Autorin Kerstin GierZwischen Glamour und Unkraut

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Die Hauptdarsteller Jannis Niewöhner und Maria Ehrich mit Kerstin Gier (M.)

Die Hauptdarsteller Jannis Niewöhner und Maria Ehrich mit Kerstin Gier (M.)

Kürten – Es ist noch nicht lange her, da hat Kerstin Gier mit Katharina Thalbach und Veronika Ferres auf dem roten Teppich im Blitzlichtgewitter gestanden, als die Verfilmung ihres Fantasyromans „Rubinrot“ in mehreren deutschen Städten glamouröse Premiere feierte. Jetzt steht sie am Herd in ihrem Haus auf der Kürtener Höhe, um das Mittagessen für Sohn Lennart (13) vorzubereiten. Für die Nachbarn in der kleinen Siedlung ist die Nähe zur Bestsellerautorin Alltag. Unbehelligt kann die 46-Jährige zum Einkaufen oder zum Elternabend gehen, und wenn sie das Haus verlässt, lauern keine Paparazzi hinter der Hecke.

Dass Teenager auf der ganzen Welt für ihre Edelstein-Trilogie schwärmen (die Zeitreise-Romane Rubinrot, Saphirblau und Smaragdgrün schafften allesamt den Sprung an die Spitze der Spiegel-Bestsellerliste und wurden in 27 Sprachen übersetzt), interessiert hier auf dem Land nur wenige. Das mag zum Teil daran liegen, dass sie unter ihrem Mädchennamen (und teilweise auch unter Pseudonym) schreibt, im Alltag aber den Nachnamen ihres Ehemannes trägt. „Viele kennen die Bücher, aber nicht die Autorin“, sagt Kerstin Gier – gänzlich ohne Bedauern in der Stimme. Das ging sogar soweit, dass man ihr ein Buch aus ihrer im Lübbe-Verlag erschienenen „Mütter Mafia“-Reihe zum Lesen empfahl.

Die Fanpost bringt denn auch nicht der Briefträger, sondern die Webmasterin, die zudem ihre Nichte ist. Über Verlage und Agenturen kommen nicht nur Briefe und Autogrammwünsche, sondern auch Zeichnungen, selbst gemachte Trailer und zuletzt sogar die Hauptfiguren ihrer Edelstein-Trilogie in Keksform. Mit der Geschichte über Gwendolyn und Gideon, die ein Zeitreise-Gen geerbt haben und zwischen Gegenwart und 17. Jahrhundert hin- und herspringen, hat sie offenbar den Nerv der Heranwachsenden getroffen. Mädchen mögen die Bücher wegen der fantasievollen Geschichte und der innewohnenden Romantik, Jungs lesen sie, um zu erfahren, wie Mädchen ticken.

Sich in die Gefühle der Altersgruppe hineinzuversetzen, bereitet Kerstin Gier keine Probleme. „Ich glaube, die Gedankenwelt der Jugendlichen hat sich nicht besonders verändert“, meint sie, „mal abgesehen davon, dass die pubertierenden Heldinnen heute deutlich selbstbewusster sind als wir es früher waren.“

Erstaunlicher findet sie es da schon, dass ihr der Genrewechsel vom Frauenroman zur Fantasy- und Jugendbuchautorin so problemlos geglückt ist. Fast 20 Jahre ist es her, dass sie mit „Männer und andere Katastrophen“ den Buchmarkt eroberte. Der Erstling wurde später mit Heike Makatsch fürs Fernsehen verfilmt. Fast 40 Bücher folgten. „Ein unmoralisches Sonderangebot“ aus ihrer Feder wurde gar zum besten deutschsprachigen Liebesroman gekürt, und im vergangenen Jahr verbrachte die Autorin neun Tage auf der Queen Mary, um während der Überfahrt von New York nach Hamburg die Mitreisenden literarisch zu unterhalten.

Jetzt, wo der Hype um die Fantasy-Trilogie allmählich abzukühlen beginnt, könnte die Autorin mit dem ausgeprägten Sinn für Satire und Humor ein wenig zur Ruhe kommen – stünde nicht die nächste literarische Premiere unmittelbar bevor. Am 20. Juni erscheint „Silber – Das erste Buch der Träume“, Start einer neuen Trilogie und zugleich ihre Erstveröffentlichung im renommierten Fischer Verlag.

Die letzten Wochen vor dem Abgabetermin hat sie, wie immer, in selbst gewählter Schreibklausur verbracht. Dann kommt sie mit drei Stunden Schlaf pro Nacht aus, sitzt 18 bis 19 Stunden am Tag in ihrem Arbeitszimmer am Computer. Telefon, Handy und E-Mails werden umgeleitet, Feiern im Freundeskreis abgesagt. Mann und Sohn fahren dann auch schon mal allein in Urlaub. „Zeit ist für mich Luxus“, sagt Kerstin Gier, die zudem vier bis fünf Wochen pro Jahr auf Lesereise ist.

Entspannung findet sie rund ums Haus, wo sich das Flair eines englischen Cottage-Gartens samt vieler Stauden mit asiatischem Feng Shui mischt, bunte Gartenhäuschen an Bullerbü und Saltkrokan erinnern und der Schaukelstuhl im Südstaatenlook einladend neben dem Aztekenofen steht. Beim Unkrautjäten kann sie abschalten – vor allem den Giersch mag Gier gar nicht. Aber auch bei einer Tasse Kaffee auf einer der beiden Sonnenterrassen, die – ebenso wie Baumhaus und -schaukel – Ehemann Frank gebaut hat, kann die Schriftstellerin ihre raren Mußestunden genießen.

Auch die beiden Katzen der Familie fühlen sich hier pudelwohl: Madame Mim räkelt sich im Liegestuhl am Teich, während Kater Merlin mit begehrlichen Blicken die Meisen im Baum beobachtet. Die Samtpfoten stehen auch im Mittelpunkt, wenn die Hausherrin ihrer zweiten großen Leidenschaft frönt, der Fotografie.

Die Bodenhaftung hat die Bestseller-Autorin trotz aller Erfolge nie verloren. Kerstin Gier ist auch im Rampenlicht immer auf dem Teppich geblieben – ein roter muss es ihrer Meinung nach nicht unbedingt sein.

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