KaltenbroichDorfidylle mit Wild West-Charakter

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Ein Blick auf das idyllische Örtchen.

Ein Blick auf das idyllische Örtchen.

Bergisch Gladbach – Der Wilde Westen beginnt kurz hinter der Milch-Tankstelle. Wer die moderne Zapfanlage am Bauernhof der Familie van Elst an der Oberlerbach hinter sich gelassen hat, taucht in eine andere Welt ein. Mitten im Wald, wo die Straße plötzlich Kaltenbroich heißt, liegt „Trappertown“, das Reich der Fallensteller und Pelztierjäger. Einmal im Jahr wird in der Westernstadt ein großes Fest gefeiert, mit Countrymusik und Gästen aus nah und fern. Dann hat auch der Pony-Express geöffnet, der jetzt wie der verlassene Saloon einer Geisterstadt wirkt.

Der Wanderer, der hier unvermittelt vorbeikommt, reibt sich erstaunt die Augen. Es soll Autofahrer gegeben haben, die fast nicht mehr die Kurve gekriegt und Radfahrer, die vor Verwunderung plötzlich den Lenker verrissen haben. Man weiß auch nicht, wo man zuerst hingucken soll: rechts auf das große Indianerzelt im geflaggten Vorgarten oder nach links, wo ein übergroßes Kanu im Gebüsch versteckt ist, das so gar nicht zu den Dimensionen des kleines Baches passt, der hier durchplätschert. Das Wasserfahrzeug ist denn auch eher für den winterlichen Einsatz auf Asphalt gedacht, wenn die Trapper am Karnevalszug in Sand teilnehmen.

Heimat der Individualisten

Das Schild „Keine Wendemöglichkeit“ sollten Autofahrer ernst nehmen. Zwar liegen in Kaltenbroich trotz Western-Kulisse keine blauen Bohnen in der Luft, aber der Ort ist kein lohnendes Ziel für Autofahrer – es sei denn, sie wohnen dort. Die Idylle bergischer Bauerngärten erschließt sich besser zu Fuß oder mit dem Fahrrad, zumal die geschichtsträchtige Ansiedlung in ein Netz von Wanderwegen mündet. Kaltenbroicher sind offenbar Individualisten, die sich nicht mit der klassischen Schwarzweiß-Malerei der Fachwerkfassaden begnügen. Mal ist ein Anwesen mediterran gestaltet, mal ragt aus der Blumenidylle eine Totenkopf-Flagge heraus oder outen sich die Bewohner eines kleinen Eckhauses als FC-Fans. Ins Auge fällt auch ein alter grüner Bauwagen mit rosaroten Schlagläden.

Wer in Kaltenbroich lebt, dem machen offenbar auch höhere Temperaturen nichts aus. Selbst in der größten Mittagshitze wird in einem Garten ein Feuerchen abgebrannt.Dass sich die Menschen für die kleine Siedlung im Dreieck zwischen Bensberg, Sand und Herkenrath interessieren, können die Kaltenbroicher offenbar verstehen. An der Karstquelle des Lerbachs, einem ausgewiesenen Naturdenkmal, haben sie einen grünen Schaukasten mit historischen Informationen und Abbildungen aufgestellt. Da erfährt man buchstäblich im Vorbeigehen, dass die Bezeichnung –broich auf ein sumpfiges, morastiges oder feuchtes Gelände hinweist und dass es hier im zweiten Teil des 18. Jahrhunderts acht Güter gab mit Gemüsegärten, Obsthöfen, Wald- und Buschgelände und Wiesen am Bach. Der Dorfbrunnen unterhalb der Quelle sei „seit Menschengedenken noch nie trocken oder im Winter zugefroren“ gewesen, berichten die Anwohner. Trinkwasser für Haus und Vieh wurde mit Trageseln oder Eimern vom „Pütz“geholt, so hieß der dahinter liegende Felsen. 1955 kam der Anschluss ans öffentliche Wassernetz. Natürlich wird in einem kleinen Dorf auch schmutzige Wäsche gewaschen. Das Grundstück auf der anderen Seite der Straße wurde dann zum Trocknen und Bleichen der mit „schwazzer Seef“ gekochten Weißwäsche genutzt. Um 1900 musste dafür jeder Haushalt zwei Pfennige an die Stadt zahlen. Bevor der Wanderer den Waldrand erreicht, fällt der Blick auf ein großes Wegekreuz, das ein Kaltenbroicher 1845 errichten ließ – als letzte Hoffnung im Kampf gegen seine Depressionen. Es soll geholfen haben.

Im teilweise von Hohlwegen durchzogenen Wald hat der Wanderer dann die Qual der Wahl. Richtung Naturschutzgebiet Grube Cox, vorbei an Orten, die Knoppenbissen und Schmalzgrube heißen, ins Milchborntal, zum Kadettenweiher und zu den französischen und kaiserlich-österreichischen Soldaten-Friedhöfen oder lieber zum Naturfreundehaus Hardt und zur Bärenhöhle, einem ehemaligen Versuchsstollen des Erzbergbaus. Wer den Blick in die Landschaft sucht, sollte den Aussichtspunkt Hülsenberg ansteuern, Geschichtsinteressierte zieht es vielleicht zum Ringwall der Erdenburg nach Moitzfeld. Und natürlich sind auch Schloss Bensberg und Schloss Lerbach nicht weit. Dass ein Schilderwald auch nur aus einem Baum bestehen kann, zeigt die knorrige Eiche am Haus Hardt. Wer sich nicht im Dickicht der X, As und Ns verlieren will, folgt einfach dem Kölnpfad, der im großen Bogen 171 Kilometer durch und um die Domstadt führt, dem Bensberger Schloßweg oder dem Neandertalweg, der von der Bensberger Höhe ins Ruhrgebiet führt. Bis zur Endstation am Duisburger Zoo sind es allerdings 95 Kilometer. Da liegt die Bärenhöhle näher, nur einen Katzensprung entfernt.

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