Unter der Leitung von Sven Schuh von Outdoor Oberberg trainieren die Frauen und Männer das ganze Jahr – bei jedem Wetter, zu jeder Jahreszeit.
Méthode NaturelleGruppe aus Oberberg sucht die Extreme für körperliche und mentale Fitness

Ein Bad im Wasser der Aggertalsperre bei Gummersbach-Bredenbruch beendet jeden Trainingstag nach der Méthode Naturelle. Trainer der waghalsigen Gruppe ist Sven Schuh aus Reichshof (Zweiter von links).
Copyright: Dennis Börsch
Grau ist es. 10 Uhr, sechs Grad, Nieselregen. Die feuchte Kälte klettert die Knie hoch, langsam. Da hat man lieber einen heißen Kaffee in der Hand und ein Brötchen auf dem Teller. Sven Schuh aber zieht die Jacke aus, legt sie weg. Kurz und knapp sind seine Kommandos. Und vor ihm rennen zwei Frauen und fünf Männer um ihr Leben, aber immer auf der Stelle. „Jetzt – so schnell Ihr könnt, zehn Sekunden lang, die Arme nicht vergessen“, ruft der 53-Jährige im Natursportzentrum am Bergneustädter Wilhelm-Bisterfeld-Stadion. 16 Füße trampeln los in Höllentempo, Arme fliegen rauf und runter.
Im Jahr 2018 hat der Waldbröler Verein Outdoor Oberberg das Sportzentrum gepachtet und umgestaltet, 2019 hat er diesen besonderen Trainingsplatz eingeweiht. Elemente aus dem Parkour-Sport finden sich darauf ebenso wie Hindernisse und klassische Fitnessgeräte.

Auch Hunde tummeln sich gelegentlich auf dem Gelände des Natursportzentrums in Bergneustadt.
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Immer samstags sucht die Gruppe um den Reichshofer Schuh die Herausforderung – Méthode Naturelle heißt die Idee dahinter. Und so verrückt es klingt: Sport ist das nicht. Schuh erklärt: „Das ist ein ganzheitliches Gesundheits- und Entwicklungskonzept für den Geist und natürlich auch den Körper.“ Yoga trifft da auf Trimm-Dich, Achtsamkeit auf Ausdauer. Und das draußen – immer. Zu jeder Jahreszeit, bei jeglichem Wetter.
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„Man setzt sich den Extremen aus – der Kälte, der Hitze, dem Durst, dem Schmerz“, erklärt der Übungsleiter und schränkt ein: „Aber nur so viel Schmerz, wie sein muss.“ Denn stets gilt: Jeder macht das, was er gerade kann. Niemand verausgabt sich, keiner trainiert bis zum Umkippen. „Und niemand ist allein, der Teamgeist zählt.“
Diesmal ist es Bastian Voigt, der meist zusehen muss – der Fuß ist dick, er absolviert nur die Übungen für den Oberkörper. „Hier geht es ans Eingemachte“, sagt der 45-jährige Gummersbacher, seit dreieinhalb Jahren ist er dabei. Der Nutzen aber sei auf vielen Ebenen spürbar: „Ich bin viel sportlicher als früher, ich atme bewusster und meine Körperkoordination ist eine bessere.“

Rauf auf die Ringwand oder auch mittendurch: Erlaubt ist in Bergneustadt immer das, was der Einzelne schaffen kann. Hier klettert Bastian Voigt.
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Sich selbst bei Wind und Wetter auszuprobieren, das sei Selbsterfahrung pur, setzt Peter Klinkhammer (56) hinzu. Seit fünf Jahren gehört der Bergneustädter zur Gruppe. „Kraft und Ausdauer haben sich seither deutlich verbessert, zurzeit ist Schwimmen meine große Leidenschaft.“ Ein Gruppenbad in der Aggertalsperre beendet übrigens jeden Trainingssamstag.
Wie die meisten der anderen, so arbeiten auch Voigt und Klinkhammer in der Sozialpädagogik. Outdoor Oberberg organisiert nämlich Angebote in der Erlebnispädagogik und im Sozialen Lernern, Abenteuerreisen, Trekkingtouren und Bogenschießen etwa. Der Waldbröler Verein unter der Leitung von Sven Schuh ist zudem Träger von Jugendzentren. „Unsere Leitungskräfte müssen also fit sein“, betont Schuh, der nach einem geeigneten Trainingskonzept gesucht und 2015 die Méthode Naturelle entdeckt hat – in seiner Heimatstadt München war das. In Belgien hat er sich fortgebildet und die Méthode Naturelle schließlich nach Oberberg gebracht.
Jeder kann auf dem Bergneustädter Hackenberg nach Kräften mitmischen
Wer heute auf dem Hackenberg im Natursportzentrum mitmischen möchte, muss kein Vereinsmitglied sein. Man kommt einfach. Darauf verzichten wollen auch Deike Liehr und ihr Sohn Marlo (15) aus Wiehl nicht mehr. „Erst habe ich Marlo nur hingefahren, dann bin ich selbst eingestiegen“, blickt die 49-Jährige zurück. Sie freut sich auf die sportliche Abwechslung in den Trainingsstunden – „und darauf, auch ein bisschen wieder Kind sein zu dürfen“. Solchen Spaß biete tatsächlich kein Fitnessstudio der Welt, bestätigt der Waldbröler David Schoepe (33).

Auch aus Elementen des Parkour-Sports bedient sich die Méthode Naturelle. Eine Holzwand ist für den 15-jährigen Marlo Liehr kein Problem.
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Unterdessen robbt Gerd Fischer durch die Ringwand – alles auf der Anlage hat Outdoor Oberberg aufgebaut. Das positive Denken und an sich selbst zu glauben, das habe er durch die Méthode Naturelle gelernt, schildert der 52-jährige Gummersbacher. „Die fasziniert mich, denn da zählen vor allem Menschsein und Mitgefühl, auch bin ich am liebsten in der Natur.“ Fischer arbeitet als Entwicklungsleiter bei einem Industrieunternehmen in Engelskirchen. „Es hilft nicht, Ideen zu verwerfen, wenn sie nicht funktionieren. Man muss immer nach dem suchen, auf dem man aufbauen kann.“
Gute zwei Stunden dauert die Ertüchtigung auf dem Hackenberg, dann geht's ins etwa acht Grad „warme“ Wasser – in das der Aggertalsperre bei Gummersbach-Bredenbruch. „Länger als 90 Sekunden bleiben wir aber nicht drin“, betont Sven Schuh. Ziel sei es, irgendwann drei, vier Minuten auszuhalten. „Mehr wäre nicht gesund“, sagt der Experte. Das Bad in der Talsperre aber hebe die Stimmung. „Und danach genießt jeder umso mehr die Wärme.“
Das ist die Méthode Naturelle
Die Méthode Naturelle geht auf den französischen Marine-Offizier Georges Hébert (1875 – 1957) zurück und beschreibt ein geistiges und körperliches Training, das allerdings nicht als Sport verstanden wird. Héberts Ansinnen war es, athletische Fähigkeiten mit Hilfsbereitschaft, Selbstlosigkeit und Tapferkeit zu verbinden. Dafür sollten Geist und Körper in der freien Natur unter harten Bedingungen geformt werden. Das Konzept entwickelte er in den Jahren um 1910 bis 1912, später wurde es das Standardtraining der französischen Streitkräfte.

