Nach tödlichem SchussBKA prüft waffenscheinfreien Bezug von Pfefferpistolen

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Ermittler bei der Arbeit in Bergisch Gladbach

Ermittler bei der Arbeit in Bergisch Gladbach

Köln/Bergisch Gladbach – Vor zwei Monaten wurde Bilal A. bei einem Streit unter Nachbarn in Bergisch Gladbach getötet. Erschossen durch den Sohn eines Anwohners mit einer scheinbar harmlosen Pfefferpistole vom Typ Jet Protector JPX. Der Schütze, Alexander B., sitzt seither in Untersuchungshaft. Sein Anwalt Gottfried Reims spricht von Notwehr, „da das Opfer meinen Mandanten zuvor mehrfach geschlagen hatte“. Die Staatsanwaltschaft hingegen geht derzeit von Totschlag aus. Demnach soll der 24-Jährige den Tod seines Widersachers billigend in Kauf genommen haben.

Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ nun erfuhr, hat die politische Abteilung im Justizzentrum die Nachforschungen übernommen. „Es ist nicht auszuschließen, dass der Tat ein fremdenfeindliches Motiv zugrunde lag“, sagt Oberstaatsanwalt Ulf Willuhn. Offenbar wurden auf dem Handy des Beschuldigten WhatsApp-Nachrichten mit entsprechenden Inhalten gefunden.

Bundesweit einzigartig

Der Fall sucht bundesweit seinesgleichen. Bisher sind hierzulande keine tödlichen Attacken auf Menschen mit einer gasbetriebenen Pfefferpistole aktenkundig. Der Streit nimmt am 27. März gegen 11.20 Uhr seinen Lauf. Alexander B. richtet gerade bei seinen Eltern die Alarmanlage ein. In den Tagen zuvor hatte ein Unbekannter in der Nachbarschaft die Reifen von fast 20 Autos zerstochen, den Lack zerkratzt und in einem Fall ein Hakenkreuz eingeritzt.

Als Bilal A. auftaucht, entspinnt sich ein heftiger Wortwechsel. B. vermutet, dass der Mann mit den marokkanischen Wurzeln der Täter ist, der die Autos in der Nachbarschaft beschädigt hat. Der Streit eskaliert, Alexander B. hastet zu seinem Wagen, sein Widersacher folgt ihm und schlägt durch das offene Fenster auf ihn ein. B. greift zu seiner Pfefferpistole und schießt dem Angreifer einen Strahl Chili-Reizstoff gegen die Brust. Der Getroffene taumelt zurück. Alexander B. steigt aus seinem Wagen, erneut geraten die Kontrahenten aneinander. Aus nächster Nähe zielt B. auf das Gesicht seines Gegners und drückt ab. Der Schuss zerfetzt dessen Auge. Das Opfer stirbt fünf Tage später an schweren Hirnverletzungen.

Eine Pfefferpistole

Eine Pfefferpistole

Augenzeugen wie dessen Schwester werden später von einer gezielten Attacke auf Bilal A. sprechen. Der Schütze beteuert indes, er habe geglaubt, sein Gegenüber würde ein Messer zücken. Seit Wochen kursierten in der Straße Gerüchte darüber, dass A. womöglich bewaffnet sei. Eine nächtliche Polizeistreife hatte den 30-Jährigen mit zwei Messern angetroffen.

Wirksamer als Spray

Seit gut einem Jahrzehnt werben Hersteller wie Piexon mit Modellen wie dem Jet Protector JPX als effizientem Schutz gegen Angreifer und vor allem gegen aggressive Hunde. Mit einer Geschwindigkeit von bis zu 430 Stundenkilometern feuert „das Home Defense Einsatzmittel der Spitzenklasse“ (Werbeslogan Piexon) seinen Reizstoff ab. In Sicherheitskreisen gelten die Modelle im Vergleich zu Pfefferspraydosen als das weit wirksamere Abwehrmittel.

So empfiehlt auch der Produzent auf seiner Webseite, mit dem Jet Protector JPX „immer direkt auf das Gesicht des Angreifers zu zielen“. Dadurch wirke der Reizstoff „über die Schleimhäute, (Augen, Nase, Mund) und über die Atemorgane. Durch die offene Visierung mit Kimme und Korn wird das Zielen mit dem Jet Protector JPX auch für ungeübte Benutzer vereinfacht und treffsicher.“

Im Jahr 2007 hatte das Bundeskriminalamt (BKA) das Modell als Tierabwehrgerät genehmigt. Seither sind diese gasbetriebenen Pfefferpistolen frei erhältlich. Ein Waffenschein ist nicht nötig. Das BKA hat nach Angaben gegenüber dieser Zeitung in seiner damaligen Genehmigung auch keinen Mindestabstand empfohlen. Der Produzent fordert hingegen 1,5 Meter als Minimum und betont ausdrücklich, dass diese Waffe auch in Notwehrsituationen gegen Menschen verwendet werden dürfe.

Alexander B. hat die Pfefferpistole laut Staatsanwaltschaft aus einer Distanz von 30 bis 40 Zentimetern gegen den Kopf seines Widersachers gerichtet. Macht ihn das zum Totschläger? „Diese Frage läuft an dem entscheidenden Punkt in dem Fall vorbei“, sagt B.s Strafverteidiger Reims. „Denn eigentlich geht es darum, dass mein Mandant durch die Produktbeschreibung der Pfefferpistole nie auf die Idee gekommen ist, dass diese Waffe tödlich wirken könnte.“ Etwaige Vorsichtsmaßnahmen für den Gebrauch des Jet Protectors jedenfalls seien nicht nötig gewesen seien.

Genehmigung wird überdacht

„Mein Klient wollte sich nur gegen die Attacken des Angreifers verteidigen, der laut Aktenlage auch noch für die vorangegangenen Reifenstechereien verantwortlich gewesen sein soll.“ Die Staatsanwaltschaft wird nach eigenen Angaben den Fall auch unter diesen Gesichtspunkten untersuchen.

Das BKA will nach dem tödlichen Ausgang in Bergisch Gladbach offenbar seine Genehmigung nochmals überdenken, Pfefferpistolen vom Typ Jet Protector JPX waffenscheinfrei zuzulassen. Auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ kündigte eine Sprecherin an, man werde „die zum Sachverhalt vorliegenden Erkenntnisse beiziehen“ und eingehend prüfen.

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