„Kein Gig wie jeder andere“Interview mit Martin Blecher, Kopf von Fortuna Ehrenfeld

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Martin Bechler (M.) mit Keyboarderin Jenny Thiele und Schlagzeuger Jannis Knüpfer

Bereit für die nächste Eskalation: Martin Bechler (M.) mit Keyboarderin Jenny Thiele und Schlagzeuger Jannis Knüpfer.

Martin Bechler stammt aus Nümbrecht und hat in Köln sein Glück gemacht. Reiner Thies sprach mit dem Kopf der Band vor dem Konzert bei den Bergneustädter Liedermacher-Tagen.

Das Bergneustädter Festival firmiert als „Liedermacher-Tage“. Fühlen Sie sich damit angesprochen?

Martin Blecher: Total! Ich mache ja Lieder. Das Wort klingt heute vielleicht antiquiert, mir fällt aber kein Argument dafür ein, mich nicht so zu nennen. Als Texter fühle ich mich sehr deutsch, in meiner Muttersprache bin ich zu Hause. „Liedermacher“ klingt sicher unsexy, aber das ist in meiner nunmehr komfortablen Position auch nicht mehr so wichtig.

Ist das Bühnentheater mit Schlafanzug und Federboa, für das Sie bekannt sind, ein Mittel, die ja oft melancholischen Lieder, die privaten und zugleich politischen Texte zu sabotieren und vor dem Kitsch zu retten?

„Sabotage“ gefällt mir, das nehme ich als Kompliment. Natürlich will ich dem Kitsch entgehen und die ganze Sache weiterentwickeln. Ich muss den klassischen Liedermacher auseinandernehmen, zermörsern, zertrampeln und dann behutsam wieder neu zusammenkleben. Wenn ich mit Gitarre und Holzfällerhemd im Wolf-Biermann-Style aufträte – würde Sie das interessieren?

Schwer zu sagen. Im Juni sind Sie in Gummersbach aufgetreten, jetzt kommen Sie wieder hierher. Ist das eine Art Heimspiel, eine Konfrontation mit der eigenen Herkunft? Oder ein Gig wie jeder andere?

Sicher kein Gig wie jeder andere. In Gummersbach habe ich mich bei den Auftritten der anderen Bands unters Publikum gemischt, und alle paar Minuten hat mir einer auf die Schulter geklopft. Selbstverständlich pflege ich noch Kontakte. Ich verbinde mit dem Oberbergischen keinerlei Traumata, ich habe hier nichts aufzuarbeiten.

Welche Erinnerungen verbinden Sie denn mit Ihrer Jugend in Nümbrecht?

Ich hatte hier eine behütete, wundervolle Kindheit. Ich bin aufs Hollenberg-Gymnasium gegangen. Wenn ich heute dort unterwegs bin, schreien mich halt an jeder Ecke die alten Bilder an: Da vor dem Kiosk hast du deinen ersten Kuss und dort an der Turnhalle ein paar aufs Maul bekommen. Nach dem Zivildienst bei der Arbeiterwohlfahrt bin ich in die Stadt gegangen, um zu studieren und habe mich in Mutter Rhein verliebt. Köln ist jetzt Heimat, aber das Bergische ist immer noch auf die Herzkammern tätowiert.

Wie sind Sie zur Musik gekommen?

Ich habe Klavierunterricht bekommen, seitdem ich fünf Jahre alt war. In der Hochpubertät bin ich dann umgestiegen auf Schlagzeug, E-Gitarre und alles, was sonst Krach macht. Unser Englischlehrer am Hollenberg-Gymnasium war ein glühender Stones-Fan und hat die Gründung einer Band angeregt: The Sixties Revival Pub Rock Band. Damals habe ich an den Crossroads Ecke Meinerzhagen meine Seele an den Teufel verkauft.

Zwischenzeitlich sind Sie dann aber weniger in Erscheinung getreten

Ich habe mich in eine Karriere als Tontechniker und Produzent mit eigenem Studio geflüchtet. Erst mit Mitte 40 bin ich dann raus auf die Bühne. Einfach so. Die Bedeutung des Rampenlichts ist überbewertet. Ich sehe zwischen beiden Tätigkeiten vor oder hinter den Mikrofonen und Kameras keinen sonderlichen Unterschied. Ich will gestalten. Egal wie. Es ist eine Sucht.

Und deshalb ist Fortuna Ehrenfeld auch mehr ein Soloprojekt als eine Band geworden?

Fortuna Ehrenfeld ist eine Band. Aber ich bin der (gütige) Chef. Es ist ein abartig dichter Markt, es braucht eine Menge Luft, um die Widerstände zu überwinden. Fortuna sollte kein Hobby werden. Ich wollte diese Bumsbude wirtschaftlich machen und beweisen, dass das auch mit einem sperrigen Indie-Projekt geht. Ich verstehe mich als Geschäftsführer eines Musiker*innenbetriebs, der transparent und professionell funktioniert und seine Leute nicht mit einem Hungergehalt nach Hause schickt. Wir sind ein Team, das sich vertraut. Tatsächlich ist es ein kerngesunder, krisensicherer Laden, der die Pandemie abgeschüttelt hat wie eine lästige Fliege.

Bei den Liedermacher-Tagen ist in dieser Woche auch Jan Josef Liefers aufgetreten, der für seine Teilnahme an der satirisch gemeinten Corona-Aktion „Alles dichtmachen“ vor einem Jahr viel Gegenwind bekommen hat. Wie denken Sie darüber?

Ich kann nur für mich sprechen. Die staatlichen Hilfen waren eine relevante Finanzspritze, die ich in die Firma re-investiert habe. Wir sind alles erwachsene Leute und keine 22-jährigen Popsternchen, deren erste Motivation es ist, eine dicke Karre zu fahren. Ich bin so erzogen worden, dass man eine Krise im griechischen Wortsinn als Wendepunkt versteht. Ich stehe morgens auf, gehe kalt duschen und löse ruhigen Schrittes die Probleme, die es nun mal zu lösen gilt, das galt auch in der Pandemie. Wir sind Musiker*innen, wir wollen spielen, notfalls führe ich „La Bohème“ mit dem Kazoo und Arschquietsche auf dem Heumarkt auf. Ich sehe mich als großen Kriegsgewinnler. Die Tour ist bisher saugut gelaufen. Alle sind gesund.

Was erwartet uns am Samstagabend in Bergneustadt?

Das kann ich vorher nie so genau sagen. Wir wollen immer die beste Lösung für den jeweiligen Raum und das Publikum finden. Wir stehen morgens auf, um abends den Leuten einen guten Abend zu liefern. Zwischen höchster Konzentration und maximaler Eskalation ist alles möglich. Ich bin ein Junge aus dem Bergischen Land, eine zutiefst provinzielle Seele. Aber wenn ich dort rumlaufe, da denke ich oft: Leute, zieht euch doch bitte mal den Stock aus dem Arsch. Das ist auch die Parole an diesem Abend.

Das Konzert am kommenden Samstag, 29. Oktober, beginnt um 20 Uhr. Es gibt noch Karten an der Abendkasse. Das gilt auch für den Auftritt von Stefan Gwildis heute Abend sowie die Konzerte von Klaus Hoffmann am Freitag und der Gruppe Faun am Sonntag.

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