Giftmord in HürthMutmaßlicher Täter soll jahrelang Doppelleben geführt haben

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Tatort Hürth Giftanschläge

Das Haus wurde von der Polizei beschlagnahmt und versiegelt.

  • Im Fall der Giftanschläge von Hürth ist die Polizei offenbar auf der Suche nach weiteren Mordfällen.
  • Verdächtigt wird ein 41 Jahre alter Mann, seine schwangere Freundin kämpfte im Krankenhaus um ihr Leben.
  • Jetzt sind neue Details zu Dutzenden Frauen ans Licht gekommen, zu denen der Tatverdächtige Kontakt gehabt haben soll.

Hürth/Köln – Andreas Sieger (Name geändert) war ein Typ, den man früher Sonnyboy genannt hätte: Nett, fröhlich, fürsorglich, intelligent. Und auch als Liebhaber hatte er Qualitäten, so schildern es Partnerinnen, die Sieger trafen, um schwanger zu werden. Im Sommer 2021 wurde Sieger jeden Monat von einer seiner Bekannten immer dann kontaktiert, wenn der Eisprung kurz bevorstand. Seit November 2021 erwartet Maria M. (Name geändert) ein Kind von ihm.

Aber vor kurzer Zeit tauchten die Todesermittler der Kölner Polizei bei M. auf und teilten ihr mit, dass ihr Date gar nicht Andreas Sieger hieß und ein mutmaßlich mehrfacher Giftmörder aus Hürth sei. Auf einem Foto identifizierte die Frau den Tatverdächtigen als den Mann, den sie als Andreas Sieger kannte. Wie die Mordkommission herausgefunden hatte, soll der 41-Jährigen offenbar über Jahre hinweg ein Doppelleben auf Dating-Portalen wie Samenspender.de geführt haben.

Hürth: Beschuldigter lernte mutmaßlichen Opfer übers Internet kennen

Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Justizkreisen, soll der mutmaßliche Doppel-Mörder mit 37 Frauen, die schwanger werden wollten, in Kontakt gestanden haben. Die Kripo befragt derzeit alle Dating-Partnerinnen zu ihren Beziehungen zu dem 41-jährigen Hygiene-Beauftragten einer Stiftung für Alten-, Kranken- und Behindertenhilfe. Dabei wird sich auch erweisen, in wie vielen Fällen der Tatverdächtige der leibliche Vater von Kindern ist. Allerdings stand bei den meisten Frauen offenbar der Wunsch im Raum, das Kind ohne Partner aufzuziehen.

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Nach derzeitigem Ermittlungsstand liegt allerdings nahe, dass der 41-Jährige über seinen Alias-Namen zu verhindern versuchte, dass werdende Mütter ihn später als Vater in die Pflicht hätten nehmen können.

Über die Dating-Plattformen lernte der Beschuldigte außerdem zwei seiner drei mutmaßlichen Opfer kennen, die er mit dem Schwermetall Thallium vergiftet haben soll. Mit einer Gymnasiallehrerin, mit der er in Leverkusen lebte, ging er seine zweite Ehe ein.

Tatverdächtiger aus Hürth bestellt Gift im Internet

Nach Recherchen dieser Zeitung soll der Mann Ende April 2020 bei einem Online-Shop für Forschungsmaterialien 25 Gramm Thalliumsulfat, eine Substanz, die früher als Rattengift eingesetzt wurde, bestellt haben. Zugang zum hochtoxischen Produkt erhalten in erster Linie Apotheken, Arztpraxen und Krankenhäuser.

Der Beschuldigte soll das Schwermetall über die E-Mail-Adresse einer Klinik seines Arbeitgebers in Ratingen geordert haben. Anfang Mai 2020 traf die Lieferung ein. 18 Tage später starb seine 35-jährige Frau T. an den Folgen einer Thallium-Vergiftung.

Ermittler überprüfen weitere Urne auf Thallium-Spuren

Wie diese Zeitung zudem erfuhr, geht die Staatsanwaltschaft einer weiteren Spur nach. So soll nun auch die Urne von T.s Großmutter auf etwaige Thallium-Spuren untersucht werden. Laut Zeugenaussagen hat der Verdächtige die Rentnerin gut gekannt. Im Juli 2020 lernte der Gesundheitskontrolleur erneut eine Frau über ein Dating-Portal kennen. Die beiden wurden schnell ein Paar. Auch seine neue Partnerin war Lehrerin, auch sie hoffte auf ein Kind und wurde von dem 41-Jährigen schwanger.

Im April 2021 starb die 92 Jahre alte Großmutter der Frau. Nach kurzer Zeit zog das Paar in ihr Haus in Hürth. Bei der Exhumierung der Leiche der Verstorbenen zeigte sich, dass auch sie durch Thallium ums Leben kam. Seinerzeit aber schöpfte niemand Verdacht, dass der Hygieniker die Seniorin ermordet haben könnte. Dieser gab in der Zwischenzeit nach Angaben von Zeugen den Muster-Gatten in spe ab.

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Als seine Partnerin im September 2021 ein Kind erwartete, erzählte er Bekannten, wie sehr er sich freuen würde. Zwar hatte der Mann seiner Freundin erzählt, dass er zeitweilig Samen gespendet hatte, aber von seinem Doppelleben schien niemand etwas zu ahnen. Obwohl er den Ermittlungen zufolge auch in jener Zeit weiterhin die Rolle des Samenspenders für andere Frauen angenommen haben soll. Zwei Monate nachdem seine Freundin schwanger wurde, durfte auch seine Dating-Bekanntschaft Maria M. auf ihr Wunschkind hoffen.

Giftmorde: Tatmotiv gibt den Ermittlern weiterhin Rätsel auf

Just zu jenem Zeitpunkt, so die Strafverfolger, soll der mutmaßliche Mörder seine schwangere Freundin mit Thallium vergiftet haben. Die 36-jährige Lehrerin überlebte, und auch das Kind konnte gerettet werden. Als die Ärzte der Mutter des Opfers ihre Diagnose mitteilten, ging diese am 27. November zur Polizei. Drei Tage später kam der Beschuldigte in Untersuchungshaft. Am Krankenbett seiner Freundin hatte er den treusorgenden Lebensgefährten gegeben. Auch während der stundenlangen Vernehmung hatte er unter Tränen alles abgestritten. Allerdings fanden sich in seiner Tasche eine Dose mit Thallium sowie einer Spritze.

Nach wie vor gibt das Motiv den Ermittlern Rätsel auf. Den Ermittlungen zufolge litt der 41-Jährige nicht unter Geldnot. Der Hygieniker stammt aus wohlhabendem Hause, besaß eine Immobilie und verdiente ausreichend. Der Beschuldigte schweigt zu den Vorwürfen. Sein Verteidiger Martin Bücher wollte gleichfalls keine Stellung zu den Vorgängen beziehen. „Zunächst einmal muss man die weiteren Ermittlungen abwarten, um sich gegebenenfalls später zu äußern.“

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