„Wir brauchen keine Wunder“Kerpener Trauerredner fand neuen Glauben im Pantheismus

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Martin Sagel vor einem Baum.

Martin Sagel ist deutschlandweit der einzige offizielle pantheistische Trauerredner.

Der Kerpener Martin Sagel ist pantheistischer Trauerredner. Er ist auch für die Gläubigen da, die der Kirche den Rücken gekehrt haben.

Alles ist Gott. Daran glaubt Martin Sagel. Der Kerpener ist bundesweit der einzige offizielle pantheistische Trauerredner. Er ist für die Menschen da, die der Kirche den Rücken gekehrt haben, aber trotzdem noch immer gläubig sind. Für die Menschen, die sich eine würdige Trauerfeier wünschen, aber nicht an Dogmen gebunden sein wollen.

„Im Pantheismus kann jeder für seine Trauerfeier verlangen, was er will. Manche wollen eine Feier mit Hardrock, manche ganz klassisch Blumen ans Grab“, sagt Sagel. Eine pantheistische Trauerfeier könne fast genauso wie eine christliche sein – oder auch ganz anders.

Die erste Trauerrede hielt Sagel in Stuttgart, die zweite in Sindorf

„Die pantheistische Weltsicht hört da auf, wo ein Gott personifiziert wird.“ Kreuze oder andere religiöse Symbole gebe es deshalb nicht. Sagel selbst hat der Kirche nicht den Rücken gekehrt. Er ist noch immer Mitglied der evangelischen Kirche. Nur mit dem Unterschied, dass er nun viele Bibelstellen pantheistisch deutet. „Wir Pantheisten brauchen keine Wunder. Für uns ist die Natur, der Kreislauf des Lebens das eigentliche Wunder.“

Seine erste pantheistische Trauerrede hielt Sagel 2021 in Stuttgart. „Der Mann, ein Landwirt, ist mit ungefähr 80 Jahren gestorben und war aus der Kirche ausgetreten“, sagt Sagel. Seine Tochter habe trotzdem eine festliche Trauerfeier gewollt. Er habe sich also mit dem Leben des Mannes auseinandergesetzt, mit seinen Vorlieben und Interessen. „In der Rede bin ich zum Beispiel auf den biologischen Kreislauf eingegangen, der ihm als Landwirt sehr wichtig war.“ Nur wenig später folgte Sagels zweite Trauerrede, dieses Mal für einen Feuerwehrmann aus Sindorf. „Ich habe nach etwas Persönlichem gesucht, das die Menschen an ihn erinnert. Und das war in diesem Fall die Musik.“ Also liefen auf der Feier Hardrock und Schlager.

Sagel las Bibel, Koran und das Taoteking

Schon als Kind kam Sagel in Kontakt mit verschiedenen Konzepten von Religion. Der evangelische Kerpener wurde in Manheim mit dem Katholizismus groß. 1995 entdeckte er während eines Schüleraustausches in Südafrika die Offenheit von Freikirchen für sich. „Ich war bei einer Zulu-Familie untergekommen, die mich in ihre Kirche mitgenommen hat“, sagt Sagel. Und dort hätten statt trockener Predigten Tanzen, Singen und Klatschen die Messe geprägt.

Im Pantheismus kann jeder für seine Trauerfeier verlangen, was er will.
Martin Sagel

Nach seiner Rückkehr nach Deutschland nahm der Kerpener sich vor, die Bibel zu lesen. Es folgten andere religiöse Bücher, das Taoteking, der Koran, indische Weisheiten. Auf knapp 100 religiöse Bücher sei er gekommen, sagt Sagel. „Es kam mir aber so vor, als ob alles nur Puzzlestücke seien.“ Der Kerpener widmete sich seiner eigenen Interpretation und schrieb das Buch „Alles eins“. Darin geht es nicht nur um einen neuen Blick auf Religionen, sondern auch um weltliche Themen wie Politik, Umweltschutz, Ernährung und Frieden.

Auch Einstein und Goethe waren Pantheisten

Nachdem Sagel sich lange mit verschiedenen Religionen beschäftigt hat, entdeckte der Kerpener den Pantheismus für sich. Eine religiös-philosophische Strömung, der laut Sagel auch Einstein und Goethe angehört haben. Im Grunde heißt Pantheismus: Gott ist in allem zu finden. Mittlerweile gibt es in Deutschland sogar einen Verein, der die pantheistische Philosophie bekannter machen will: die Liga der Pantheisten. Sagel gehört zu den Gründungsmitgliedern.

Seine eigene Trauerfeier hat Sagel bereits geplant. „Ich wünsche mir zum Beispiel, dass sich die Gäste hell anziehen“, sagt er. Für den Toten sei eine Trauerfeier schließlich kein trauriges Ereignis – egal, was derjenige glaube. „Für manche Menschen beendet der Tod eine lange Krankheit, andere glauben, dass sie in den Himmel kommen.“ Traurig sei der Tod nur für die Hinterbliebenen. Und denen müsse man Trost spenden.

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