An der KGS Bensberg starten am Donnerstag vier erste Klassen ins Schulleben. Schulleiterin Anja Wagener Pötters und Johanna Schuhmacher, sozialpädagogische Fachkraft in der Schuleingangsphase, berichten im Interview über den Zauber des ersten Schultags, Trennungsangst und Wohlstandsverwahrlosung.
Frau Schuhmacher, was genau ist Ihre Aufgabe als sozialpädagogische Fachkraft?
Schuhmacher: Bei uns werden 1. und 2. Klasse jahrgangsübergreifend im Klassenverband unterrichtet. In dieser Phase bin ich für diese beiden Jahrgänge zuständig und gestalte den Übergang vom Kindergarten in die Schule. Schon bei der Anmeldung der Kinder bin ich dabei. Da lerne ich die Jungen und Mädchen in kleinen Gruppen kennen, um einzuschätzen, was sie schon können und wo ein Förderbedarf besteht.
Wie können Sie den Kindern die Aufregung nehmen?
Schuhmacher: Wir bieten im Vorfeld zum Beispiel einen Schnuppertag an, an dem die i-Dötzchen schon in ihre Klasse gehen, ihre Klassenlehrerin, die Mitschüler und ihre Paten kennenlernen. So versuchen wir, ihnen Ängste und Scheu zu nehmen.
Wagener-Pötters: Für die Eltern machen wir das genauso. Wir laden sie zu einem Elternabend vor den Sommerferien ein.
Nach welchen Kriterien verteilen Sie die Kinder auf die Klassen?
Wagener-Pötters: Die Klassen sind gemischt, es zählt vor allem das Wohngebiet. Wir bemühen uns, Jungen und Mädchen und Kinder mit Förderbedarf ausgewogen zu verteilen. Und jedes Kind kann sich vorher ein Wunschkind aussuchen.
Damit keine Tränen fließen, wenn beste Freundinnen und Freunde nicht zusammen in eine Klasse kommen?
Wagener-Pötters: Stimmt. Da fragen wir aber vorher im Kindergarten noch einmal nach, ob das so ist. Denn es kann die beste Freundin sein, aber kein guter Lernpartner. Und wenn wir den Eindruck etwa beim Schnuppertag gewonnen haben, dass ein Kind extrem unsicher ist, gibt es einen von der Stadt finanzierten Vorbereitungskurs, den unsere OGS-Leiterin leitet.
Schuhmacher: Diese Kinder kennen oft niemanden und haben so die Möglichkeit, vorab das Schulgelände zu erkunden und sich mit anderen anzufreunden.
Wird es trotzdem Kinder geben, die weinen werden?
Wagener-Pötters: Ja, die wird es geben. Wir versuchen das aufzufangen, indem wir am Einschulungstag die Klassen doppelt besetzen. So ist die Klassenlehrerin nicht alleine und jemand ist da, der sich kümmert.
Wie lange dauert das?
Wagener-Pötters: Das ist ganz unterschiedlich, so individuell wie die Kinder sind. Meistens gibt sich das in den ersten beiden Tagen. Oft ist aber der Montag so ein schwieriger Tag, wenn sie das Wochenende zu Hause waren. Dann fällt die Ablösung wieder schwer. Aber wir lassen die Kinder ja nicht alleine. Die Schülerpaten sind ja auch zur Stelle, sie sind richtig stolz, jetzt die Großen zu sein.
Und wenn es die Eltern sind, die sich nicht trennen können?
Schuhmacher: Ja, oft sind es Eltern, die wir an die Hand nehmen müssen. Da muss man ihnen dazu raten, ihr Kind nicht bis zur Klassentür zu bringen. Denn wenn die Eltern Tochter oder Sohn signalisieren, dass man ihnen etwas zutraut, schaffen sie es auch.
Wagener-Pötters: Wenn ein Kind gar nicht alleine gehen möchte, brechen wir darüber nicht den Stab. Dann dürfen Mutter oder Vater das Kind begleiten. Aber das ist sehr selten.
Haben sich die Kinder im Laufe der Jahre verändert?
Wagener-Pötters: Ja, das ist ein großes Thema. Wir erleben, dass die Kinder immer weniger Vorläuferfähigkeiten haben. Pädagogik und Didaktik haben sich immer weiter entwickelt. Und wir haben das Gefühl, dass wir sehr gut aufgestellt sind in der individuellen Förderung eines Kindes.
Was ist das Problem?
Wagener-Pötters: Vielen Kindern ist noch nie ein Buch vorgelesen und nur wenig gesprochen worden. Bei der Sprachfähigkeit und den Fähigkeiten Lesen und Schreiben zu lernen, bringen viele Kinder heute wesentlich weniger mit als früher.
Liegt es daran, dass die Kinder zu viel vor digitalen Geräten sitzen?
Wagener-Pötters: Manche Kinder versuchen, wenn sie eine Buchseite vor sich liegen haben, mit zwei Fingern den Text groß zu ziehen wie bei einem Handy. Da kann man sich vorstellen, wo wir anfangen. Nur noch ein Drittel der Kinder bekommt überhaupt noch etwas vorgelesen. Was durch den Wegfall der Eins-zu-eins-Betreuung, dem sprachlichen Kontakt, wegfällt, da können wir mit der besten Pädagogik nicht hinterher galoppieren.
Schuhmacher: Viele Erstklässler wissen nicht, wie man eine Schere oder einen Stift in der Hand hält. Die Kinder sind so frustriert, wenn sie dann hier ein Bild ausmalen, kleben oder puzzeln, und das klappt nicht.
Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, oder?
Wagener-Pötters: Ja, und das hat nicht nur zu tun mit Kindern aus bildungsfernen Familien oder Kindern mit Migrationshintergrund, überhaupt nicht. Wir haben hier auch eine Wohlstandsverwahrlosung, wo Eltern ganz viel arbeiten, und wenn sie dann nach Hause kommen, ist die gemeinsame Zeit reduziert.
Bleiben die Schultüten in der Klasse zu?
Wagener-Pötters: Die bleiben sowieso bei den Eltern. Heutzutage sind die Schultüten ja zum Teil größer als die Kinder.
Die privaten Feiern zu Einschulungen werden immer größer, oder?
Wagener-Pötters: Ja, der Tag wird meiner Meinung nach zu hoch gehängt. Teilweise haben die Feiern Dimensionen von regelrechten Spektakeln erreicht. Es ist ein besonderer Tag, das soll er auch sein. Aber ich habe das Gefühl, was da so drumherum passiert, ist teilweise auch eine Überforderung für die Schüler.
Schuhmacher: Das ist teilweise ein richtiger Hype: Restaurants werden gemietet, das Kleid passt zur Schultüte, der Ranzen passt zum Haarband.
Bekommen die Kinder am ersten Tag Hausaufgaben auf?
Wagener-Pötters: Ja, obwohl es das Unnötigste ist an einem Tag, an dem nur gefeiert wird. Wir wollen aber deutlich machen, dass jetzt der Abschnitt Schule beginnt. Es soll ganz viel Spaß und Freude geben. Aber das Lernen soll dabei schon im Vordergrund stehen. Und darum finde ich es bedenklich, wenn Kinder dann am ersten Schultag, ihre Aufgaben nicht gemacht haben.
Schuhmacher: Wir machen da kein Bohei drum. Aber die Eltern tun ihren Kindern damit ja auch keinen Gefallen.
Ist es für Sie auch ein besonderer Tag?
Wagener-Pötters: Im Laufe der Zeit hatte ich bestimmt schon 20 erste Klassen, natürlich nicht alle an dieser Schule. Aber es bleibt jedes Mal ein besonderer Tag. Bei meiner Ansprache werde ich bestimmt ein bisschen Herzklopfen haben.
Geben Sie den Kindern einen Rat mit auf den Weg?
Wagener-Pötters: Nein, aber den Eltern. Ich begrüße sie herzlich als Teil unserer Schulgemeinde. Mit ihren Fragen können sie immer zu uns kommen. Aber ich bitte sie auch, ihre Kinder nicht mit dem Auto vor die Schule zu fahren. Hier in dieser engen Stichstraße ist das wirklich sehr gefährlich für diejenigen, die zu Fuß kommen.
Große Unterschiede in den Stadtteilen
Insgesamt sind es 1033 Kinder, die die am Donnerstag in Bergisch Gladbach eingeschult werden. Wie die Stadt auf Nachfrage mitteilt, können nicht alle Erstklässler ihre nächstgelegene Wunschschule besuchen.
Engpässe habe es wie in den vergangenen Jahren in den Stadtteilen Schildgen und Katterbach sowie an den Grundschulen in Bensberg gegeben. Für die betroffenen Kinder verlängert sich der Schulweg. Die Kinder aus Katterbach und Schildgen müssen teilweise nach Hand, Paffrath und Hebborn ausweichen, die Kinder aus Bensberg nach Moitzfeld. Laut Verwaltung können sie den Schulweg nicht zu Fuß gehen. (ub)