Beratungsstellen in Rhein-BergEssstörungen haben in der Pandemie stark zugenommen

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Das rechte Maß geht oft verloren: Viele Menschen reagieren mit Essstörungen auf die Pandemie-Situation.

Das rechte Maß geht oft verloren: Viele Menschen reagieren mit Essstörungen auf die Pandemie-Situation.

Rhein-Berg – „Es ist doch nicht zum Aushalten, es ist nur noch zum Kotzen“, sagt Sebastian (12 Jahre) auf den Vorwurf seiner Eltern, er habe nur noch Medien im Kopf und flippe am Esstisch regelmäßig aus.

„Ich schaffe es nicht mehr, wie vorher zu sein“, stellt Kathy (16 Jahre) fest. Sie betreibt exzessiv Sport und hat eine Passion für gesundes Essen entwickelt. „Ich bin doch eigentlich ein starker Mensch – musste das jedenfalls immer sein“, meint Vanessa (42 Jahre), nachdem sie in den letzten Monaten bis auf ein Körpergewicht von 38 Kilo abgenommen hat.

Essstörungen haben zugenommen

Das sind die Beobachtungen der Beratungsstellen im Kreis im Laufe der Corona-Pandemie. „Essstörungen haben immens zugenommen“, berichtet Anja Fries von der Katholischen Erziehungsberatung e.V., die sich mit den Kolleginnen anderer Beratungsstellen von „Frauen helfen Frauen“ bis zur Mädchenberatungsstelle im Kreis zu einem Netzwerk zur Prävention und Hilfe zusammengeschlossen hat. „Lethargie und Frust nehmen zu“, so Antje Winterscheid von der Fachberatungsstelle gegen sexuelle Gewalt. „Essen wird zur Kompensation des Frusts eingesetzt. „Das Leben entgleitet den jungen Frauen – sie verweigern das Essen oder essen viel zu viel – die Notbremse geht nicht mehr.“ Und für die jungen Leute sei kein Ende in Sicht, die Hoffnungslosigkeit verstärke die Symptome.

Anlaufstellen

■ Kath. Beratungsstelle Bergisch Gladbach, (0 22 02) 3 50 16 , E-Mail: eb-bergischgladbach@-erziehungsberatung.net

■ Ev. Beratungsstelle Bensberg, (0 22 04) 5 40 04, beratungsstelle-bensberg@kirche-koeln.de

■ Frauenberatungsstelle, (0 22 02) 4 51 12 Mail: frauenberatungsstelle-bgl@t-online.de

■ Mädchenberatungsstelle, (0 22 02) 9 89 11 55 Mail: maedchenberatungsstelle-bgl@t-online.de

Da sind die Jugendlichen, die in der Lockdown-Phase angefangen haben, vermehrt Sport zu treiben und sich für „gesundes“ Essen zu interessieren. Und die jetzt, mit Beginn eines mehr oder weniger normalen Alltags, nicht damit aufhören können: immer mehr Sport, immer weniger Essen, nur ja nichts Ungesundes. Oder das genaue Gegenteil: Die Mädchen und Jungen, die immer weniger in Bewegung kommen, lieber nur im Bett bleiben und unregelmäßig viel Ungesundes zu sich nehmen. Die allermeisten treiben keinen Sport, haben kaum Austausch – Distanzlernen macht einsam. Essen in der Familie ist eine Gemeinschaftsaktion, kann sich aber auch zu einer explosiven Mischung entwickeln.

Die Beratungsstellen im Kreis schlagen im Pressegespräch Alarm: Die Pandemie führt verstärkt zu Essstörungen.

Die Beratungsstellen im Kreis schlagen im Pressegespräch Alarm: Die Pandemie führt verstärkt zu Essstörungen.

Durch die veränderte Tagesstruktur werde Langeweile mit Essen kompensiert, aber bei vielen ohne Strategieregulation von der Verweigerung bis zur Esssucht.

Gemeinsam Methoden entwickeln

In den Beratungsstellen versuchen die Ansprechpartnerinnen, mit den Betroffenen und ihren Familien Methoden zu entwickeln, den neuen Alltag zu bewältigen. „Das ist ein Prozess. Wir ermuntern die Menschen, das Hier und Jetzt mehr wahrzunehmen“, sagt Ute Faßbender von der Katholischen Erwachsenenberatungsstelle. „Eigene Strategien entwickeln, untereinander Kontakte pflegen – gerade am Essenstisch sitzt man doch in der Regel nicht alleine.“ In den Beratungsstellen finden die Menschen, auch einzelne Personen, Unterstützung bei der Bewältigung der Essstörung.

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Im Netzwerk Essstörungen, das sich regelmäßig austauscht, sind für die schwierigen Zeiten in der Coronakrise Tipps und Vorschläge zusammengekommen: Auf einen strukturierten Tagesablauf achten, in dem das gemeinsame Essen einen wichtigen Platz erhält. Beim Essen nicht über Arbeit, Schule oder schwierige Dinge reden, denn Problemgespräche führen dazu, dass die Mahlzeit nicht mehr schmeckt. Jeder möchte dann lieber schneller fliehen, als zusammen zu sitzen.Handyverbot am Tisch für alle, auch kein „mal eben reingucken“. Gemeinsam Rezepte raussuchen, einkaufen und kochen, Zuständigkeiten verteilen. „Schöne Erlebnisse miteinander schaffen, um nicht nur auf das fokussiert zu sein, was nicht gut läuft“, rät Anja Fries. „Und Schuldzuweisungen und Vorwürfe vermeiden! Sich gegenseitig in der Umsetzung von eigenen Bedürfnissen stärken!“

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