Fulminanter AuftrittBen Becker brilliert als Judas auf der Bühne des Bergheimer Medio

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Ein Mann steht in heller, weiter Kleidung auf einer Bühne.

Ben Becker spielte „Ich, Judas“ im Bergheimer Medio.

Der Schauspieler zog das Publikum in Bergheim in seinen Bann und gibt der Figur des Judas eine andere Interpretation als die des Bösen.

Der Titel könnte zu Fehlschlüssen verführen. Ben Becker, bekannt und geliebt für extreme Charakterdarstellungen, betonte in einem Interview: Nein, er identifiziere sich nicht mit der Figur des Judas. Er lese und spiele nur einen literarischen Text von Walter Jens. Der aber hat es in sich: „Judas ist nichts ohne Jesus, aber Jesus ist auch nichts ohne Judas“, heißt es dort.

„Der Fall Judas“ heißt Walter Jens' Erörterung. Jens ergreift in gewisser Weise Partei für den Mann, der in der christlichen Überlieferung das absolute Böse verkörpert. Jesus habe doch darauf hingewiesen, dass einer aus der Runde der Jünger ihn verraten würde: „Der, dem ich den Bissen eintauche und gebe. Und er tauchte den Bissen ein und gab ihn Judas.“ Damit deutet Jens an, dass Judas im Auftrag von Jesus gehandelt hat.

Verrat für 30 Silberlinge

Mit dieser Interpretation ist der Autor nicht allein. Judas wird in frühchristlichen Texten („Apokryphen“, die nicht in die Bibel aufgenommen worden waren) gelegentlich als „Freund Jesu“ bezeichnet, der ihm dazu verholfen habe, seine menschliche Hülle zu verlassen. Eine Täter-Opfer-Umkehr also? In der 2000-jährigen Geschichte des Christentums wird Judas als der Verräter angesehen, als der Verbündete des Teufels, der Jesus für 30 Silberlinge an seine Mörder auslieferte.

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Beckers/Jens' Version geht anders: Ohne Judas gäbe es keinen Gekreuzigten, gäbe es nicht die Vergebung der Sünden, gäbe es weder Christentum noch Islam. Judas sieht sich als Werkzeug Gottes, der den göttlichen Plan seiner Menschwerdung vollendete: „Ich habe es getan, und darum seid ihr erlöst!“ schleudert Becker/Judas dem Publikum entgegen.

Judas als Projektionsfläche

Die christliche Geschichtsschreibung hingegen habe Judas, so Jens, zur Projektionsfläche für das Böse gemacht. Die Identifikation des gesamten Judentums mit Judas führe geradewegs zum Antisemitismus. Jens führt als Zeugen den Reformator Martin Luther an, dessen antisemitische Tiraden berüchtigt sind.

Ben Beckers Schauspielkunst, vor allem seine mal rau knarzende, dann wieder lieblich-verführerische Stimme, verwandelte das Publikum im Medio in eine andächtig lauschende Gemeinde. Das karge Bühnenbild – eine überlebensgroße, schemenhafte Jesus-Figur hinter einem dem Abendmahl nachempfundenen Tisch – bot die Spielfläche für einen großartigen Schauspieler.

Ben Becker hatte kaum eine andere Chance, als Schauspieler zu werden. Seine Eltern Monika Hansen und Rolf Becker gehören dieser Profession an, seine Schwester Meret Becker spielte im Berliner Tatort die Kommissarin Nina Rubin und eine Glanzrolle in „Babylon Berlin“.

Ben Becker trat schon als Kind in Hörspielen in Erscheinung. Nach dem Schauspielunterricht in Bremen nahm er Bühnenrollen in Hamburg, Stuttgart und Düsseldorf an. Film und Fernsehen wurden auf ihn aufmerksam. Auch als Musiker ist er erfolgreich mit Liedern von Johnny Cash, Elvis Presley, Dolly Parton, ebenso wie mit Rezitationen. Eine Nähe zu den Hells Angels machte ihn zu einer umstrittenen Figur.

„Ich, Judas“ hatte 2015 im Berliner Dom Premiere. Die Vorstellung im Medio war die 146. und die letzte, die in einem nichtsakralen Raum stattfindet. Die Inszenierung gehöre in die Kirche, argumentiert das Becker-Management. Die katholische Kirche hielt sich da bislang eher bedeckt, die protestantische zeigte sich offener. Immerhin hatte das Publikum im Medio nicht die quälende Ungewissheit wie in der Kirche: Darf man klatschen? Ja, und zwar begeistert.

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