Kriegsende in Rhein-BergAls Granaten auf dem Herd explodierten

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Odenthal – Es war der 16. Mai 1945; wenige Tage nach Ende des Zweiten Weltkriegs. Günter Blömer, der mit seiner Mutter und seinen Geschwistern damals in einem alten Fachwerkhaus in Lanzemich lebte, war wie so oft auf dem Weg zum Brunnen, um Wasser zu holen. Die Familie hatte gerade damit begonnen, die Wohnküche des Hauses zu renovieren. Zwei ehemalige Panzersoldaten, für die Blömers Mutter alte Anzüge des vermissten Vaters umnähte, warteten auf die Zivilkleidung, die sie vor der Gefangenschaft bewahren sollte, und halfen tatkräftig mit. Es war Frühjahr, die Schrecken des Krieges waren endlich vorbei, und nichts deutete darauf hin, dass sich dieser Tag buchstäblich ins Gedächtnis der Menschen in Lanzemich einbrennen würde.

Der damals Zwölfjährige war gerade mit seinem Eimer auf dem Rückweg, als plötzlich eine Stichflamme aus den Fenstern des Erdgeschosses bis über das Haus schlug. Den Rest hat er nur noch schlaglichtartig in Erinnerung: die Schreie der Menschen, der DRK-Helfer aus der Nachbarschaft, der als erstes am Brandort war, und die Tatsache, dass sein fünf Jahre jüngerer Bruder Karl, der gemeinsam mit den Schwestern Adelgunde und Annemarie im Haus war, in letzter Sekunde gerettet wurde. „Erst hat keiner von uns begriffen, was da eigentlich passiert war“, erinnert sich Blömer. Dabei war es eine hausgemachte Katastrophe.

Beim Umräumen waren zwei Kartons mit Treibladungen aus Granaten auf den vermeintlich ausgeschalteten Kohleherd gepackt worden. Doch die Kochstelle war noch in Betrieb, und der gefährliche Inhalt entzündete sich in Sekundenschnelle.

„Soldaten hatten uns Kindern gezeigt, wie man die Granaten von den Hülsen trennen kann, um an die Pulverstäbe der Treibladung zu kommen, mit denen man Feuer anzünden konnte“, erzählt Blömer. „Die brannten wie Wunderkerzen. Die Gefahr hat damals keiner von uns begriffen. Wir saßen auf einem Pulverfass und spielten mit dem Feuer.“

Viele Voiswinkeler Familien hätten sich damals die zu Hunderten zurückgelassenen Granaten aus dem verlassenen Munitionsdepot der Flak-Stellung auf dem Küchenberg ins Haus geholt. „Erst durch das Unglück bei uns wurde den Menschen die Gefahr bewusst“, ist Blömer sicher. Der Modellbauer, der am Mühlenweg in der idyllischen Ortschaft Stein ein kleines Privatmuseum betreibt, erinnert sich gut daran, wie im Herbst 1944 ukrainische Kriegsgefangene an der Ecke Küchenberger Straße/Oberbech sechs Löcher mit einem Durchmesser von etwa acht Metern für die Flugabwehr-Stellungen ausheben mussten.

„Für uns Kinder war das ein interessanter Spielplatz, vor allem im Winter, wenn die Löcher mit Wasser vollliefen und eine Eisbahn bildeten.“ Auch später, als an der Weggabelung zum Lanzemicher Weg weitere Stellungen installiert wurden, Scheinwerfer und Scherenfernrohr hinzukamen, zog es vor allem die Jungen dorthin. „Da war was los, da waren Soldaten, und da gab es was zu essen.“

Die Abenteuerlust wäre Günter Blömer und seinen Freunden jedoch beinahe zum Verhängnis geworden. „Eines Tages wurde die Stellung von Tieffliegern, die aus Altenberg kamen, angegriffen.“ Soldaten und Kinder flüchteten in einen gerade fertiggestellten Keller in der Nachbarschaft – alle bis auf Blömers Bruder Karl, der noch in der Stellung hockte. „Sofort sprangen zwei Soldaten aus dem Keller. Einer holte Karl aus seinem Loch, während der andere ans Geschütz rannte und ein Flugzeug abschoss.“ Beide seien später für ihren Einsatz mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden.

Beim Nachkriegsbrand in Lanzemich indes erlitten alle, die bei der Verpuffung im Haus waren, erhebliche Verbrennungen. Ein Soldat starb später im Krankenhaus. Die Schäden an dem heute nicht mehr existierenden Fachwerkgebäude waren vergleichsweise gering. Das Feuer hatte die Fenster im Erdgeschoss bersten lassen und die Küche komplett geschwärzt.

Karl Blömer, der Junge, der zweimal beinahe sein Leben verloren hätte, machte später weltweit Schlagzeilen. Er, der wie sein Bruder begeisterter Tänzer und Turner war, entdeckte später sein Faible fürs Boxen und Bodybuilding. 1970 wurde Karl Blömer, der heute im Ruhrgebiet lebt, „Mr. Germany“, ein Jahr später „Mr. Universum“ und spielte in den 70er- und 80er-Jahren in Kino- und Fernsehfilmen mit. Sänger Peter Orloff trainierte ebenso mit ihm wie Arnold Schwarzenegger. Günter Blömer besitzt ein Foto, das „den Andy“, wie sie den späteren Filmstar und Gouverneur von Kalifornien damals nannten, bei einer Familienfeier in Osenau zeigt.

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