Würfel und WürstchenUlkiger Silvesterbrauch aus Bergneustadt ist Tradition

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Eine Männerrunde sitzt an einem langen Tisch und spielt Dobbeln. Auf dem Tisch stehen Biergläser und Teller, auf denen Wüste liegen.

Das Dobbeln im Jägerhof in Bergneustadt gehört seit jeher zur Tradition. Diese Männertruppe spielt am 28. Dezember den Silvesterbrauch.

Beim Bergneustädter Silvesterbrauch spielen Würfel und Würstchen eine große Rolle. Alle Jahre wieder wird das uralte Würfelspiel am Silvestertag gespielt.

Drei Würfel, ein prall gefülltes Tablett mit Würsten und ein Lampenschirm mit möglichst vielen Haken – außerhalb eines schmalen Landstrichs zwischen Bergneustadt und Lieberhausen mag diese Kombination merkwürdig erscheinen. Dagegen weiß im Osten des Oberbergischen praktisch jedes Kind: Dies sind die Zutaten für ein Dobbel-Turnier, das Würfelspiel, das zum Silvestertag dazu gehört, wie der Kater zum Neujahrsmorgen.

Die Regeln sind schnell erklärt. Reihum nehmen die Dobbel-Spieler drei Würfel aus einer kleinen Schale und lassen sie mit Schmackes über den Tisch flitzen – und zwar so lange, bis er oder sie zwei gleiche Zahlen geworfen hat. Diese beiden werden nun mit den Augen des dritten Würfels addiert – zwei Fünfen und die Drei ergeben also 13. Wer am Ende der Runde die höchste Punktzahl vorweisen kann, bekommt die zuvor ausgeguckte Wurst serviert.

Bergneustadt: uralte Spieltradition am Silvestertag

Die Bergneustädter Kultkneipe Jägerhof ist gewissermaßen die Hochburg des Dobbelns – und das schon seit Generationen, wie Wirt Heinz Jaeger verrät. Schon lange vor dem Zweiten Weltkrieg wurde in der Altstadt am letzten Tag des Jahres gewürfelt, was das Zeug hielt. „Ursprünglich diente das Spiel dazu, die Zeit bis zum Jahreswechsel zu überbrücken und vor allem die Kinder bei Laune zu halten“, erklärt Jaeger.

In diesem Jahr haben die Bergneustädter ihr Brauchtum allerdings deutlich ausgeweitet. Schon seit Dienstag lassen Kegelclubs, Arbeitskollegen und Nachbarschaften im Jägerhof die Würfel purzeln, der Silvesternachmittag ist indes Gruppen mit Kindern vorbehalten, ganz so, wie es lange Tradition ist.

Stichwort Tradition: Ihre gewonnenen Würste verputzen die Gewinner entweder augenblicklich zusammen mit den Mitspielern – oder sie werden für später aufbewahrt. Weil sich auf den Tischplatten Biergläser neben Schnapspinnchen drängeln (die zum Einsatz kommen, wenn jemand drei Einsen würfelt) und es deshalb ohnehin kaum freie Bahn für die Würfel gibt, werden Blutwurst, Schinken und Co. an die Deckenlampen gehängt, die so im Laufe eines Dobbel-Abends zu schwer beladenen Trophäenhaltern werden.

Friedhelm Julius Beucher ist einer der erfahrensten Würfelspieler, wenn es um die Wurst geht. Am Mittwochabend organisierte er eine gut gelaunte Runde mit Sportlern und Weggefährten. Genau erinnert sich Beucher noch an seine Kindheit, in der ganze Familien in den Kaffeehäusern im Neustädter Stadtkern um Punschballen dobbelten. „Für uns Kinder war das etwas ganz Besonderes – Feuerwerk konnte sich damals ja noch niemand leisten.“

Auch in seiner Zeit im Bundestag blieb für Beucher der Dobbel-Abend zwischen den Jahren gesetzt. Regelmäßig lud er sogar Korrespondenten aus Bonn oder Berlin ein, um sie in das gesellige Bergneustädter Brauchtum einzuweihen. In den Regierungsvierteln habe sich damals schnell herumgesprochen, dass er in einer Stadt zu Hause sei, in der „kiloweise Würste von den Lampen hängen“, blickt Beucher mit einem Lachen zurück.

Heinz Jaeger und Friedhelm Julius Beucher freuen sich, dass das Dobbeln nach zwei Corona-Jahreswechseln nicht nur zurückkehrt, sondern immer weitere Kreise zieht. Und selbst bei einem so alten Silvesterbrauch gibt es noch einen neuen Trend zu verzeichnen, wie Heinz Jäger in dieser Woche schon mehrfach beobachten konnte. Zwischen Leber-, Fleisch- und Blutwurst sind nämlich die kleinen Salami-Schweine der Metzgerei Köhler die mit Abstand begehrtesten Trophäen – die es deshalb auch nur ganz selten bis hoch an die Haken der Lampenschirme schaffen.


Der Brauch des Dobbelns war vor 50 Jahren Thema in der Zeitung. „Die Betreuer der Bergneustädter Altentagesstätte im Dietrich-Bonhoeffer-Heim ließen in diesem Jahr einen Brauch wiederaufleben, den es nur in der alten Feste gibt: Das Dobbeln zu Silvester. Wie sich alle Bürger noch erinnern können, zogen sie an Vaters oder Mutters Hand am Silvestertag in die Wirtschaften oder Bäckereien, um dort um Würste oder Hefeplatz zu würfeln. Die Spielregeln waren streng, das Vergnügen groß, das Ereignis selten, da es eben nur zu Silvester geübt wurde.“

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