ZeitzeugenFür die Freiheit, gegen das Vergessen

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Heidrun Breuer ist DDR-Zeitzeugin und besucht Schulen im Kreis.

Heidrun Breuer ist DDR-Zeitzeugin und besucht Schulen im Kreis.

Bergisch Gladbach – „Das schlimmste war, als die Liste der nachkommenden Familienangehörigen verlesen wurde und meine Tochter nicht dabei war“. Stille im Saal. Die Schüler des Berufskollegs Kaufmännische Schulen in Bergisch Gladbach zeigen sich sichtlich berührt, als Heidrun Breuer über ihre Erfahrungen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) berichtet. Breuer hat einen Gefängnisaufenthalt auf Schloss Hoheneck hinter sich. Als sie endlich im Zuge des Häftlingsfreikaufs in die Bundesrepublik kam, folgte die zweite Tragödie: Der Rest der Familie, inklusive ihrer Tochter, musste weiterhin in der DDR bleiben.

Es sind fremde Erzählungen aus einer Zeit, die die Schüler nur aus Geschichtsbüchern kennen – eine Zeit, in der sie noch nicht geboren waren. Heidrun Breuer ist dieser Austausch und besonders eine zentrale Botschaft wichtig: „Die sollen glücklich über die jetzige Demokratie sein und die Wahlen nutzen.“ Gerne hätte sie diese Chance damals gehabt. Darüber hinaus gibt der Abend ihr jedoch auch die Möglichkeit, sich frei zu reden: „Ich habe 25 Jahre lang über die ganze Zeit geschwiegen. Ich will nicht verrückt werden, weil mich die alten Zeiten einholen“, erklärt die Zeitzeugin ihre Beweggründe für den Besuch von Schulen.

Zu häufig dürfe sie die Veranstaltungen aber nicht machen. Jedes Mal, wenn sie nach Hause käme, habe sie Kopfschmerzen. In der DDR arbeitete sie als Friseurin, in Bergisch Gladbach nun als examinierte Krankenschwester im Evangelischen Krankenhaus. Sie behandelt viele Patienten, die den Krieg miterlebt haben, und möchte nicht an ihren eigenen Erfahrungen während der Diktatur zerbrechen. Dass ihr das freie Sprechen über alte Zeiten trotz Erfahrung schwer fällt, merkt man der aufgeweckten Frau bei ihrem Bericht nicht an. Sie gestaltet ihren Vortrag mit Bildern und erzählt mit Ironie fast schon lustige Anekdoten von ihrem Gefängnisaufenthalt. Einmal habe sie mit Gleichgesinnten Schnaps angesetzt oder aus Toilettenpapier ein Kartenspiel gebastelt. So wurde den Mitinsassinnen dann ihre Zukunft per Kartenvorhersage prophezeit. Doch die Geschichte von Heidrun Breuer ist, trotz all der lockeren Reflexion, eine traurige, mit weitreichenden Konsequenzen und tief sitzenden Erlebnissen. Die damals 29-Jährige wollte aus der DDR in den Westen fliehen und stellte mit ihrem damaligen Mann einen Ausreiseantrag, nachdem sie Urlaub in Bulgarien gemacht hatten. Erst da habe sie gemerkt, was die anderen alles hatten und sie nicht. „Mit 29 Jahren war mein Leben damals schon vorprogrammiert, aber man vermisst nun mal nichts, was man nicht kennt.“ Das habe sich nach dem Urlaub schlagartig verändert.

Der Antrag wurde abgelehnt, doch die Krankenschwester gab nicht auf. Ab 1982 stellte sie wiederholt Ausreiseanträge, immer mit dem gleichen Negativ-Ergebnis. Durch die Postkontrolle erfuhr der Staatssicherheitsdienst von geplanten Kontakten der westdeutschen Verwandten zur Fernsehsendung ZDF-Magazin. Daraufhin erfolgte im Februar 1984 die Verhaftung von Heidrun Breuer, für sie selbst völlig unerwartet. Die Worte der Stasibeamten: „Kommen sie mit zur Klärung eines Sachverhalts“ säßen immer noch fest in ihrem Kopf, erklärt sie. Wegen „landesverräterischer Nachrichtenübermittlung“ und „mehrfach ungesetzlicher Verbindungsaufnahme“ wurde sie zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Rahmen des Häftlingsfreikaufs gelangte sie im Mai 1985 in die Bundesrepublik und nach Bergisch Gladbach. Ursprünglich hatte sie geplant, nach Bayern umgesiedelt zu werden. Schnelle Treffen mit DDR-Bewohnern und vor allem ein rasches Wiedersehen mit der Familie habe sie sich erhofft. Doch es kam alles anders.

Ihre Tochter hat sie erst nach langer Zeit wiedergesehen, das Mädchen wuchs bei seinen Großeltern auf und bekam keine therapeutische Unterstützung. Als die Familie wieder vereint war, hatte sie deshalb mit starken Aggressionen zu kämpfen. Im Gegensatz zu ihrer Mutter könne sie nicht über die damalige Zeit reden, zu groß sei das Bedürfnis, einfach vergessen zu wollen, berichtet Heidrun Breuer den Schülern. Auch Gespräche zwischen Mutter und Tochter über die überstandene Zeit fänden nicht statt.

Die Zeit im größten Frauengefängnis der DDR, Schloss Hoheneck, kann Heidrun Breuer nicht vergessen. Viel schlimmes habe sie erlebt, sagt sie. So musste sie sich beispielsweise nach ihrer Verhaftung in der Untersuchungshaft ausziehen und unter Beobachtungmit Läuseshampoo duschen. Unvorstellbar für die Schüler des Berufskollegs. Doch Heidrun Breuer ließ sich nicht brechen und verlor ihre Selbstachtung nicht. „Meine Tränen sind nie herausgekommen da drin.“

All das ist schwer nachvollziehbar für die Schüler, die mit der parlamentarischen Demokratie groß geworden sind und gebannt an Heidrun Breuers Lippen hängen. Sie hinterfragen die Erzählungen, ein Schüler kann beispielsweise nicht verstehen, wie die Menschen das DDR-Regime damals stillschweigend über sich haben ergehen lassen können. „Ich hätte mich irgendwie wehren wollen.“ Die Zeitzeugin erklärt ihm geduldig, dass man damals einfach nicht die Möglichkeit gehabt habe, gegen die Zustände vorzugehen. „Das war eine Diktatur, das darf man nicht vergessen.“ Mit einer Portion Ironie sagte sie, dass sie jetzt gerne einmal in einem Gefängnis hospitieren würde, denn das sei sicherlich kein Vergleich zu damaligen Zuständen. Heute lebt die ehemalige Friseurin mit ihrem Mann in Bergisch Gladbach. Auch ihm, so Breuer, falle es schwer, all dies zu verstehen. Er begleite die Zeitzeugin zwar auf wichtige Termine, manchmal sei das Ganze aber etwas zu viel. Die Schüler am Berufskolleg jedoch profitieren sehr von Breuers Vortrag. Antonella Zaccheddu Hargarten, Politiklehrerin am Berufskolleg, ist Heidrun Breuer dankbar für ihr Kommen. „Die Schüler nehmen die Thematik auf diese Weise an. Und so haben wir im Politikunterricht die Möglichkeit, viel tiefer zu gehen. Sie sind richtig interessiert und verstehen dank Frau Breuer mehr, wie die Materie damals war.“

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