Zum 85. GeburtstagFrechener schenkt Bruder Buch über gemeinsame Geschichte

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In Tenneck war Stefan Sabo (2.v.l.) sportlich aktiv. Skifahren gehörte zum Schulsport.

  • Die Geschichte beginnt 1934 in Ali-Anife in der Nähe des Schwarzen Meeres in Bulgarien.
  • Dann begann eine Umsiedlung mit mehr als 22 Stationen.
  • „Auch unsere Mutter kämpfte mit letzter Kraft“, erinnert sich der Bruder.

Frechen –  Alles fing an mit der Suche nach einem guten Geburtstagspräsent. „Ich wusste einfach nicht, was ich meinem Bruder Stefan schenken sollte, als er im vergangenen Herbst 85 Jahre alt wurde“, berichtet Fritz Sabo aus Frechen-Grefrath. Schließlich hatte der 75-Jährige eine Idee: Er trug Erinnerungen, Dokumente und Fotos zusammen, die die ersten 20 Lebensjahre seines Bruders beleuchteten, und ließ sie zu einem Buch binden.

Herausgekommen ist ein umfangreiches und akribisch recherchiertes Werk zur Lebensgeschichte seines Bruders, der leider kürzlich verstorben ist. Es enthält Geschichten über Flucht und Elend, aber auch mit vielen eindrucksvollen und bewegenden Momenten. Eingebunden sind darin auch die persönlichen Erinnerungen von Stefan Sabo, teils in handschriftlichen Dokumenten.

Die Geschichte begann in Bulgarien

Die Geschichte beginnt 1934 in Ali-Anife (auch Kalfa genannt, heute Dobrevo) in der Nähe des Schwarzen Meeres in Bulgarien. Dort wurde Stefan Sabo am 24. September geboren. In der Gegend namens Dobrudscha hatten sich deutsche Auswanderer angesiedelt, zu denen auch die Familie Sabo gehörte.

„Ursprünglich waren die Auswanderer vor etwa 100 Jahren aus armen Gegenden wie dem Schwäbischen nach Südrussland umgesiedelt“, berichtet Fritz Sabo. Von dort gelangten sie später nach Rumänien und wie die Familie Sabo nach Bulgarien, wo ganze Dörfer entstanden, in denen ausschließlich deutschstämmige Familien wohnten.

Schließlich machte fast das ganze Dorf mit

Die Familie Sabo lebte dort bis 1943. „Dann wollte Adolf Hitler unter der Devise »Heim ins Reich« alle Aussiedler zurück nach Deutschland holen“, berichtet Sabo. Es kamen „Werber“ ins Dorf, die Stimmung für die Umsiedlung machten. Schließlich machte fast das ganze Dorf mit.

Was damals niemand ahnte: Es begann eine Odyssee mit 22 verschiedenen Stationen, die die Familie Sabo erst 1954, also elf Jahre später, in ihre neue Heimat nach Grefrath führen sollte.

Die Aussiedler lebten zunächst in Getreidesilos auf dem Hafengelände

Doch zurück ins Jahr 1943. 325 Dorfbewohner machten sich damals von Ali-Anife zunächst auf den Weg ins 200 Kilometer entfernte Rousse an der Donau. Mit dem Raddampfer ging es nach Passau. Dort lebten die Aussiedler zunächst in Getreidesilos auf dem Hafengelände. Mit einem Zug – „eher ein Tiertransport“, so Sabo – ging es in ein Umsiedler-Lager nach Niedernfels im Landkreis Traunstein. Dort wurde die Familie Sabo eingebürgert.

Weitere Stationen waren Regensburg, wo die Aussiedler bei der Firma Messerschmitt arbeiteten und Kriegsmaterial herstellten, und ein Klostergebäude auf dem Himmelberg in Metten/Deggendorf. Fritz Sabo wurde dort am 8. April 1944 geboren. Weiter ging es in die Steiermark, wo die Aussiedler eine neue Heimat finden sollten. Doch soweit kam es nicht: Als der Zweite Weltkrieg sich dem Ende zuneigte, wandelte sich die Umsiedlung in Flucht und Chaos.

Der Vater war mittlerweile bei der Marine

In den Erinnerungen ist beispielsweise die Rede davon, dass die Aussiedler in Marburg an der Drau (Maribor) drei Tage lang in einem Zug auf den Gleisen standen und von Partisanen beschossen wurden – ohne den Vater, der zwischenzeitlich zur Marine eingezogen worden war.

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Als die Familie Sabo Anfang der 1950er Jahre auswandern wollte, entstand ein Familienfoto.

„Zehn Tage lang schleppten sich die Menschen danach ziellos durch die Gegend“, heißt es in der Dokumentation weiter. „Die Partisanen trieben uns vor die Tore der Stadt in ein Sumpfgebiet am Fluss. Viele Menschen haben die Kräfte verlassen. Sie blieben achtlos am Straßenrand liegen. Der Tod hat sie eingeholt“, erinnert sich Stefan Sabo.

Bloß nicht den Anschluss an den Treck verlieren

„Auch unsere Mutter kämpfte mit letzter Kraft“, berichtet er. „In einem Wickel um die Brust gebunden schützte sie den kleinen Bruder Fritz, in einer kleinen Handtasche bewahrte sie ein paar Habseligkeiten. So versuchte sie, am Ende des Trecks nicht den Anschluss zu verlieren.“

Die Familie schaffte es schließlich, der schwierigen Situation zu entkommen. Familie Sabo kam in Friesach für eine Woche in der Scheune eines Bauernhofs unter, bevor der Landwirt den Platz für seine Ernte benötigte.

Stefan Sabo arbeitete in dieser Zeit auf einem Bauernhof

Bis Sommer 1946 lebte die Familie im Kurhaus in St. Salvator; der Vater kehrte aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Weiter ging es nach Radstadt, wo ein ehemaliges Materiallager für die Flüchtlinge hergerichtet wurde. Stefan Sabo arbeitete in dieser Zeit auf einem Bauernhof, dem Untersulzberghof, und verbrachte dort eine glückliche Zeit. Doch im Herbst 1948 musste die Familie weiterziehen, nach Tenneck und nach Piding bei Bad Reichenhall.

Stefan Sabo machte zwischenzeitlich eine Schusterlehre. Der Plan der Familie, nach Amerika auszuwandern, scheiterte. Schließlich entschloss man sich, nach Deutschland zu ziehen. In Kerpen-Blatzheim war die Familie zunächst in einem Tanzsaal untergebracht. In Grefrath fanden die Sabos 1954 schließlich ihre erste Wohnung. Die neue Heimat war erreicht.

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Damit endet Fritz Sabos Dokumentation. Den 75-Jährigen hat über die Zusammenstellung der Quellen und Dokumente das Forscherfieber gepackt. Mittlerweile hat er weitere Dokumentationen fertiggestellt, unter anderem zu den ersten zehn Lebensjahren seines Bruders.

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