Ungewöhnliche FamilieSchwester Martha ist Kinderdorfmutter im Bethanien-Kinderdorf

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Hat den Wagen voll geladen: Schwester Martha ist die jüngste Mutter im Kinder- und Jugenddorf Bethanien.

Hat den Wagen voll geladen: Schwester Martha ist die jüngste Mutter im Kinder- und Jugenddorf Bethanien.

  • Während andere Familien sich neun Monate lang auf ihre Kinder vorbereiten können, kam der Familienzuwachs für Schwester Martha über Nacht.
  • Sie ist die jüngste Mutter im Kinder- und Jugenddorf Bethanien in Refrath.
  • Lesen Sie hier, wie das Leben im Kinderdorf für Schwester Martha mit ihren Kindern aussieht.

Refrath – Über Nacht Mutter von vier Kindern: Der Familienzuwachs von Schwester Martha kam nicht überraschend, schon gar nicht unvorbereitet. Aber dennoch in einer Geschwindigkeit, die sich Frauen, die in der Regel neun Monate Zeit haben, um sich auf ein Kind vorzubereiten, kaum vorstellen können. Denn die 43-Jährige ist seit knapp drei Monaten Kinderdorfmutter im Bethanien Kinder- und Jugenddorf Refrath.

Sie leitet eine neue, siebte Kinderdorffamilie, die insgesamt sechs Kinder aufnehmen soll. Ein Mädchen und drei Jungen – die Jüngste drei, der Älteste fünf Jahre alt – sind bereits da, zwei weitere Kinder avisiert.

Familie wohnt in Mitarbeiter-Wohnungen

Jahrelang existierten in Refrath nur sechs klassische Kinderdorffamilien, neben ambulanten Angeboten und Wohngruppen, die es hier auch gibt. „Doch der Bedarf wächst“, erläutert Daniela Fobbe-Klemm, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit im Kinderdorf. Die Jungen und Mädchen, die das Jugendamt vermittele, weil sie nicht mehr in ihren Herkunftsfamilien leben können, würden zudem immer jünger.

Daher hat sich die Einrichtung entschlossen, eine siebte Familie zu gründen, obwohl die für diesen Zweck vorgesehenen klassischen Einfamilienhäuser auf dem Gelände derzeit alle belegt sind und man improvisieren muss. Vorübergehend nutzt die junge Familie daher Räume, die ursprünglich als Wohnung für Mitarbeiter gedacht waren. Die Etage ist zwar mit drei Kinderzimmern recht geräumig, aber dennoch nicht so komfortabel wie die benachbarten Einzelhäuser im Dorf.

Vieles muss sich erst einspielen

Im Treppenhaus stapeln sich die Gummistiefel in bunten Farben, vor der Tür der kleine Wagenpark der Familie: Roller und Fahrräder, mit denen die Neuankömmlinge die ihnen noch nicht vertraute Umgebung entdecken. Vieles muss sich erst einspielen.

Das Kinderdorf

Das Kinder- und Jugenddorf in Refrath wurde 1968 vom Orden der Dominikanerinnen von Bethanien gegründet. Ältere Einrichtungen bestehen in Schwalmtal und in Eltville. In Refrath werden mehr als 110 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene betreut, in Familien, in Wohngruppen oder Heilpädagogischen Tagesgruppen.

In den Kinderdorffamilien leben und arbeiten Kinderdorfmütter und -eltern „rund um die Uhr“, damit Kinder, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht in ihren Herkunftsfamilien leben können, in einer möglichst familienähnlichen Struktur aufwachsen. In Refrath arbeiten sowohl Dominikanerinnen wie auch Frauen ohne Ordensgelübde sowie Ehepaare in den Kinderdorffamilien.

Neue Kinderdorfmütter und -eltern, die sich dieser langfristigen und verantwortungsvollen Aufgabe stellen wollen, werden stets gesucht. Infos darüber auf der Internetseite. (spe)

www.bethanien-kinderdoerfer.de

Abläufe müssen koordiniert werden, Gewohnheiten entstehen, Vertrauen wachsen. Dabei sind die Tage angefüllt, die Nächte unruhig. Einkaufen, kochen, waschen, bügeln, spielen und erklären, helfen und trösten – der ganz normale Wahnsinn jeder Familie mit mehreren kleinen Kindern.

„Man darf nicht so perfektionistisch sein“

„Das ist ein 24 Stunden Job und kostet Kraft“, gibt Schwester Martha zu, obwohl sich die Lage etwas entspannt hat, seit drei der vier Kinder einen Kita-Platz gefunden haben. „Man malt sich vorher viel aus, aber dann ist es in der Realität doch ganz anders“, sagt sie lächelnd. Und das, obwohl die gelernte Förderschullehrerin, die als Barbara Falkenberg in Köln geboren wurde gut vorbereitet war.

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Zehn Jahre lang hat sie in ihrem Beruf gearbeitet, erst im vergangenen Jahr die Profess, also das Ordensgelübde, abgelegt. „Man darf einfach nicht so perfektionistisch sein“, verrät die Kinderdorfmutter ihr Rezept. Zudem könne sie in der Einrichtung auf ein ganzes Team zurückgreifen. Denn jedes Kind bringt eine ganz eigene Vorgeschichte mit, die berücksichtigt werden muss. Das Motto lautet „Leben teilen“ – und so ist Schwester Martha Mutter mit allen damit verbundnen Gefühlen und muss dennoch eine gewisse professionelle Distanz wahren, um helfen zu können.

Ordenskleid bleibt im Schrank

Die klassische Nonnentracht trägt sie im Alltag nicht: „Das wäre auch eher unpraktisch“, sagt sie mit Blick auf das lange weiße Gewand, an dem die täglichen Aufgaben wie Spinat kochen oder spielen und basteln wohl nicht spurlos vorübergehen würden. Fast alle Schwestern hätten als Kinderdorfmütter ihr Ordenskleid relativ schnell in den Schrank gehängt und vor allem für Gottesdienste und andere besondere Anlasse reserviert, berichtet sie. „Das ergab sich einfach aus dem Bedürfnis der Kinder, nicht als Heimkinder stigmatisiert zu werden, wenn sie mit ihrer Kinderdorfmutter zum Kinderarzt oder in die Schule mussten“, erläutert Schwester Martha, die auch an diesem Vormittag schlicht Jeans und Bluse trägt.

Viel Zeit für eine Plauderstunde hat sie nicht. Der Einkauf wartet, die Waschmaschine läuft, eines ihrer Kinder ruft aus dem Badezimmer....

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