastik verpacktes Haschisch zu schlucken, um es so nach Deutschland zu schmuggeln. Bei der erste Fuhre habe sie sich auf dem Flug nach Weeze erbrochen, der Stoff habe sich zum Teil in ihr verbreitet. Weil sie beim ersten Mal nur die Hälfte des Rauschgifts habe schlucken können, musste sie ein zweites Mal nach Marokko. Die Flüge bezahlte übrigens ihr leiblicher Vater. Dem habe sie genauso etwas vorgelogen wie ihrer Mutter und allen anderen.

Erst nach einem Jahr sei sie aus der Wohnung in der Hamberger Straße geflohen: Barfuß, ansonsten bekleidet mit einer Djellaba, einem bodenlangen Überwurf, habe sie Mustafas Mutter gesagt: „Ich bring' den Müll runter.“ Dann sei sie fast einen Kilometer durch Lützenkirchen gehumpelt. Ihr Fuß war angebrochen, nachdem sie von Mustafa einmal mehr traktiert worden war.

Sie habe irgendwo geklingelt und ihre Mutter angerufen. Die habe sie abgeholt, kurz darauf sei sie zu ihrem Bruder nach Karlsruhe gefahren. Bloß möglichst weit weg von ihrem Peiniger. „Ich war völlig demoliert. Ich konnte nicht mehr.“

Ein paar Wochen davor habe sie noch versucht, vom Balkon der Wohnung im vierten Stock in die Wohnung von Nachbarn zu fliehen. „Mir war klar, dass ich abstürzen könnte.“ Als sie das sagt, bricht die Frau, die nächste Woche 26 Jahre alt wird, in Tränen aus. „Es war die schlimmste Zeit meines Lebens.“ Der Angeklagte hört sich das alles an, ohne eine Miene zu verziehen.

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