SchularchivDer Spuknapf stand im Klassenzimmer

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Peter Joerißen arbeitet sich geduldig durch die Bestände. Längst nicht alle Bilder und Schriftstücke sind katalogisiert und sortiert. Außerdem kommen immer wieder neue Stücke hinzu.

Peter Joerißen arbeitet sich geduldig durch die Bestände. Längst nicht alle Bilder und Schriftstücke sind katalogisiert und sortiert. Außerdem kommen immer wieder neue Stücke hinzu.

Bergisch Gladbach – Am Rand ist er leicht angeschlagen, sonst ist der kleine, weiße Emailletopf, den Peter Joerißen vorsichtig auf den Tisch stellt, unversehrt. Das ist eigentlich ein Wunder, wurde das Gefäß mit dem kreisrunden Loch in der Mitte in früheren Zeiten doch nicht eben gut behandelt: Täglich bespuckt zu werden ist schließlich kein leichtes Schicksal. Das Töpfchen diente Ende des 19. Jahrhunderts als Spucknapf. Aus Angst vor der damals gefürchteten Krankheit Tuberkulose hatten die Behörden 1891 in Düsseldorf eine Verfügung erlassen, die vorschrieb, in jedem Klassenzimmer, auf Fluren und Treppen einen wassergefüllten Spucknapf aufzustellen, der stets penibel gereinigt werden musste. „Lehrer und Schüler haben sich der Entleerung ihres Auswurfs lediglich dieser Spucknäpfe zu bedienen“, kann man noch heute in einem vergilbten Dokument nachlesen, das im Archiv des Schulmuseums Katterbach aufbewahrt wird.

In den Kellerräumen der Grundschule Katterbach befindet sich nicht nur das Depot mit zahlreichen Gegenständen für die Ausstellungsräume im Schulmuseum, sondern hier werden auch mehrere hundert Dokumente gelagert: Schulbücher und Hefte, Fibeln, Poesie-Alben und Schulzeugnisse, Anstellungsurkunden von Lehrern, Chroniken und Schülerlisten. Vieles ist noch unsortiert und unbearbeitet. Lange Zeit lagerten hier Originale zusammen mit Kopien, ohne thematische Gliederung, so Joerißen, Leiter des Schulmuseums. Er arbeitet fast täglich daran, den Bestand zu sortieren. Er sichtet das Material, legt Originale in säurefreie Hüllen und füllt Kartons mit thematisch verwandten Dokumenten. Archivalien der NS-Zeit konnte der Kunsthistoriker bereits elektronisch erfassen.

Obwohl das Schulmuseum mit dem „historischen Klassenzimmer“ von Anfang an den Schwerpunkt auf die „dingliche Präsentation“ gelegt habe, seien stets auch schriftliche Quellen übernommen worden, wenn Schulen, vor allem Volksschulen, in den vergangenen Jahrzehnten aufgelöst wurden. Alle Puzzleteile zusammen ergäben erst ein Bild früherer Lebensumstände, findet Joerißen. So existiere etwa eine alte Fotografie der Lehrerin Anna Funke, auch ein Kleid von ihr.

Doch erst ihr Anstellungsvertrag von 1883, in dem sie zusichern musste, im Falle ihrer Verheiratung den Beruf aufzugeben, und eine Besoldungsliste, die Frauen sehr viel niedriger einstufte als Männer, lasse Rückschlüsse auf die gesellschaftlichen Zustände zu. Joerißen: „Das ist das Fleisch, da will ich ran.“

„Es ist ein Archiv im Aufbau“, sagt Joerißen, und das wird es wohl auch noch länger bleiben, denn ständig kommen neu Archivalien hinzu. „Oft melden sich bei uns Leute, die alte Dokumente aus der Schulzeit ihrer Eltern oder Großeltern besitzen, nicht alles aufheben, aber auch nicht alles wegwerfen wollen.“ So erhielt das Archiv erst vor wenigen Tagen ein gut erhaltenes Schulentlassungszeugnis, das Elise Steinjann 1874 beste Noten ausstellte. Ein solches Zeugnis verrate, welche Schwerpunkte im Unterricht gesetzt wurden, welche Bedeutung gutes Betragen hatte oder dem Besuch des sonntäglichen Gottesdienstes beigemessen wurde. Eine Rarität stellen auch die fünf Strafbücher dar, die die Zeiten überdauert haben. In ihnen wurden die Schüler aufgelistet, die sich in der Schule nicht nach den Vorschriften verhalten und eine Strafe erhalten hatten.

Im Keller der Grundschule Katterbach, gleich neben dem Schulmuseum an der Kempener Straße, befindet sich das Schularchiv. Hier lagern mehrere hundert schriftliche Zeugnisse der Schulgeschichte der Region, Zeugnisse und Chroniken, Schulerlasse und Besoldungslisten, Fibeln und Schulhefte, Klassenfotos und Poesiealben. Die meisten Dokumente wurden in den 60er und 70er Jahren bei Schulauflösungen sichergestellt, viele stammen aber auch aus Privatbesitz.

70 Archivalien aus dem Schulalltag in der NS-Zeit hat Museumsleiter Peter Joerißen bereits elektronisch erfasst, 200 weitere Dokumente warten noch auf ihre Katalogisierung. Gesammelt werden vornehmlich Schuldokumente aus Bergisch Gladbach und der näheren Umgebung, vor allem aus der Zeit vor 1968. (spe)

Dank deutscher Gründlichkeit kann man mehr als 100 Jahre später noch nachlesen, dass der Schüler Franz Rasquin aus Nittum im Mai 1902 „15 Stockschläge auf das Gesäß“ erhielt, weil er angeblich ein Vogelnest zerstört hatte. Nur geringfügig glimpflicher war ein Jahr zuvor Heinz Hönig davongekommen. Er erhielt zehn Stockschläge, weil er „Branntwein gestohlen und getrunken“ hatte. Als Einzelfall sind solche Dokumente nur eine Fußnote in der Geschichte, wissenschaftlich aufbereitet können sie aber Alltagsgeschichte lebendig machen.

Eine Strafarbeit hatte auch der Schüler Julius Köttgen aus Langenberg im Jahr 1815 zu erledigen, so steht es im Strafbuch geschrieben. Der Junge musste Dutzende Male den aus heutiger Sicht sehr harsch klingenden Merksatz schreiben: „Besser ungeboren als ungezogen seyn.“ Die Fleißarbeit des Jungen ist allerdings bisher verschollen geblieben. „Die suche ich schon lange und irgendwann werde ich sie finden“, gibt sich Joerißen zuversichtlich.

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